| # taz.de -- Debatte Syrien: Eine Intervention ist möglich | |
| > Die völkerrechtlichen Debatten um Syrien drehen sich im Kreis, denn sie | |
| > setzen einen internationalen Konsens voraus. Es ist an der Zeit, mehr | |
| > Fantasie zu entwickeln. | |
| Bild: Syrische Kinder spielen nahe Homs auf einem zerstörten Polizeipanzer. | |
| Am Freitag erst verabschiedete die neu gegründete "Syrien-Kontaktgruppe" | |
| eine neue Erklärung. Diese dürfte Präsident Baschar Assad ebenso wenig dazu | |
| bewegen, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung einzustellen, wie die | |
| Verurteilung seines Regimes durch die UN-Vollversammlung in der letzten | |
| Woche. | |
| Leider sind auch die Erfolgschancen des neu ernannten gemeinsamen | |
| Sondervermittlers von UNO und Arabischer Liga äußerst gering - obwohl Kofi | |
| Annan sicherlich die beste aller denkbaren Personen für diese schwierige | |
| Aufgabe ist. | |
| In Syrien droht ein landesweiter und langwieriger Bürgerkrieg mit | |
| voraussichtlich weit mehr Toten als in Libyen. Das Land könnte zerfallen, | |
| und das würde die gesamte Nahostregion empfindlich destabilisieren. | |
| Um dieses schlimmstmögliche Szenario doch noch zu verhindern, bleiben zwei | |
| bislang unversuchte Optionen: eine "humanitäre Intervention" im | |
| internationalen Konsens oder das Angebot der strafrechtlichen Immunität und | |
| eines sicheren Exils für den Präsidenten Baschar al-Assad. | |
| ## Redundanz der Völkerrechtler | |
| Berthold Meyer [1][hat nach sorgfältiger Abwägung] der sechs wichtigsten | |
| politischen und völkerrechtlichen Kriterien von einer "humanitäre | |
| Intervention" in Syrien abgeraten. Dabei verwies er zu Recht auf | |
| fragwürdige oder gescheiterte Interventionen der jüngsten Vergangenheit: | |
| Libyen 2011 und Kosovo 1999. | |
| Ich stimme Meyers Argumentation in fast allen Punkten zu. Das Problem aber | |
| ist: Seine Argumentation verbleibt innerhalb der politischen | |
| Rahmenbedingung, dass die fünf Vetorechte im UN-Sicherheitsrat sich nicht | |
| einigen konnten. Nach dem Motto: Wenn der Sicherheitsrat den Dissens nicht | |
| überwinden kann, kann man auch nichts machen. Doch wenn ein Eingreifen zur | |
| Verhinderung oder Beendigung von Völkermord oder Verbrechen zu Debatte | |
| stand, waren sich die Staaten noch nie einig (mit Ausnahme von Ruanda | |
| 1994). Seit dem Kalten Krieg ist das die politische Realität. Die Debatten | |
| über Handlungsmöglichkeiten angesichts schwerster | |
| Menschenrechtsverletzungen haben sich in dieser Realität inzwischen allzu | |
| bequem und allzu fantasielos eingerichtet. | |
| In Syrien müsste es darum gehen, eine "humanitäre Intervention" im Konsens | |
| zwischen den fünf Vetomächten zu beschließen und dann auch gemeinsam | |
| umzusetzen. Als Erstes müssten eine Blauhelmtruppe stationiert und | |
| Landkorridore eingerichtet werden. Das sichert, dass die Bevölkerung mit | |
| lebenswichtigen Gütern versorgt wird, und es erlaubt den Transport von | |
| Verletzten und Flüchtlingen. Als weitere Aufgabe könnte die Sicherung von | |
| Städten und anderen zivilen Zielen hinzukommen. | |
| ## Kreative Angebote | |
| Vielleicht würde Assad gegen einen entsprechenden Konsensbeschluss zunächst | |
| noch protestieren. Aber wenn dann tatsächlich nicht nur US-amerikanische | |
| und russische, sondern auch chinesische, britische und französische | |
| Blauhelmtruppen in Syrien stationiert würden, ist schwer vorstellbar, dass | |
