# taz.de -- Arabellion in Ägypten: Bilder eines Aufstandes | |
> In Kairo erzählt eine Mauer mit Graffiti von der ägyptischen Revolution. | |
> Sie ist stets in Gefahr, von Helfern der Militärjunta weiß übermalt zu | |
> werden. | |
Bild: Revolution als dynamischer Vorgang: Malen und Übermalen der Szenen des A… | |
KAIRO taz | Die Mohammed-Mahmud-Straße in Kairo wird gerade von Passanten | |
und Fotografen entdeckt; sie entwickelt sich langsam zu einer Kultstätte. | |
Im Arabischen wird sie auch sharei uyuun al-hurriyyah genannt, die Straße | |
mit den Augen der Freiheit. Berühmt wird sie gerade, weil sie die | |
Revolution in Graffiti erzählt, die gleichzeitig ständig in Gefahr sind, | |
von den Sicherheitsbehörden mit Weiß übertüncht zu werden. | |
Mohammed Mahmud ist eine der Hauptstraßen, die auf den Tahrirplatz geht und | |
am Hintereingang der American University of Cairo (AUC) vorbeiführt. Die | |
Straße wird ein Ort der Erinnerung an die Revolution bleiben, weil sie | |
Zeugin einiger der dramatischsten und gewaltsamsten Momente Ägyptens in den | |
zurückliegenden Monaten November, Dezember und Februar wurde. | |
Etwa als Hunderte Demonstranten von der Polizei mit Tränengas beschossen | |
und einige von ihnen verletzt oder gar getötet wurden. Während dieser | |
Ereignisse hatten Polizei- und Scharfschützen Berichten zufolge auf die | |
Augen von Demonstranten gezielt und in einigen Fällen auch getroffen. Nach | |
den Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften | |
zwischen dem 19. und dem 24. November vorigen Jahres errichteten | |
Sicherheitskräfte in der Mohammed-Mahmud-Straße eine massive Mauer aus | |
Zementblöcken. Diese trennte die Straße in der Mitte und unterteilte sie in | |
zwei verschiedene Bereiche. | |
In diesem Februar wurde die Mauer durch Revolutionäre und Anwohner wieder | |
zerstört, die sich in jener Zeit gegen die Sicherheitskräfte stellten. | |
Weitere Mauern und Absperrungen wurden gebaut und blockieren die vielen | |
Seitenstraßen, die auf die parallel verlaufende Sheik-Rehan-Straße führen. | |
Hier liegt das monumentale Innenministerium, das zurzeit mit Panzern und | |
Kontrollpunkten mit viel Stacheldraht geschützt wird. | |
## Nebenschauplatz Mauer | |
Noch bedeutsamer als die Mauer, die sich quer durch die | |
Mohammed-Mahmud-Straße zog, ist die Mauer des alten Universitätsgeländes | |
der AUC. Während des ganzen letzten Jahres regelmäßig mit Wandbildern | |
versehen, wurde sie zu einem – allerdings sehr kreativen – | |
Nebenkriegsschauplatz: dem der Auseinandersetzung zwischen fantasievollen | |
Graffitikünstlern und dem Sicherheitspersonal der Militärjunta. Letzteres | |
besteht verzweifelt darauf, die bemalten Mauerabschnitte immer wieder weiß | |
zu übermalen, um die spöttischen Parolen, die frechen Beleidigungen des | |
Obersten Rats der Streitkräfte und die teils ziemlich ironisch-komischen | |
Zeichnungen zu beseitigen. | |
Neben Hohn und sarkastischer Ironie sind es die Erinnerungen an die | |
Märtyrer, die diese Wandmalereien so bewegend machen. Während einer großen | |
Freitagsdemonstration im letzten September etwa besetzten die | |
Ultrafußballfans einen Großteil des Tahrirplatzes. Sie erfüllten die | |
Mohammed-Mahmud-Straße mit Musik, trugen einträchtig Transparente und | |
riefen ihre populären Parolen. An jenem Freitag konnte man viele Kinder und | |
junge Männer auf der Mauer der AUC in der Mohammed-Mahmud-Straße sitzen | |
sehen, während viele Graffitikünstler geschäftig die Mauern bemalten. | |
Nach den Kämpfen, die im letzten November und Dezember in der | |
Mohammed-Mahmud-Straße und in ihrer direkten Umgebung stattfanden, wurde | |
die Mauer der AUC um einige Meter erhöht. Diese Maßnahme führte zur | |
Plünderung des Hauptsitzes der AUC und zur Verwundung einiger | |
Sicherheitsmänner der Universität. Vorbereitend auf den ersten Jahrestag | |
der ägyptischen Revolution am 25. Januar, versuchten die ägyptischen | |
Autoritäten, die Graffiti zu beseitigen, indem sie die Mauer mit | |
gelb-weißer Farbe übermalten. | |
## Die Revolution in Szenen | |
Nur einen Tag später war die Mauer wieder voll mit großflächigen | |
Zeichnungen. Die Wandmalereien geben einen visuellen Eindruck von fast | |
jedem der gewaltsamen Übergriffe der Sicherheitskräfte, die oft mit | |
Tränengaseinsatz gegen die Demonstranten endeten oder sogar Todesopfer | |
forderten. Deshalb zeigen die Graffiti sehr oft maskierte, entstellte oder | |
einäugige Demonstranten. Als Folge des Massakers in Port Said, bei dem | |
Ultras vom Fußballverein Al-Ahly aus Kairo getötet wurden, tauchte ein Bild | |
