# taz.de -- Runder Tisch zur Gewalt beim Fußball: Leicht gezügelte Repression… | |
> Sicherheitspolitiker und Fußballfunktionäre wollen die Stadien mit einer | |
> "Task Force Sicherheit" befrieden. Der Ruf nach mehr Repression wird | |
> lauter. | |
Bild: Das Abfackeln geht weiter: Fans des VfB Stuttgarts zu Gast beim 1. FC Kai… | |
BERLIN taz | Höhere Strafen, totale Überwachung, personalisierte | |
Eintrittskarten - vor dem runden Tisch zum Thema Gewalt im Umfeld von | |
Fußballspielen hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit | |
radikalen Maßnahmen gedroht. Er hatte damit auf die Bilder reagiert, die | |
suggerierten, in Deutschland würden die Stadien brennen. Am Montag nach dem | |
Treffen mit dem Präsidenten des Deutschen Fußballbundes Theo Zwanziger, | |
Liga-Verbandschef Reinhard Rauball und Vertretern von Ländern und Kommunen | |
wurde die Bildung einer "Task Force Sicherheit" beschlossen, in der | |
aktuelle Entwicklungen und Lösungsmodelle diskutiert werden sollen. | |
Rauball sprach sich dabei gegen die von Friedrich propagierte Verschärfung | |
von Stadienverbotsregelungen aus. Bengalische Feuer werden weiter unter | |
keinen Umständen zugelassen. Der organisierte Fußball erklärte seine | |
Bereitschaft, weiter in die Arbeit mit Fans zu investieren, wenn sich auch | |
die öffentliche Hand weiter an der Finanzierung beteiligt. Man wolle den | |
Dialog mit den Fans intensivieren. Dass man einen solchen gerade | |
abgebrochen hat, macht diese Ankündigung nicht gerade glaubhafter. | |
Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski, der sich seit mehr als 15 Jahren mit | |
den Fanszenen in Deutschlands Stadien beschäftigt, sieht angesichts der | |
Repressionsfantasien von Friedrich und etlicher seiner | |
Innenministerkollegen in den Ländern schon "englische Verhältnisse" auf | |
Deutschland zukommen. | |
Nirgends werden die Fans in den Kurven und außerhalb der Stadien derart | |
überwacht wie im Vereinigten Königreich. Wer sich einmal unangepasst | |
verhalten hat, bekommt an Spieltagen Hausbesuche von der Polizei, mit denen | |
verhindert werden soll, dass sich ein vermeintlicher Übeltäter ins Stadion | |
aufmacht. Hessens Innenminister Boris Rhein, auch er saß am Runden Tisch, | |
hat genau dies angeregt. | |
Dembowski nennt die erfolgreichste Methode der Fansteuerung in England | |
"Outpricing". Mit hohen Eintrittspreisen wurden ganze | |
Gesellschaftsschichten von Fußball ausgeschlossen. Auch diese Idee ist | |
längst in Deutschland angekommen. | |
Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, möchte seine zündelnden | |
Problemfans loswerden, indem er die billigen Stehplatztickets abschafft. | |
Auch DFB-Präsident Theo Zwanziger hat in den letzten Tagen die Abschaffung | |
der Stehplatzbereiche, in denen die Ultras die Fankultur pflegen, in die | |
Diskussion gebracht. | |
## Geprüft wird alles | |
Vieles, was in Europa im Umgang mit den Fans als vorbildlich angesehen | |
wird, steht auf dem Prüfstand, auch wenn am Montag viel von Dialog und | |
Prävention gesprochen wurde. | |
In keinem anderen Land gibt es so viele Fanprojekte wie in Deutschland. In | |
51 derartigen Einrichtungen versuchen Sozialarbeiter den Kontakt zu den | |
Ultras zu pflegen, die sich ansonsten von der Gesellschaft bewusst | |
abschotten und ein Außenseiterimage pflegen.0 | |
Die Präventionsmaßnahmen gelten schon allein deshalb als durchaus | |
erfolgreich. Anlässlich des runden Tischs wurden die Verantwortlichen aus | |
Politik und Sport in einem offenen Brief, an dem Dembowski mitgearbeitet | |
und den eine Vielzahl von Sport- und Sozialwissenschaftlern unterzeichnet | |
hat, eine Mindestausstattung der Fanprojekte mit Personal gefordert. | |
"Statten Sie alle Fanprojekte so aus, wie es das NKSS vorschreibt", heißt | |
es da. NKSS? Das ist das Nationale Konzept Sport und Sicherheit. | |
## Das Geld fehlt | |
Der DFB, die Bundesligaklubs, die Innenminister des Bundes und der Länder | |
sowie die Polizei machten sich schon 1993 Gedanken über die Sicherheit in | |
den Stadien. Ein zentraler Punkt damals war die Sozialarbeit mit den Fans. | |
Man war sich einig, dass ein ordentlich finanziertes Fanprojekt über drei | |
hauptamtliche Mitarbeiter und eine Verwaltungskraft verfügen sollte. | |
Finanziert wurde das bisher nirgends. Daran wird sich wohl auch nichts | |
ändern. Und die Stimmung hat sich längst Richtung Repression gedreht. "Ich | |
traue mich das heute fast schon nicht mehr zu fordern", meint Dembowski. | |
Es herrsche die reinste Hysterie, wenn es um das Thema Fans geht. Das ist | |
regelmäßig so. Ein letzter runder Tisch zu Gewalt in den Stadien ist noch | |
keine zwei Jahre her. Ein Ergebnis der unter Leitung des damaligen | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière war im Mai 2010 ein 10-Punkte-Plan, | |
der vom DFB gemeinsam mit der DFL vorgestellt wurde. Punkt 2 lautet: | |
"Intensivierung der atmosphärischen Kommunikation". | |
## Es wid weitergezündelt | |
Wie ernst es den Verbänden mit dem Dialog ist, wurde nicht erst dadurch | |
deutlich, dass zum runden Tisch im Innenministerium kein einziger | |
Fanvertreter eingeladen wurde. Beispielhaft für die mangelnde | |
Kommunikationsbereitschaft der Verbände war bereits der Abbruch der | |
Gespräche mit Ultragruppierungen, die die Erlaubnis für geordnetes | |
Abbrennen von bengalischen Feuern erreichen wollten. | |
In Dembowskis offenem Brief, den unter anderem der Sporthistoriker Lorenz | |
Peiffer, der Philosoph Gunter Gebauer und der Sozialpsychologe Detlev | |
Claussen unterzeichnet haben, heißt es dazu: "Nach dem Verlauf der | |
Gespräche ist nicht zu erwarten, dass die Fan- und Ultraszene nun auf | |
Pyrotechnik verzichtet. Im Gegenteil: Es wird in Zukunft weitergezündelt | |
werden. Besonders aktuell im frischen Frust." | |
Gerd Dembowski sieht schon die nächsten aufgeregten Diskussionsrunden | |
kommen. "Immer wenn eine Fackel im Stadion abgebrannt wird, laufen die | |
Drähte heiß und eine neue Gewaltdebatte startet", meint Dembowski. | |
14 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
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