| Assads Streitkräfte gegen diese Truppen Krieg führten. Naive Illusionen | |
| eines Spinners? | |
| Im Herbst 1998 hieß der Spinner Alexander Vershbow, damals immerhin | |
| Botschafter der USA bei der Nato in Brüssel. Angesichts der schweren | |
| Menschenrechtsverstöße serbischer "Sicherheits"kräfte gegen die albanische | |
| Bevölkerung im Kosovo und der eskalierenden Gegengewalt der kosovarischen | |
| "Befreiungs"bewegung UCK unterbreitete Vershbow der Regierung Clinton in | |
| Washington einen detaillierten Plan für die Stationierung einer vom | |
| Sicherheitsrat mandatierten russisch-amerikanischen Blauhelmtruppe im | |
| Kosovo. "10.000 Soldaten wären erforderlich, wenn Serbiens Präsident | |
| Milosevic einwilligt, 30.000, wenn er dagegen ist", kabelte der Botschafter | |
| damals nach Washington. Sein Vorschlag landete dort im Papierkorb. | |
| Allein diese Episode widerlegt die Behauptung der Nato, ihre ab März 1999 | |
| per völkerrechtswidrigem Luftkrieg gegen Serbien geführte "humanitäre | |
| Intervention" sei die einzige Möglichkeit gewesen, die serbischen | |
| Menschenrechtsverletzungen im Kosovo zu beenden. Zurück nach Syrien. | |
| Von Washington bis Peking beteuern inzwischen alle an der Debatte | |
| beteiligten Regierungen, nichts sei so wichtig wie das Blutvergießen zu | |
| beenden. Sollten diese Beteuerungen ernst gemeint sein, müsste auch eine | |
| "humanitäre Intervention" im internationalen Konsens möglich werden. | |
| ## Das kleinere Übel | |
| In Moskau und Peking herrscht allerdings der Verdacht vor, es ginge dem | |
| Westen und den sunnitischen Mitgliedsregierungen der Arabischen Liga nicht | |
| um die Menschenrechte der Syrierinnen, sondern um den Sturz des Regimes | |
| Assad. Womöglich sei die Intervention nur die Vorstufe für einen Krieg | |
| gegen den Iran, um auch in Teheran die Regierung zu stürzen. | |
| Der Westen könnte einiges dafür tun, diesen Verdacht zu entkräften und | |
| damit die Chancen für ein gemeinsames Vorgehen mit Russland und China zu | |
| erhöhen. Und selbst wenn dies nicht gelingt oder gar nicht gewollt ist, | |
| gibt es immer noch eine Alternative zum Nichtstun: das Angebot | |
| strafrechtlicher Immunität und eines sicheren, komfortablen Exils für Assad | |
| und die Mitglieder seines Familienclans. Sie sind laut einer Liste des | |
| UN-Menschenrechtsrates hauptverantwortlich für die bislang in Syrien | |
| verübten Verbrechen gegen die Menschheit und andere schwere | |
| Menschenrechtsverstöße. | |
| Kofi Annan wäre der geeignete Mann, ein solches Angebot in einer Weise zu | |
| formulieren und zu überbringen, die Assad das Gesicht wahren lässt und | |
| damit die Chance erhöht, dass er annimmt. Gegen diese Option spricht zwar | |
| die Überzeugung vieler - auch meine -, dass die Aufarbeitung schwerer | |
| Menschenrechtsverletzungen und ihre strafrechtliche Ahndung eine | |
| wesentliche Voraussetzung für Gerechtigkeit und Versöhnung sind und damit | |
| für dauerhaften Frieden und die innere Stabilität eines Landes. | |
| Doch angesichts des drohenden Worst-Case-Szenarios für Syrien und seine | |
| Nachbarn wäre Exil und Straffreiheit für Baschar al-Assad das | |
| vergleichsweise kleinere Übel. | |
| 26 Feb 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Debatte-Intervention-in-Syrien/!88370/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Zumach | |
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