# taz.de -- Debatte Arabellion: Die Taktik der Golfherrscher | |
> Was wollen die Monarchen in Saudi-Arabien, Katar und Bahrain? Ihr | |
> wachsender Einfluss bedroht den politischen Aufbruch in der Region. | |
Bild: Hat zur Not immer ein Taschentuch neben sich. Der überall mitmischende E… | |
Es ist ein Horrorszenario, das der ägyptische Professor Samir Amin unlängst | |
entworfen hat: Eine erste Welle von Revolutionen fegt arabische Diktaturen | |
hinweg. Eine zweite Welle bringt islamistische Regierungen an die Macht, | |
die mit EU und USA bestimmte Grundbedingungen aushandeln: keine aggressive | |
Politik gegenüber Israel, Kontinuität in den Handelsbeziehungen, ein | |
Minimum an Meinungs- und Religionsfreiheit. | |
Im Gegenzug bleiben westliche Staaten weiter Partner, liefern Know-how und | |
Waffen, instruieren die Armeen, erteilen großzügig Kredite. Die Dynamik der | |
Revolution wird gebremst. Nach erfolgreich vollzogenem Paradigmenwechsel | |
von der Diktatur zum "gemäßigten" Islamismus behält der Westen die | |
Kontrolle über die Ressourcen und die Außenpolitik der neuen arabischen | |
Staaten. | |
Darin, so Amin, langjähriger Leiter des Dritte-Welt-Forums in Dakar, | |
bestehe das wahre Ziel der alten Kolonialmächte. Schon lange, seit den | |
1920er Jahren, benutzten sie den Fundamentalismus, um Arabern die Idee der | |
Freiheit auszutreiben. Jetzt seien die alt-neuen Mächte endlich am Ziel: In | |
einer letzten Bewegung könnten sie mithilfe der Religiösen die Demokratie | |
in der Region ein für allemal erledigen - und die arabische Welt noch | |
einmal um ihre Unabhängigkeit bringen. | |
Eine Verschwörungstheorie? Durchaus. Was Amin da unterstellt, eine über | |
hundert Jahre zwischen Paris, London, Washington und Brüssel koordinierte | |
Islamisierungspolitik, setzt fantastische Planungsapparate voraus, von | |
denen Politiker nur träumen können. | |
## Rückständiger Islam als kleinster gemeinsamer Nenner | |
Etwas vom Szenario des Ägypters könnte dennoch Gestalt annehmen. Vielleicht | |
gerade, weil es diese großen Entwürfe nicht gibt, weil jede Generation den | |
gleichen Fehler macht, ähnlich "pragmatische" Lösungen zu suchen und dabei | |
auf das setzt, was der vermeintlich kleinste gemeinsame Nenner unter | |
Muslimen ist: ein rückständiger Islam. | |
Die Apanage der Briten an die Warlordfamilie al-Saud Anfang des 20. | |
Jahrhunderts - Pragmatismus. Deren wahhabitische Ideologie, von den | |
US-Strategen als Speerspitze gegen die Sowjets in Afghanistan gebraucht - | |
Pragmatismus. Die Taliban, um die Verbindungswege durch Zentralasien zu | |
sichern - Pragmatismus. Die Demokratisierung am Hindukusch, ein zu hoch | |
gestecktes Ziel, stattdessen wieder: Zusammenarbeit mit einer wahhabitisch | |
inspirierten Zentralregierung und mit Warlords - Pragmatismus. Den | |
Golfkooperationsrat nun als Instrument für eine demokratische Neuordnung | |
Arabiens zu verstehen, könnte ein weiteres Beispiel sein. | |
Wenn dessen Staaten, angeführt vom Emir von Katar, Partei für den | |
politischen Aufbruch ergreifen, in Libyen oder Syrien, was versprechen sie | |
sich dann von ihm? Mehr Demokratie in der Region? Zur Gruppe dieser Länder | |
gehören auch Bahrain, dessen König friedliche Proteste brutal | |
niederschlagen ließ, und Saudi-Arabien, dessen Armee ihm dabei hilft. | |
Der neue Wortführer Arabiens ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Er | |
