# taz.de -- Debatte Intervention in Syrien: Krieg und Menschenwohl | |
> Wann ist eine "humanitäre Intervention" humanitär? Sechs Kriterien, die | |
> eher gegen ein Eingreifen in Syrien sprechen. | |
Bild: Die freie syrische Armee wird wohl keine militäre Unterstützung bekomme… | |
Es war eine beeindruckende Mehrheit von 137 zu 12 Stimmen, mit der die | |
UN-Vollversammlung am 16. Februar das syrische Regime für das Blutvergießen | |
an der eigenen Bevölkerung verurteilt. Baschar al-Assad wird das jedoch | |
nicht jucken. | |
Denn die Mächte, die bisher im Sicherheitsrat eine Syrien-Resolution | |
verhindert haben, stehen weiter auf seiner Seite. Und so können sich auch | |
die geschundenen Bürger von Homs und anderen Städten nicht wirklich über | |
die Solidarität der Staatengemeinschaft freuen, denn Resolutionen der | |
Vollversammlung sind wie weiße Salbe. Sie bleiben folgenlos. | |
Nur der Sicherheitsrat kann Sanktionen nach Artikel 41 der UN-Charta | |
verhängen oder gar Streitkräfte nach Artikel 42 entsenden, und da machen | |
China und Russland von ihrem Vetorecht Gebrauch. | |
Doch was wäre, wenn der Sicherheitsrat in der Verurteilung des | |
Assad-Regimes einig wäre? Sollte und könnte die internationale Gemeinschaft | |
dann mit einer "humanitären Intervention" in Syrien für eine befriedete | |
Lage sorgen? | |
## Umstritten seit dem Altertum | |
Man versteht darunter in der Regel das militärische Vorrücken einer | |
internationalen Koalition auf das Gebiet eines anderen Staates, um dort | |
schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zu beenden, die entweder von der | |
Regierung an der eigenen Bevölkerung oder zwischen befeindeten | |
Bevölkerungsteilen verübt werden. Die Grundfrage dazu lautet: Wann ist eine | |
Intervention humanitär im Sinne von "speziell auf das Wohl des Menschen | |
gerichtet"? | |
Die Frage nach der Zulässigkeit eines solchen, die Souveränität des | |
betroffenen Staates ignorierenden Aktes ähnelt der schon im Altertum | |
diskutierten Frage, ob es einen "gerechten Krieg" geben kann. Wer Gewalt | |
und Krieg generell für inhuman hält, wird das schnell verneinen. Dem steht | |
die Auffassung gegenüber, notfalls müsse man Gewaltherrschern in den Arm | |
fallen können, wenn Appelle oder Sanktionen sie nicht davon abbringen, | |
Teile der eigenen Bevölkerung abzuschlachten. Doch dann ist | |
sicherzustellen, dass dabei nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben | |
wird. | |
Um dies zu erreichen, gibt es eine Reihe von Kriterien, die vor der | |
Entscheidung über ein Eingreifen zu prüfen sind. Werden schließlich Truppen | |
eingesetzt, dann ist ihnen Mäßigung aufzuerlegen, damit es nicht hinterher | |
heißt: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. | |
Aus ethischer Sicht ist eine Intervention dann zulässig, wenn es erstens | |
einen gerechten Grund gibt, also schwerste Verletzungen fundamentaler | |
Menschenrechte wie des Rechtes auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu | |
beenden sind. Das ist angesichts von über 6.000 Opfern, die seit Beginn der | |
Aufstände in den syrischen Städten gezählt wurden, zweifellos gegeben. | |
## Prinzip der Ultima Ratio | |
Zweitens muss die Entscheidung über den Eingriff von einer legitimen | |
Autorität getroffen werden, nach geltendem Völkerrecht vom | |
UN-Sicherheitsrat. Ist dieser wie im Fall Syrien durch das Veto zweier | |
