# taz.de -- Frauen als radikale Fußballfans: Ultra viele Vorbehalte | |
> Groß ist die Skepsis, wenn junge Frauen Mitglied bei Ultra-Fangruppen | |
> werden wollen. Mancherorts werden sie komplett ignoriert. | |
Bild: An der Spitze der Bewegung: Eine Bochumer Ultra-Frau gibt alles – unter… | |
Es gibt Situationen, in denen nur noch die Flucht in den Sarkasmus bleibt. | |
Als im Januar 2010 auf der in Fankreisen umstrittenen Internetplattform | |
ultras.ws eine Diskussion über die Daseinsberechtigung von Frauen in den | |
Ultra-Szenen des Landes entbrannte, sah die Ultra-Gruppierung des Hamburger | |
Kultclubs FC St. Pauli die Zeit gekommen, ein Zeichen zu setzen. | |
In einer ironischen Stellungnahme gaben die Frauen der Gruppe vor, sich | |
gewaltsam der männlichen Ultras "entledigt" zu haben. "Den männlichen | |
Mitgliedern unserer Gruppe mangelt es zu großen Teilen so grundlegend an | |
dem von uns gelebten Verständnis von Ultrà", schrieben sie in üblicher | |
Ultra-Terminologie, "dass es für uns nicht mehr tragbar erschien, sie in | |
unserer Gruppe zu dulden." | |
Passend zu dem Schreiben veröffentlichten sie das Bild einer Gruppe | |
vermummter Frauen, bewaffnet mit Baseball-Schläger und Limoflasche - eine | |
offensichtliche Parodie auf szeneübliche Drohgebärden. Die Reaktionen aus | |
anderen Gruppierungen schwankten zwischen Zuspruch, Amüsement und Empörung. | |
Etliche deuteten die überwiegend positive Rückmeldung auf die Aktion als | |
gutes Zeichen für die Zukunft. | |
Geschehen ist seitdem nur wenig. Nach wie vor ist die Aufnahme von Frauen | |
in vielen deutschen Gruppierungen ein umstrittenes Thema. Zahlen | |
verdeutlichen das: Während der Anteil von Frauen am gesamten | |
Stadionpublikum mittlerweile bei rund 30 Prozent liegt, sind nach | |
Schätzungen von Fanforschern maximal 10 Prozent der deutschen Ultras | |
weiblich. | |
## Die Szene ist zu heterogen | |
Die Suche nach Gründen gestaltet sich schwierig. Denn während alle | |
Ultra-Gruppierungen die Bereitschaft eint, die Unterstützung ihres | |
Fußballvereins und den Kampf um den Erhalt von Tradition und Fankultur zu | |
ihrem Lebensmittelpunkt zu machen, lässt sich kein gemeinsamer Standpunkt | |
zur Stellung von Frauen in den Gruppen ausmachen. Zu heterogen ist deutsche | |
Szene aufgebaut. | |
Der Berliner Politologe und Fanforscher Jonas Gabler beschäftigt sich seit | |
Jahren mit der deutschen Szene und hält Kontakte zu verschiedenen | |
Gruppierungen. "Die Ultra-Kultur orientiert sich wie die Fankultur generell | |
immer noch stark an männlichen Normen und Werten", sagt er. Man könne viel | |
über die Mechanismen in Ultra-Szenen lernen, wenn man wisse, wie Gruppen | |
von jungen Männern generell funktionieren. | |
Viele Ultras definieren sich heute entgegen dem ursprünglichen Leitbild zu | |
großen Teilen über Eigenschaften wie Stärke, Macht und Präsenz. Frauen, so | |
wird argumentiert, könnten dem hart erarbeiteten Image schaden. Manche | |
Szenen, zum Beispiel die von Dynamo Dresden oder Hansa Rostock, nehmen | |
deswegen generell keine Frauen auf. | |
"Immer wieder hört man auch das Argument, dass Frauen Unruhe in eine | |
männlich dominierte Szene bringen könnten und sie nur auf der Suche nach | |
,schönen Typen' seien", sagt Gabler. Die Befürchtung, dass Eifersüchteleien | |
das enge Band zwischen den Gruppenmitgliedern zerschneiden könnten, lässt | |
viele skeptisch auf Mädchen und Frauen blicken, die ins Umfeld der Gruppe | |
stoßen. | |
