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# taz.de -- Syrischer Komponist über Widerstand: "Dieses Regime ist gegen Harm…
> Der syrische Komponist Malek Jandali spricht über die Situation in seiner
> Heimatstadt Homs und über das Versagen der internationalen Gemeinschaft.
Bild: Der Komponist Malek Jandali an seinem Instrument.
sonntaz: Herr Jandali, letzten Juli haben Sie bei einer
Protestdemonstration in Washington ein Klavierstück gespielt. Danach sind
Ihre Eltern in Homs, Syrien überfallen und zusammengeschlagen worden. Wie
geht es Ihren Eltern jetzt?
Malek Jandali: Gott sei Dank sind sie in Sicherheit. Nach der Attacke
konnte ich sie in die USA holen. Sie leben jetzt bei mir in Atlanta.
Psychologisch ist es schwierig, so aus dem Land und seiner Geschichte
herausgerissen zu werden. Aber wir versuchen, es positiv zu wenden. Es
stärkt unsere Entschlossenheit, gegen die Brutalität der Diktatur Stellung
zu beziehen.
Wann waren Sie selbst zuletzt in Syrien?
Im März 2011. Damals habe ich in Damaskus die erste Protestdemonstration
erlebt. Es war eine Mahnwache mit Kerzen zur Unterstützung des libyschen
Volks, der libyschen Revolution. Ich konnte es damals kaum glauben. Es war
auch der Anfang der friedlichen Revolution in Syrien.
Haben Sie im März 2011 erwartet, dass eine syrische Bewegung entstehen
würde?
Ehrlich gesagt: Niemand hat damals mit der Tapferkeit der syrischen
Jugendlichen gerechnet. Ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit, ihrem
Patriotismus. Dieses Regime hatte alles okkupiert, sogar den Familien- mit
dem Landesnamen gleichgesetzt: "Syrien al-Assad". Seit 40 Jahren. Wir
glaubten, dass die meisten weiter den Diktator bewundern, statt ihr Land zu
lieben.
Wie hat der Aufstand Ihre Arbeit als Musiker verändert?
Kunst ist auch ein Spiegel der Realität. Ohne die Suche nach Schönheit und
Wahrheit kann es keine aussagekräftige Kunst geben. Durch meine Musik
beschreibe und reflektiere ich teilweise auch die Ereignisse vor Ort. Die
Revolution oder die Geschichte von Qashoush.
Der syrische Sänger, der die Hymne der Protestbewegung komponiert hat und
im Juli in Hama ermordet wurde.
Ich habe versucht, mit Musik und Kinematografie die Geschichte dieses
syrischen Künstlers zu erzählen. Er hat gegen die Diktatur angesungen. Die
Qashoush-Symphony steht seit 10. Februar im Web und wurde schon 90.000-mal
angeklickt.
Glaubten Sie, als klassischer Musiker und Komponist immer auch schon ein
politischer Künstler zu sein?
Ich bin ein humanistisch geprägter Künstler aus Syrien.
Was meinen Sie damit genau?
Ich war nie unmittelbar in Politik involviert. Meine Musik versteht sich
als Brückenbau zwischen Kulturen. In meinem ersten Album - "Echos from
Ugarit" - habe ich die älteste Partitur der Welt vorgestellt. Vor 3.000
Jahren haben syrische Künstler das "Alphabet von Ugarit" erfunden. Ugarit
war eine Stadt mit echter Kunst, Amphitheatern, Opernhäusern und
Konzertsälen. Aber wenn eine Diktatur die Gedanken und Gefühle
kontrolliert, gibt es keine richtige Kunst. Das Regime versucht die Kunst
zu instrumentalisieren.
Was ist unter den Assads kulturell in Syrien passiert?
Nennen Sie mir einen glaubwürdigen syrischen Komponisten in der modernen
Geschichte. Gibt es nicht. Das Regime hat alles limitiert und alles
kontrolliert: Musik, Film, Malerei. Dieses Regime produziert Hass, Spaltung
und Analphabetismus. All das ergibt Ignoranz. Dieses Regime ist gegen
Harmonien: Die Individuen sind gezwungen, den Ton der Brutalität zu
spielen, der der Diktatur gefällt. Aber das syrische Volk war eine
wunderbare Symphonie und wird es wieder werden. Mit verschiedenen Tönen und
Farben. Wir erleben eine Kulturrevolution in der syrischen Kunst, in
Literatur, Meinungsfreiheit. Die syrische friedliche Revolution ist auch
eine kulturelle und künstlerische. Es ist der Anfang einer neuen Ära in
allen Bereichen, auch der Kunst.
Sie leben nun Tausende von Kilometern von Syrien entfernt. An wen richten
Sie sich, an die internationale oder die syrische Öffentlichkeit?
Ich richte mich an keine bestimmte Nation oder Gruppe. Ich bin ein
muslimischer Künstler aus Syrien, in Deutschland geboren und in Homs
aufgewachsen. Ich war auf der katholischen Schule in Homs. Ich habe zehn
Jahre lang Orgel in Homs gespielt. Ich habe meinen Hadsch nach Mekka
gemacht. Und ich komponiere Musik in Atlanta. Meine Musik ist für die
Menschheit, ob Syrer, Deutsche oder Amerikaner. Mein neues Album handelt
von meiner Heimat Syrien und wirft ein Licht auf die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Es ist meine Pflicht, dies mit den Mitteln der Musik zu
tun. Ich sende damit den Leuten in Syrien eine Botschaft von Liebe,
Unterstützung und Einheit. Sage aber auch: Hey, es gibt mehr als die 20
Millionen Syrer innerhalb des Landes.
Werden Sie im Ausland bedroht?
