# taz.de -- Fanproteste gegen Kommerzfußball: Ponchos und Parolen | |
> Die Initiative "Kein Zwanni für nen Steher" setzt sich dafür ein, dass | |
> Stehplätze für den einfachen Fan bezahlbar bleiben. Dafür demonstrieren | |
> sie auch im Regen. | |
Bild: Ungewöhnliche Einigkeit: Im Stadion unterstützten die Hamburger Fans de… | |
HAMBURG/FRANKFURT taz | Es gibt gewiss gemütlichere Plätze in Hamburg als | |
die zugige Ecke vorm Südwest-Eingang der Hamburger Arena, gleich neben dem | |
Trainingsplatz der HSV-Profis. Wenn es stürmt und regnet, bieten die | |
Gegebenheiten wenig Schutz, und wer hier als Fußballfan bei Wind und Wetter | |
mehr als zwei Stunden ausharrt, während drinnen im Stadion ein | |
meisterlicher Auftritt seiner Lieblingsmannschaft läuft, muss entweder | |
nicht ganz bei Sinnen sein oder ein klares Anliegen haben. | |
"Meine Schuhe waren noch nie so nass", hat Marc Quambusch hinterher gesagt, | |
und doch findet der in Hamburg lebende 42-Jährige, der Fan von Borussia | |
Dortmund ist, dass sich die Sache gelohnt habe - zusammen mit mehr als 500 | |
Leidensgenossen zwar zum Stadion zu fahren, es aber aus Protest nicht zu | |
betreten. | |
Man wollte ganz bewusst gegen die Preispolitik des Hamburger SV ein Zeichen | |
setzen. Inklusive Vorverkaufsgebühr kosteten die wenigen Stehplätze im | |
Borussen-Block mehr als 21 Euro, die Sitzplätze im Gästeblock zwischen 45 | |
und 85 Euro. | |
"Natürlich ist der HSV nur ein Verein, der die Ticketpreise am oberen Limit | |
ansetzt, aber er ist ein Paradebeispiel für eine Fan-unfreundliche | |
Gestaltung", erklärte Quambusch. Die meisten seiner Gesinnungsgefährten | |
haben die Partie in durchsichtigen Regenponchos am Radio verfolgt und über | |
fünf Tore gejubelt; hinter ihnen am Gitterzaun prangte das Plakat ihrer | |
Kampagne: "Kein Zwanni - Fußball muss bezahlbar sein". | |
## Faninitiative ist bundesweit vernetzt | |
Dass trotzdem 4800 von 5300 Gästekarten verkauft wurden, lag laut Quambusch | |
daran, dass sich die Dortmunder Anhängerschaft aus dem norddeutschen Raum | |
ersatzweise die Tickets besorgt hatte. Seine Initiative, die mittlerweile | |
über soziale Netzwerke Verbündete in Köln, Mainz oder München besitzt, | |
wächst ständig. | |
Erstaunlich auch, dass sich mächtige HSV-Fangruppierungen wie die "Chosen | |
Few" soldidarisch mit der Aktion zeigen und diese sowohl mit Plakaten | |
("Fußball als Volkssport erhalten!" - "Ticketpreise senken - jetzt!") als | |
auch mit einem zehnminütigen Schweigen in der zweiten Halbzeit | |
unterstützte. | |
"Ich kenne viele jüngere Freunde, die sich das bald nicht mehr leisten | |
können, wenn es immer teurer wird", sagte BVB-Fan Florian Engel. Der | |
23-Jährige erinnert an die Tradition der Bundesligaklubs als | |
Arbeitervereine. "Wenn Schüler und Jugendliche ausgesperrt werden und zum | |
Fußballgucken nur noch in der Kneipe sitzen, haben wir Verhältnisse wie in | |
England." | |
Das Dortmunder Gastspiel in der Champions League beim FC Arsenal habe doch | |
allen Augen und Ohren geöffnet, "in dem schönen Stadion war ein | |
überaltertes Publikum und es so flüsterleise wie auf dem Friedhof." | |
## "Die Bundesliga betreibt die Kommerzialisierung mit Augenmaß" | |
Die Liga ist gut beraten, die Argumente der stehenden Basis für den | |
Einzelfall ernst zu nehmen, obwohl die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die | |
Kritik im Allgemeinen nur bedingt nachvollziehen kann. Der | |
durchschnittliche Ticketpreis liege hierzulande bei 22,75 Euro - und ist | |
damit weit billiger als eine Karte für die englische Premier League (48 | |
Euro) oder die spanische Primera Division (40 Euro). | |
"Die Bundesliga betreibt die Kommerzialisierung mit Augenmaß", hatte jüngst | |
Reinhard Rauball in seiner Eigenschaft als Liga-Präsident auf dem | |
DFL-Neujahrsempfang erklärt, "die Stehplätze werden hierzulande | |
subventioniert." | |
Dortmunds Vorstandsvorsitzender Hans-Joachim Watzke sprach in Hamburg nun | |
"vom Respekt vor der Haltung und Handlung unserer Anhänger". In Dortmund | |
ist der Preis für 25.000 Stehplätze bei 14,80 Euro gedeckelt. | |
## Hamburg verzichtet auf Top-Zuschlag gegen den FC Bayern | |
Eine Preispolitik wie in Hamburg ist auch deshalb zu hinterfragen, weil der | |
Anteil der Zuschauereinnahmen am Gesamtertrag eines Bundesligisten ständig | |
rückläufig ist. Die Ticket-Erlöse machen durchschnittlich nur noch 21 | |
Prozent der Einnahmen aus. Fernsehrechte und Sponsoring bringen weit mehr. | |
Eines haben die unerschütterlichen Poncho-Träger aus Dortmund mit ihrem | |
Protest schon erreicht: Eigentlich hatte der Hamburger SV vor, fürs nächste | |
Heimspiel gegen den FC Bayern den Gästen sogar einen Topzuschlag der | |
Kategorie "A plus" abzunehmen - damit hätte das Stehplatzticket sogar 22 | |
Euro gekostet. | |
Nun bleibt es bei 19 Euro, dem Preis fürs meisterliche Gastspiel. Obs für | |
die Münchner Reisegruppe in zwei Wochen bei gleichen Kosten letztlich ein | |
ähnliches erfreuliches sportliches Ergebnis wie für die Dortmunder | |
Entourage wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. | |
23 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Hellmann | |
## TAGS | |
Premier League | |
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