## Höhere Messlatten für Frauen | |
Bei den Ultras Leverkusen (UL), die in den späten Achtzigern zu den | |
Begründern der deutschen Ultra-Bewegung gehörten, sind nur zwei der 70 | |
Mitglieder weiblich. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Frauen sich nur | |
am Rande für Fußball und das Fandasein und vielmehr für das Event | |
interessieren", sagt ein langjähriges UL-Mitglied. Das widerspreche dem | |
Konzept der Gruppe. "Mittlerweile ist es zugegebenermaßen so, dass wir bei | |
Frauen etwas höhere Messlatten anlegen, weil wir aufgrund vieler | |
Negativbeispiele skeptisch geworden sind." | |
Während die Thematik vor allem durch die politisch aktiven Szenen geistert, | |
bleibt eine offene Ursachensuche aus. Auf dem Fankongress in Berlin, wo | |
sich an diesem Wochenende aktive Fußballfans aus dem ganzen Land | |
versammeln, steht das Thema nicht auf der Tagesordnung. Lediglich das | |
internationale Netzwerk F_in, das sich für eine stärkere Gleichberechtigung | |
von Frauen beim Fußball einsetzt, ist mit einem Stand vertreten. | |
Als F_in-Mitglied ist auch Nicole Selmer auf dem Fankongress mit dabei. In | |
ihrem Buch "Watching the Boys Play" beschäftigt sich die Autorin mit der | |
Rolle von Frauen in den deutschen Stadien. Ihre Prognose ist vorsichtig | |
positiv: In der Ultra-Kultur sieht sie auf lange Sicht Chancen zum | |
gleichberechtigten Fandasein in der Kurve. | |
Ultras definieren sich im Gegensatz zur Hooligan-Kultur nicht in erster | |
Linie über Gewalt, sondern auch über intellektuelle und kreative | |
Tätigkeiten zur Unterstützung des Vereins wie die Gestaltung von | |
Choreografien und Fahnen oder dem Texten von Gesängen. "Das bietet mehr | |
Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen mit Interesse an der Ultra-Kultur", | |
argumentiert Selmer. Entscheidender als das Geschlecht sei das Engagement | |
für Gruppe und Verein. | |
## "Chicas" und "Senhoritas" | |
Als Gegenpol zur allgemeinen Skepsis gegenüber Frauen positionieren sich | |
unterdessen einige linkspolitische Ultra-Gruppen mit Spruchbändern und | |
Bannern regelmäßig offen antisexistisch, ob bei St. Pauli, in Bremen oder | |
Fürth. Viele von ihnen haben einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil. | |
In der Münchner Fußball-Arena treten die "Chicas" als weibliche Sektion der | |
Hauptgruppierung Schickeria auf, bei Drittligist Carl Zeiss Jena wirbelt | |
die Fahne der "Senorithas" durch die Luft. Der 12. Mann, das machen sie | |
deutlich, kann auch eine Frau sein. | |
Einen bis heute besonderen Weg gingen vor wenigen Jahren die Ultras des | |
Potsdamer Klubs Babelsberg 09. Als erste deutsche Fanszene wagte man den | |
Versuch, eine Frau in der wichtigen Position des Vorsängers zu | |
installieren. Das Experiment scheiterte nach einem halben Jahr. "Ich habe | |
mich nicht wohl gefühlt da oben auf dem Zaun", sagt die 23-jährige Linda | |
(Name geändert), die sich als Einheizerin versuchte. Einige Fans stellten | |
sich demonstrativ weg und akzeptierten sie nicht auf dem Zaun. Linda | |
vermutete Vorbehalte gegenüber ihr als Frau. | |
Heute glaubt sie nicht mehr an einen sexistischen Hintergrund. "Ich war in | |
der Szene noch nicht bekannt genug", sagt sie. "Da ist es egal, ob ich eine | |
Frau oder ein Mann bin." | |
15 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Jannis Carmesin | |
## TAGS | |
Fußball | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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