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# taz.de -- Kunst nach der Revolution: Für Äypten – mit Liebe
> Streetart, Fotografie, Videos und Bücher erzählen von Kritik und Aufbruch
> in Ägypten. Sie brechen Tabus, provozieren die alten Mächte – und locken
> internationale Interessenten.
Bild: Der Panzer an der Wand: Streetart-Künstler verdeutlichen die Unzufrieden…
Wer heute aufmerksam durch die Viertel der Innenstadt von Kairo spaziert,
wird immer wieder auf die künstlerische Umsetzung der gesellschaftlichen
Bewegungen stoßen: Graffiti und Streetart. Da ist etwa das Bild eines
Panzers auf dem breiten Pfosten einer Nilbrücke, präzise und fast
fotografisch in Schwarz-Weiß gemalt. An den Rädern sind Spuren von Rot zu
sehen, ein Hinweis darauf, dass unter den Kettenfahrzeugen zahlreiche
Menschen ums Leben kamen. An einer Wand leuchtet eine gelbe Glühbirne mit
der Aufschrift "Denk nach!", anderswo sind in Schwarz auf gelbem Grund die
"Accessoirs des Regimes" zu sehen: Handschellen, Messer, Schlagstock,
Pistole, Gewehr, Axt.
Im Vorfeld einer "Mad Grafitti Week" im Januar wurden Straßenkünstlern und
solchen, die es werden wollten, im Internet zahlreiche Schablonen
angeboten. Die des Chefs des herrschenden Militärrats, Hussein Tantawi,
erfreute sich besonderer Beliebtheit. Unter einigen seiner Konterfeis auf
den Mauern der ägyptischen Hauptstadt steht "Stellt ihn vor Gericht" oder
"Tantawi ist Mubarak", andere zeigen ihn mit blutigem Gebiss.
Neben Streetart sind Fotografie und Videos weitere, schnelle
Ausdrucksformen der Ereignisse rund um den Tahrirplatz seit Januar 2011.
Bereits im vergangenen Frühjahr war in der Galerie Safarkhan auf der
Nilinsel Zamalek die Ausstellung "For Egypt with Love" zu sehen, in der
junge KünstlerInnen vorwiegend Werke in digitaler Mischtechnik und
Konzeptfotografie vorstellten. Im November zeigte sie Bilder der
27-jährigen Malerin und Fotografin Marwa Adel, die sich diesmal von ihrem
Thema weiblicher Emotionen abwandte und in einer Phase der politischen
Frustration die Besucher auf eine künstlerische Erinnerungsreise zu den 18
Tagen des Aufstands gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak mitnahm.
Der Videokünstler und Maler Khaled Hafez ist einer derjenigen, die sich
zunächst voll auf das Tahrirthema stürzten. Dabei war der 48-Jährige, der
unter Mubarak nie seine Stimme abgab und bei den jüngsten Parlamentswahlen
für den liberalen Ägyptischen Block stimmte, zunächst gar nicht auf dem
Platz, denn er glaubte nicht, dass Demonstrationen eine politische
Veränderung bewirken könnten. Das änderte sich, nachdem am 28. Januar 2011,
dem "Tag des Zorns", einer seiner Kollegen getötet wurde. "Das war ein
Paradigmenwechsel", sagt er heute. Unter dem Eindruck der Ereignisse
produzierte er ein kurzes Video mit gestochen scharfen Aufnahmen von
Gesichtern, Menschen, Massen, Wasserwerfern.
## "Reaktive Kunst"
Heute sieht er das kritisch. "Das war eine Falle, eine rein reaktive Kunst,
die letztlich langweilig ist", sagt er. "Das sind erste Arbeiten nach dem
Ereignis, manche werden bleiben, aber vieles davon wird nicht dauerhaft
sein." Hafez wandte sich wieder der Ölmalerei zu, saß tagelang in seinem
Atelier und war zunächst völlig uninspiriert, wie er freimütig bekennt.
Ein Besuch in dem Atelier, eine in ein Loft verwandelte Wohnung in dem
Kairoer Vorort Nasr City, zeigt, dass diese Phase überwunden ist. Eine
Leinwand in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung lehnt neben der
anderen, darüber und daneben hängen Piktogramme von Soldaten,
Maschinengewehren und Hubschraubern, die er, wie auch Symbole aus der
pharaonischen Zeit, collagenartig in seine vielschichtigen Ölbilder
einarbeitet. Das Tahrirthema ist also nicht ganz verschwunden.
Im Januar waren die neuen Werke von Hafez in einer Einzelausstellung in der
Galerie Safarkhan zu sehen. In der Kairoer Kunstszene herrscht derzeit ein
kleiner Boom. "Seit der Revolution haben wir Anfragen, vor allem aus dem
Ausland: Was habt ihr denn, her damit", sagt die Galeristin Mona Said.
## Bildliche Aufarbeitung und provokante Bücher
Demgegenüber läuft die Buchproduktion langsamer an. Die ersten
Neuerscheinungen, die im bereits vergangenen Herbst in den Buchläden
auslagen, waren Fotobände über den Tahrirplatz, in denen die ägyptische
Flagge ein häufig wiederkehrendes Motiv ist. Inzwischen sind auch mehrere
Bücher erschienen, deren Autoren ihre Erlebnisse in jenen Tagen
beschreiben. Doch eine literarische Aufarbeitung lässt noch auf sich
warten.
