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# taz.de -- Linker Ökonom Samir Amin gestorben: Abschied von einem Marxisten
> „Bei Marx beginnen und nicht bei Lenin oder Mao enden“ – so beschrieb
> Globalisierungskritiker Samir Amin seine Haltung. Nun ist er in Paris
> gestorben.
Bild: Unterstützte die internationalen Bauernbewegung La Vía Campesina bis zu…
WIEN taz | Auf den Weltsozialforen von Porto Alegre bis Dakar hingen die
Teilnehmer an seinen Lippen: Samir Amin war auf den
Vernetzungsveranstaltungen der Globalisierungskritiker einer der schärfsten
Kritiker der aktuellen Weltordnung. „Imperialismus ist nicht ein Stadium,
nicht einmal das höchste Stadium des Kapitalismus“, pflegte er Lenin zu
widerlegen: „Er ist der Expansion des Kapitalismus inhärent.“
„Kreativer Marxist“, so beschrieb Samir Amin sich selbst. Für ihn hieß da…
„Bei Marx beginnen und nicht bei Lenin oder Mao enden.“ In der Tat hat der
1931 in Kairo als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer französischen
Mutter geborene Intellektuelle die Entwicklung vom panarabischen
Sozialismus der 1950er Jahre bis zur modernen Globalisierungskritik der
Gegenwart durchgemacht – nicht ohne dabei manchem Irrweg zu folgen.
So begrüßte er anfangs das blutige Regime der Roten Khmer in Kambodscha
wegen seiner „raschen De-Urbanisierung und seiner ökonomischen Autarkie“
als vermeintliches Vorbild für Afrika. Der Versuch der Diktatur von Pol
Pot, ab 1975 gewaltsam einen Agrarkommunismus zu verwirklichen, endete im
Genozid.
Während des Wirtschafts- und Politikstudiums in Paris trat Amin der
französischen Kommunistischen Partei bei, verurteilte aber später das
Sowjetregime und ging nach längerem Liebäugeln mit dem Maoismus auch zu
China auf Distanz. Gemeinsam mit André Gunder Frank vertrat er die
Dependenztheorie: Für Afrika bedeutete sie, dass die Ausbeutung
afrikanischer Rohstoffe zu den vom Westen diktierten Bedingungen eine echte
Befreiung der gerade erst entkolonisierten Länder nicht zulassen würde.
Amin empfahl diesen Ländern, sich „abzukoppeln“. Damit lehnte er Handel
nicht prinzipiell ab, sondern Handelsabkommen aus einer Position der
Schwäche.
## Vordenker der postkolonialen Befreiung
Als Leiter des Forum Tiers Monde in Dakar, Senegal, war Amin lange Jahre
der Vordenker der postkolonialen Befreiung vom Joch des weltweiten
Freihandels. Der moderne Kapitalismus, so Amin in seinen Schriften,
verfolge nach einer Phase der Unterordnung unter soziale Kompromisse die
Rückkehr zu seiner eigentlichen Utopie – der Unterwerfung des
gesellschaftlichen Lebens unter die exklusive Logik des Marktes und der
unverhüllten Globalisierung. Zuletzt stand Amin der internationalen
Bauernbewegung La Vía Campesina nahe, die die kleinbäuerliche
Landwirtschaft als Voraussetzung für eine eigenständige Entwicklung der
Staaten des Globalen Südens betrachtet.
Amin sah die Islamisierung in Ländern des Maghreb und des Nahen Ostens mit
großer Sorge. Die Muslimbruderschaft in seinem Heimatland Ägypten
kritisierte er nicht nur als rückschrittliche islamistische Kraft, die
statt sozialer Reformen das Wohltätigkeitswesen predigte – für ihn war sie
auch ein Verbündeter des weltweiten Kapitalismus, der hinter der Maske des
offenen Marktes die Politik der Abhängigkeit akzeptierte.
Amin starb am 12. August 86-jährig in einer Klinik in Paris.
14 Aug 2018
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Marxismus
Ökonomie
Globalisierungskritik
Schwerpunkt Utopie nach Corona
Libanon
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