Ständiger Mitglieder blockiert, dürfen die übrigen Mitglieder nicht auf | |
eigene Faust handeln, wie dies die Nato im Falle des Kosovo 1999 getan hat. | |
Es gäbe allerdings den Ausweg einer "Uniting for peace"-Entscheidung der | |
UN-Vollversammlung, die dem Generalsekretär empfiehlt, eine Intervention | |
einzuleiten. So weit ging die Syrien-Resolution Mitte Februar nicht. | |
Als Drittes gilt das Prinzip der Ultima Ratio: Gewalt darf nur als letztes | |
Mittel eingesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass politische und | |
wirtschaftliche Sanktionen schon ohne Erfolg versucht worden sein müssen. | |
Vielmehr ist eine Intervention auch dann erlaubt, wenn klar ist, dass | |
Sanktionen entweder zu langsam wirken oder die Bevölkerung stärker treffen | |
würden als die Machthaber. Mit Blick auf Syrien ist klar, dass der von ihm | |
abhängige Libanon ein Schlupfloch darstellt, das die Wirkung von | |
Wirtschaftssanktionen oder eines Waffenembargos minimiert. | |
Viertens ist abzuwägen, ob der von der Intervention angerichtete Schaden | |
nicht größer ist als das Leid, welches von den Menschenrechtsverletzungen | |
ausgeht. Das ist in den syrischen Städten, deren Bevölkerung zu schützen | |
wäre, zu befürchten, da die zu neutralisierenden syrischen Streitkräfte | |
genau dort kämpfen. | |
Fünftens muss durch den Eingriff ein dauerhafter Frieden möglich werden, | |
damit nicht nach dem Truppenabzug erneut Gewalt ausbricht. Das ist insofern | |
kaum zu erwarten, als es sich inzwischen um Kämpfe zwischen bestimmten | |
Religions- und ethnischen Gruppen (Alawiten, Sunniten, Christen, Kurden | |
usw.) handelt, sodass mit Rachespiralen zu rechnen ist. Das weist auf das | |
vorab am schwersten realistisch einzuschätzende sechste Kriterium: die | |
Aussichten auf Erfolg. Eigentlich dürfte eine Intervention nur dann | |
stattfinden, wenn tatsächlich mit ihrem Erfolg zu rechnen ist. Doch im | |
Moment würde auch im Fall Syrien nur das Prinzip Hoffnung gelten. | |
## Die libysche Erfahrung | |
Eine Abwägung aller Kriterien spricht eher dagegen, das Wagnis einer | |
Militärintervention auf sich zu nehmen. Bisher wurde sie für Syrien auch | |
von niemandem im Sicherheitsrat beantragt. Hierbei dürften die Erfahrungen | |
mit dem bisher letzten Kraftakt einer Intervention, der Durchsetzung der | |
Flugverbotszone über Libyen 2011, eine Rolle spielen. Dort stimmten die | |
Erfordernisse für die Zulässigkeit des Eingriffs auf der Grundlage einer | |
Sicherheitsrats-Resolution. | |
Es gab einen gerechten Grund: die Bedrohung der Bürger Bengasis durch | |
Gaddafi. Es bestand dadurch auch dringender Handlungsbedarf. Trotzdem | |
verloren in dem relativ bevölkerungsarmen Land viele Zivilisten ihr Leben. | |
Im weit dichter besiedelten Syrien wäre das bei einer Militäraktion, die | |
Assads Truppen in den Städten bekämpfen müsste, viel folgenschwerer. | |
Als Alternative wurde vor Kurzem eine klassische UN-Blauhelmtruppe ins | |
Gespräch gebracht, die von der Türkei oder dem Libanon aus humanitäre | |
Korridore zu schützen hätte. Eine solche Truppe müsste von beiden Seiten, | |
also Assad und dem Syrischen Nationalrat, dazu eingeladen werden. Auch | |
davon ist Syrien heute noch sehr weit entfernt. | |
24 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Berthold Meyer | |
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