Allerdings drängen seit ein paar Jahren junge Männer und Frauen mit
Erstlingswerken auf den Markt. Eine von ihnen ist die Bloggerin Ghada
Abdelaal, deren 2008 auf Arabisch erschienenes Buch "Ich will heiraten!"
zum Bestseller und zur Vorlage einer Vorabendserie während des Fastenmonats
Ramadan wurde. Das Buch handelt, satirisch überzeichnet, von der Salonehe,
also einer vermittelten Heirat, bei der die junge Frau den potenziellen
Kandidaten in der Regel das erste Mal im Wohnzimmer ihres Elternhauses
trifft.
"Ich habe immer gedacht, man müsste ein Mann über sechzig sein, um ein Buch
zu veröffentlichen", sagt die heute 32-jährige Autorin, die ein Kopftuch
trägt und noch immer unverheiratet ist. Sie arbeitet als Apothekerin in der
Textilarbeiterstadt Mahalla al-Kubra, dort, wo einst die Bewegung des 6.
April entstand. Nebenbei schrieb sie einen Blog, in dem Bride (Braut), eine
junge Frau, skurrile und tragikomische Begegnungen mit Heiratskandidaten
beschreibt, wobei jede Geschichte mindestens einen Grund liefert, niemals
einen Mann zu heiraten. Darauf angesprochen, sagt sie: "Mein Buch ist eine
Reaktion auf den Machismus der Männer." Bereits der Titel ist eine
Provokation, denn eine "anständige" junge Ägypterin sagt niemals "ich will
heiraten". Hinzu kommt, dass sie nicht auf Hocharabisch, sondern im
ägyptischen Alltagsarabisch schreibt.
## Die Braut, selbst entscheidet
"Wer bist du denn, dass du Männer beurteilst?", bekam sie auf Lesungen von
Vertretern des anderen Geschlechts zu hören. Dabei, sagt sie, kenne jeder
Mann ähnliche Beispiele, von einer Schwester, einer Cousine - in einem
Land, wo frau ab 25 schon fast als alte Jungfer und ab dreißig als
hoffnungsloser Fall gilt. Abdelaal versteht ihr Buch zugleich als eine
Ermutigung für junge Leute, Männer eingeschlossen. Das Datum ihres 30.
Geburtstags machte sie in ihrem Blog öffentlich - und bekam zahllose
Glückwünsche. "Ich wollte das Tabu brechen", sagt sie. Ihr Blog hat
inzwischen 700.000 Hits. Bei den Wahlen, erzählt sie, gab es in ihrem
Bezirk zwei Kandidaten: einen Salafisten und einen Muslimbruder. Sie
stimmte für das "kleinere Übel" und wählte den Muslimbruder.
## Vier Kulturminister nach Mubarak
Der Wahlsieg der Islamisten hat in weiten Teilen der Kulturszene
Befürchtungen ausgelöst, mit den neuen Freiheiten könnte es bald wieder
vorbei sein. Seit dem Sturz Mubaraks hat der Kulturminister vier Mal
gewechselt, eine neue Politik zeichnet sich bisher nicht ab. Bereits am 26.
Februar vergangenen Jahres konstituierte sich die "Koalition für eine
unabhängige Kultur", ein lockeres Bündnis zahlreicher Kulturschaffender aus
unterschiedlichen Bereichen, die sich für die Entwicklung von Leitlinien
für eine neue Kulturpolitik und die Überwachung der öffentlichen Träger
einsetzen. Immerhin brauchen Verleger heute keine Genehmigung des
Innenministeriums mehr, um ein Buch zu veröffentlichen.
Doch wie ahramonline berichtete, durchsuchten Ende November Polizisten den
Verlag Dar Kayan auf der Suche nach dem Gedichtband von Tamer Abbas, "Etna
Meen" ("Wer Du bist"). In einem anderen Fall reichte eine Gruppe
Intellektueller Klage gegen den Kulturminister ein, weil dieser sich gegen
die Veröffentlichung einer Gedichtesammlung von Costanteen Kafasis
aussprach, mit der Begründung, sie enthalte "schamlose" Passagen. Hier
scheint es eine Grauzone zu geben, bei der es vor allem um Moral und
Religion geht und beide Seiten ihre Pflöcke einschlagen wollen.
Doch die Meinungen in der Kulturszene sind so eindeutig nicht. Die
Verlegerin und Buchhändlerin Karam Youssef kommentiert das Wahlergebnis:
"Wenn die Muslimbrüder mit Liberalen (und nicht mit den Salafisten; d.
Red.) zusammengehen, sind wir auf der sicheren Seite." Für den bekannten
Journalisten und Schriftsteller Gamal Al Ghitani hingegen sind Salafisten
und Muslimbrüder das Gleiche. Er sieht die Entwicklung als aktuellen
Ausdruck des Konflikts zwischen Säkularismus und Religion, der schon über
100 Jahre alt ist. Und die Prognose des Ökonomen, Soziologen und Autors
Samir Amin für die Zukunft lautet: "Es gibt keinen Zweifel, dass die
Säkularisten gewinnen werden. Aber wann? Vielleicht in 20 Jahren statt in
50, aber ich glaube nicht, dass es früher passiert."
3 Mar 2012
## AUTOREN
Beate Seel
Beate Seel
## TAGS
Marxismus
Reiseland Ägypten
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