beherbergt den Nachrichtenkanal al-Dschasira, vermittelt in der | |
Palästinapolitik, in Afghanistan, stößt in der Arabischen Liga Initiativen | |
an zu Libyen, zu Syrien … Dass sich in seinem Land eine Revolution | |
abspielte; dass sich dort auch nur ein liberales Denken entwickelt hätte, | |
eine Demokratie, ein Reformislam, eine Diskussion über die Relevanz einer | |
mittelalterlichen Scharia im 21. Jahrhundert; dass rationalistisch | |
orientierte Gelehrte nach Doha eilten und die Mythen der Vergangenheit zu | |
hinterfragen begännen, so etwas ist bisher noch nicht vermeldet worden | |
(auch nicht auf al-Dschasira). | |
Eher lässt sich das Gegenteil beobachten. Die scheinbar nonkonformistische | |
Politik des Emirs von Katar dürfte hauptsächlich darauf aus sein, sich | |
gegenüber dem mächtigen Nachbarn Saudi Arabien zu profilieren. Die Taktik | |
der Golfherrscher könnte darin bestehen, in Ländern wie Syrien, Libyen, | |
Ägypten zunächst mithilfe einer Facebook-Generation die Diktatoren zu | |
stürzen, um dann salafistische oder gemäßigte islamistische Regime zu | |
unterstützen. | |
Schon jetzt melden sich westliche Politiker und Beobachter zu Wort, man | |
möge doch bitte den Menschen in den arabischen Ländern keine Vorschriften | |
machen, wie sie sich zu regieren hätten. Wenn sie die Fundamentalisten | |
wollten, dann wollten sie die eben, und dann müsste die Region da durch. | |
## Gefährliches Syrien-Szenario | |
Vergessen wird dabei, dass es sich um eine Selffulfilling Prophecy handelt. | |
Die Gefahr läge in folgendem Szenario: Eine von den Golfstaaten dominierte | |
Arabische Liga autorisierte eigene Armeen oder "Vertragsnehmer", in Syrien | |
militärisch einzugreifen. Das Regime in Teheran fühlte sich dadurch | |
bedroht. Die Arabellion geriete zu einer möglicherweise bewaffneten | |
Auseinandersetzung zwischen einem sunnitischen und einem schiitischen | |
Block, Falken und Hardliner auf beiden Seiten setzten sich durch, das | |
Feindbild Schiiten ließe den Einfluss fundamentalistischer Sunniten über | |
die Gesellschaften noch wachsen. | |
Das wäre fatal. Denn jenseits der Chomeini'schen Revolutionsideologie | |
bietet die Schia einen guten Nährboden für Erneuerung. Nicht die | |
Unterordnung unter einen Staat und einen Führer steht dort im Vordergrund, | |
sondern die Diskussion über zeitgemäße Konzepte. "Es gibt keinen Imam außer | |
der Vernunft", so hat es der schiitische Theologe Mohammed Magniya vor | |
Jahrzehnten einmal ausgedrückt - und damit das gesagt, was viele junge | |
Leute im Iran heute unterschreiben würden. | |
Eine schiitisch-sunnitische Konfrontation könnte den Erneuerern überall in | |
der Region die Atemluft entziehen. Was an sich begrüßenswert ist, nämlich | |
einen Diktator wie Baschar al-Assad abzulösen, sollte daher nicht als | |
Mittel zum Zweck enden, die Macht der Golfmonarchien zu stärken. Deshalb | |
wäre es, auch angesichts der Gewaltszenen in Syrien, falsch, sich in einen | |
Krieg hineintreiben zu lassen. | |
Ob dann der Westen die Golfemire instrumentalisiert oder die Golfemire den | |
Westen - das Ergebnis sähe vielleicht so aus, wie es der ägyptische | |
Professor Samir Amin befürchtet: Die Selbstbestimmung der arabischen | |
Bevölkerung könnte wieder einmal scheitern. | |
19 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Marc Thörner | |
## TAGS | |
Marxismus | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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