auf der Mauer auf, das die Ultras als im Himmel ruhende Engel darstellte. | |
Ein anderes zeigte sie in einem Sarkophag aufgebahrt, ähnlich einer | |
Beerdigungszeremonie im alten Ägypten. | |
Immer wieder tauchten in den Wandmalereien Figuren wie der mutige | |
Talkshowmoderator Yusri Fuda oder der ehemalige Präsident Gama Abdel Nasser | |
auf – ebenso wie weibliche Demonstranten, die von Sicherheitskräften | |
öffentlich entkleidet und misshandelt werden; zahlreiche revolutionäre | |
Märtyrer, die scheinbar aus einer anderen Welt zurückkehren. All diese | |
gewaltsamen Begegnungen und Zusammenstöße mit der Junta sind auf den Mauern | |
dieser denkwürdigen Straße wunderbar dokumentiert. | |
Die lebhaften Bilder haben die Muhammed-Mahmud-Straße fast in einen Tempel | |
– oder eher in eine Gedenkstätte – verwandelt, die ständig besucht und | |
fotografiert wird. Zumindest bis die Graffiti wieder einmal unter weißer | |
Farbe verschwinden. Die Mohammed-Mahmud-Straße entwickelt sich außerdem zu | |
einem Ort, an dem vor dem Hintergrund der Revolutionsgraffiti posiert wird | |
und Gruppenfotos gemacht werden. Nicht selten kann man Passanten auf der | |
Straße beobachten, wie sie Fremden von ihren Erfahrungen und Erinnerungen | |
an die Revolution erzählen. | |
## Eine eigene Dynamik | |
Am 24. Februar 2012 schließlich wurden die Mauern der | |
Mohammed-Mahmud-Straße ein weiteres (vielleicht das zwanzigste) Mal mit | |
weißer Farbe überstrichen. Nicht angerührt wurde das Bild der Ultramärtyrer | |
im Sarkophag, das sich nahe dem Eingang der AUC befindet. Das ist | |
bezeichnend. Vielleicht hat es die Junta aus Angst vor dem Fluch des | |
Pharaos in Ruhe gelassen, weil es eine alte ägyptische Beerdigungszeremonie | |
darstellt. Ganz bestimmt muss das Bild die „professionellen Radierer“ | |
bewegt haben. | |
Allerdings weiß niemand, wie lange dieses Kunstwerk auf der Mauer überleben | |
wird. Das wiederkehrende Element dieser Ausdrucksformen zeigt, dass eine | |
Revolution ein dynamischer Vorgang ist. Ein Vorgang, der aus gewagten | |
Formen der Auseinandersetzung besteht. Formen der Auseinandersetzung, die | |
kontinuierlich die Kreativität und ein starkes Verlangen fördern, den | |
Moment fotografisch zu dokumentieren, ehe er verfliegt. | |
15 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Mona Abaza | |
## TAGS | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
Berlinale 2012 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Soziologe über Graffiti-Kunst: „Pixação ist ein ästhetischer Übergriff“ | |
Kurator Zmijewski gibt sich offen – doch bei der Biennale kamen Aktivisten, | |
die sich nicht an die Spielregeln hielten. Soziologe Sergio Franco spricht | |
über echte Gefühle. | |
Internationales Frauenfilmfestival in Köln: Notwendigkeit, Ghetto, Schutzraum? | |
Das Internationale Frauenfilmfestival stellte an sechs Tagen das aktuelle | |
Schaffen von Filmemacherinnen vor. In diesem Jahr lag der Fokus auf der | |
„Arabellion“. | |
Präsidentschaftswahl in Ägypten: Die Favoriten sind raus | |
Die Kandidaten des alten Regimes, der Muslimbrüder und der Salafisten | |
dürfen bei der Wahl in Ägypten nicht antreten. Damit verschieben sich die | |
Gewichte. | |
Neuordnung in Ägypten: Rückschlag für Islamisten | |
Die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung wird ausgesetzt. Liberale | |
Politiker, Kopten und Wissenschaftler hatten das Gremium aus Protest | |
verlassen. | |
Proteste gegen Goethe Institut in Ägypten: Peinlich eingeknickt | |
Das Goethe Institut Kairo schaltete einen kritischen Blog ab – es wollte | |
keine politische Rolle spielen. Nach Protesten ist der Blog wieder online. | |
Debatte Arabellion: Die Taktik der Golfherrscher | |
Was wollen die Monarchen in Saudi-Arabien, Katar und Bahrain? Ihr | |
wachsender Einfluss bedroht den politischen Aufbruch in der Region. | |
Arabische Filme auf der Berlinale: Das leichte Beben der Erde | |
Neben Dokumentarfilmen zur Revolution gibt es auf der Berlinale auch | |
arabische Spielfilme. "Death for Sale" und "My Brother the Devil" erzählen | |
Außenseitergeschichten. | |
Debatte Arabische Revolutionen: Revolutionen blühen nicht | |
Nun verlieren auch freudige Beobachter des Arabischen Frühlings die Geduld | |
mit den harten Kämpfen für Demokratie. Warum nur? | |
Ein Jahr nach Beginn der Arabellion: Wieder Selbstverbrennungen in Tunesien | |
Ein Familienvater starb, nachdem er sich selbst angezündet hatte. Er wollte | |
gegen die Arbeitslosigkeit protestieren. Insgesamt wurden fünf | |
Selbstverbrennungen aus ganz Tunesien gemeldet. |