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# taz.de -- Pyrotechnik im Fussballstadion: Wie der Weihrauch zur Sonntagsmesse
> Am Rande des Bundesligaspiels in Berlin protestiert die Fanszene und
> fordert, vom DFB ernst genommen zu werden. Die Ultras fühlen sich an den
> Pranger gestellt.
Bild: "Die Antipathien gegenüber sämtlichen Offiziellen wachsen": Fans des FC…
BERLIN taz | Es ist Fußballsamstag in Berlin. Die Fans strömen ins
Olympiastadion. Sie tragen Blau und Weiß. Vor den Eingängen der Ostkurve
hat die Ultragruppierung "Harlekins" ihren "Fanstand" aufgeschlagen. Dort
werden Handzettel verteilt. Polizeitrupps patrouillieren am Stand vorbei.
"He, was soll das denn!?", ruft ein Ultrafan, der sich von den
Ordnungshütern belästigt fühlt. Sein Kollege verteilt derweil weiter seine
Handzettel von der Initiative "ProFans".
Es geht um das aktuelle Verbot von Pyrotechnik durch den Deutschen
Fußball-Bund (DFB). Die Leuchtstäbe gehören nach Meinung der Ultras zu
ihren Choreografien dazu wie der Weihrauch zur katholischen Sonntagsmesse.
Aber der Verband hat vor diesem Spieltag Bastapolitik betrieben und die
Hoffnung der Fans auf eine partielle Pyrofreigabe im Keim erstickt. Die
etwa 50 Ultragruppierungen, zusammengeschlossen zur Kampagne "Pyrotechnik
legalisieren - Emotionen respektieren", haben über Monate im Dialog mit
Funktionären gestanden, doch nach dem Handstreich der Verbandsoberen in
Frankfurt verstehen sie die Welt nicht mehr.
Einen 10 Zentimeter hohen Stapel mit A5-Papieren hat der Ultra in der Hand,
bestimmt an die 100 Stück. Auf seiner Trainingsjacke steht "Ha Ho He", der
Schlachtruf der Hertha-Fans, daneben ist das Emblem aufgestickt. Er will
seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, auch nicht, zu welcher der drei
großen Ultragruppierungen von Hertha er gehört. "Es gibt bei uns bestimmte
Regeln", sagt er. Seine Zitate gibt er aber frei. Der Student, der sich
auch bei "ProFans" engagiert, sagt, dass er "momentan ein bisschen
sprachlos" sei. "Es ist heftig, was vom DFB und den Medien kommt, der DFB
verpasst viele Chancen, die verderben es sich jetzt sogar mit den moderaten
Kräften." Die Ultras hätten Wut im Bauch, fühlten sich vor den Kopf
gestoßen. "Jetzt ist die Frage, wie stark die moderaten Kräfte noch auf
andere einwirken können."
Auf dem Handzettel wird zu mehr Sachlichkeit in der aktuellen Fandebatte
aufgerufen. Man verbittet sich den "Populismus der Polizeigewerkschaften,
die unsachlichen Aussagen seitens der Vertreter von DFB und DFL" (Deutscher
Fußball-Liga) und die Gleichsetzung von Gewalt und Pyrotechnik. Gewalt wird
explizit abgelehnt und zum Dialog aufgerufen. Es heißt aber auch: "Die
Antipathien gegenüber sämtlichen Offiziellen wachsen damit weiter." Und:
"Wir ermahnen die Verantwortlichen von DFB und DFL dringlich, das
Konfliktpotenzial nicht noch größer zu machen."
## Zusätzliches Zündeln
Jonas Gabler, der ein paar Meter entfernt vom "Fanstand" im Gespräch mit
Fans ist, schlägt in dieselbe Kerbe. "Das zusätzliche Zündeln ist ein
Kräftemessen mit Polizei und Vereinen", sagt er. Gabler, 30, ist Politologe
und hat das Buch "Die Ultras. Fußballfans und Fußballkulturen in
Deutschland" geschrieben. In der aktuellen Debatte sieht er sehr viel
"moral panic". Man beschreite definitiv die falschen Wege: Die Ultras
würden pauschal kriminalisiert, man versuche es wieder nur mit Repression
und harter Hand. "Es wird die nächste Stufe der Eskalation gefahren",
findet Gabler. Während des Gesprächs schleicht ein "Zivi" vorbei, ein
Zivilbeamter der Ermittlungsgruppe Hooligan der Berliner Polizei. Die
Botschaft: Wir beobachten euch!
Die Frage ist nun, wie es weitergeht. Verschärft sich die Lage oder schafft
es der DFB, wie mit seinem früheren Sicherheitsbeauftragten Helmut Spahn
geschehen, die Basis zu erreichen? Wohin die Richtung geht, könnte schon am
14. November entschieden werden. Da wollen Fußballfunktionäre die Probleme
in der Kurve mit einer "Task Force Sicherheit" lösen. Die beiden Verbände,
also DFB und DFL, werden die Gründung dieses Gremiums, dem auch Vertreter
aus Politik, Justiz, Polizei und der Koordinationsstelle Fanprojekte
angehören sollen, beim runden Tisch mit Innenminister Hans-Peter Friedrich
vorschlagen.
Die Ultras aber haben kein gutes Gefühl, wenn sie an diese Kommission
denken. "Es wäre fatal, wenn diese Task Force ein Gremium werden würde, bei
dem Fanvertreter erneut außen vor blieben! Das Vertrauen der Fan- und
Ultraszenen für eine Zusammenarbeit mit DFB und DFL ist derzeit mehr als
erschüttert." Zu echtem Dialog soll es beim Berliner Fankongress zum
"Erhalt der Fußballkultur" am 14. und 15. Januar kommen. Man möchte
endlich, dass "Fans als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert" werden.
Bis es so weit ist, müssen die Ultras wohl noch viele Handzettel verteilen.
6 Nov 2011
## AUTOREN
Markus Völker
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