Ich bekomme Morddrohungen per E-Mail, Telefon und Facebook. Es sind
Botschaften von Hass und voll negativer Energie. Es heißt: Wir bringen dich
um, du musst mit dieser Musik aufhören. Ich sei ein Verräter. Aber zum
Glück lebe ich in einem freien Land und bin nicht wie meine Landsleute in
Syrien mit Panzern aus Russland konfrontiert. Aber jedes Mal, wenn ich ein
weiteres getötetes syrisches Kind sehe, wächst meine Entschlossenheit. Wenn
ein freier Syrer aus Homs in die richtige Umgebung kommt, wie Steve Jobs
Jandali - dessen leiblicher syrischer Vater Abdulfattah Jandali hieß -,
kann er, wie wir gesehen haben, iMacs, iPhone und andere Computer erfinden.
Sind Sie mit Steve Jobs und seinem biologischen Vater verwandt?
Sein und mein Vater sind Cousins. Die Diktatur unterdrückt mit ihrer
Gedankenkontrolle die künstlerische Kreativität. Aber wenn Individuen
Syrien verlassen und in freien Ländern wie Deutschland und Frankreich und
USA leben, können sie die Welt verändern. Wie eben Steve Jobs.
Was hat die internationale Gemeinschaft in Syrien falsch gemacht?
Ich bin kein Politiker. Aber, ich bitte die freie Welt, dem syrischen Volk
beizustehen. Und nicht dem Regime, das sein eigenes Volk bombardiert.
Stellen Sie Sich einmal vor, die Bundeswehr würde Frankfurt bombardieren
und die Welt guckt einfach zu. Das ist inakzeptabel. Egal wo in der Welt.
Egal welche Umstände. Egal welche Religion. Das hat mit Menschlichkeit zu
tun. Es ist eine humanitäre Krise.
Welche Hilfe erwarten Sie von außen?
Stoppt das Blutvergießen, die Verbrechen. Wir wissen, dass Russland und
China Vetos gegen jede UN-Resolution einlegen. Aber ich glaube nicht, dass
das russische oder das chinesische Volk unterstützen, was das Regime tut.
Die internationale Gemeinschaft muss Druck machen, um die Massaker zu
stoppen.
Sie sprechen von friedlicher Revolution, aber die Opposition in Syrien
kämpft auch bewaffnet.
In Daraa, Homs und Damaskus stehen Jugendliche, Kinder und Frauen mit
nackten Händen vor Panzern. In diesem Sinn ist die Revolution friedlich.
Und wir haben die "Freie Syrische Armee", die diesen Namen zurückholt. Denn
das, was heute syrische Armee genannt wird, sind Assads Gangster, die das
syrische Volk angreifen. Es ist eine Gang, die eine Diktatur verteidigt.
Das ist nicht die syrische Armee.
Al-Qaida ruft ebenfalls zur Unterstützung des Aufstands auf. Westliche
Geheimdienste sprechen davon, dass Al-Qaida-Kräfte sich in Syrien unter die
Opposition mischen.
Ich spreche als humanistisch gesinnter Musiker, bin kein Politiker. Das
Problem ist: Wir haben eine Diktatur, die das eigene Volk killt. Da musst
du dich entscheiden: Bist du mit den Killern oder den Opfern? Ich bin mit
den Opfern. Das syrische Volk hat ein einfaches und nobles Anliegen, wie
das deutsche, das amerikanische oder das französische: Freiheit. Aber wer
in Syrien von Freiheit spricht, dem wird in den Kopf geschossen. Mit diesem
Reden über al-Qaida versucht das Regime, das Thema zu wechseln. Doch das
syrische Volk will eine echte syrische Revolution. Die Freiheit. Und dafür
zahlt es einen hohen Preis. Mehr als 8.000 Syrer wurden schon umgebracht.
Die Armee bombardiert Zivilisten! Doch am Ende wird die Freiheit stehen.
Wir sind schon jetzt frei, weil wir uns trauen, das Regime im In- und
Ausland öffentlich zu kritisieren. Die syrische Revolution hat die Mauer
der Angst längst durchbrochen.
Bis zum März 2011 hätten Sie Assad nicht öffentlich kritisiert?
Nein, das hätte ich nicht gewagt. Das ist leider wahr. Das Regime unterhält
Botschaften in Deutschland und in den USA, es sind Spionagezentren des
Diktators. Ich selbst bin ein Beispiel dafür. Ich habe es selbst erlebt,
als ich ein fünf Minuten langes Stück mit dem Titel "Ich bin mein
Heimatland" im Ausland gespielt habe. Syrien ist darin nicht einmal
erwähnt. Aber das Wort: "frei". Das hat das Regime nicht toleriert. Das war
schon zu viel. Sie haben meine 64 Jahre alte Mutter und meinen 74-jährigen
Vater in Syrien zusammengeschlagen. Dieses Regime schüchtert ein,
kontrolliert, verfolgt, terrorisiert und tötet. Es ist eine terroristische
Gruppe, bösartiger als alles, wovon die internationale Gemeinschaft
spricht. Im Jahr 1982 hat dasselbe Regime bereits mehr als 40.000 Syrer in
weniger als drei Wochen getötet. Die Assads haben mehr Syrer getötet als
jeder angebliche und ausländische Feind.
Wann werden Sie nach Syrien zurückkehren?
Wenn das Regime fällt. Und das ist nur noch eine Frage der Zeit. Das
syrische Volk ist schon frei und drückt seine Gedanken und Gefühle aus.
Sobald Assad weg ist, werde ich nach Damaskus gehen, damit dort ein
Orchester meine Qashoush-Symphonie zur Aufführung bringt.
24 Feb 2012
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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