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# taz.de -- Frauenrechte in Libyen: "Wir müssen nicht ihre Hände küssen"
> Die libysche Revolution hat den Frauen im Land neue Freiheiten gebracht.
> Asma und Magdoulin kämpfen dagegen, dass man sie ihnen wieder nimmt.
Bild: Frauen waren Teil der Revolution in Libyen.
TRIPOLIS taz | Mit ihren 22 Jahren wirkt Asma Khalifa schon wie eine, die
genau weiß, was sie will. Das mag auch daran liegen, dass sie durch den
Aufstand gegen Gaddafi ziemlich abrupt ins politische Leben geworfen wurde.
Mit ihren aufgeweckten Augen, einem freundlichen Lächeln und ihrem Kopftuch
gehört sie zu einer neuen Generation von libyschen Frauenaktivistinnen in
Tripolis.
Kurz bevor die Aufständischen vor etwa einem Jahr in der nordlibyschen
Stadt Bengasi losschlugen, bekam Asma von Ahmad, einem Bekannten, eine
erste Erklärung der Revolutionäre zugespielt. „Die habe ich dann an
Vertraute in Tripolis verteilt.“
Ahmad wurde später in Bengasi von Gaddafis Leuten festgenommen und in einer
Zelle erschlagen. „Das war der Zeitpunkt, an dem ich wirklich aktiv
geworden bin“, berichtet Asma. „Ich schmuggelte geheime Dokumente und
Befehle in und aus dem Land.“ Angst hatte Asma nicht. Sie hätte sich
einfach geschämt, wenn sie unbeteiligt geblieben wäre, sagt sie.
„Nachdem ich gesehen habe, wie in Bengasi 16-jährige Demonstranten gegen
die schwerbewaffneten Gaddafi-Milizen anrannten, dachte ich mir, das mit
dem Dokumentenschmuggel ist das Mindeste, das ich tun kann.“
## Cool geblieben
Bei einem Rückflug aus London kam Asma der Gaddafi-Polizei jedoch
verdächtig vor. Sie wurde durchsucht und hatte vergessen, einige Bilder,
die sie mit dem Aufstand in Verbindung gebracht hätten, auf ihrem Handy zu
löschen. „Ich dachte bloß, wenn sie dich verhaften, dann sei’s drum. Ich
bin cool geblieben“, erinnert sich die 22-Jährige. Asma hatte Glück. Ihr
Handy wurde nicht gecheckt.
Als dann der Aufstand auch in Tripolis losging, arbeitete sie in einem
improvisierten Feldlazarett. Frauen, sagt Asma heute, seien der Schlüssel
für den Erfolg der Revolution gewesen. Sie hätten zwar nur in
Ausnahmefällen an der Front gekämpft, aber sie schmuggelten in großem Stil
Waffen, Dokumente und schriftliche Befehle. Versteckten Aufständische in
ihren Wohnungen, obwohl der Nachbar den Gaddafi-Milizen angehörte.
Versorgten Verwundete in den Feldkrankenhäusern.
Nach der Revolution erschien Mustafa Abdel Dschalil, der Chef des
Übergangsrats, im Fernsehen und dankte den Schwestern, Müttern, Töchtern
und Ehefrauen für ihre Unterstützung. „Das ist typisch für orientalische
Männer“, schimpft Asma. „Aber ich habe beim Aufstand nicht als Schwester
oder Tochter mitgemacht, sondern als Asma Khalifa, die die Revolution
unterstützen wollte.“
Die libyschen Männer unterschätzen das neue Selbstbewusstsein der Frauen,
glaubt Asma. Bei einer Revolutionsfeier habe eine der Frauen einen
Jubeltriller ausgestoßen, worauf einer der konservativen Männer sie
anschnauzte, dass sich das nicht gehöre. Darauf antwortete die Frau: „Sei
du still, wir haben mitgekämpft und werden nicht mehr schweigen.“
## Frauenquote passé
Die 25-jährige Jungunternehmerin Magdoulin Obeida entspricht einem anderen
Typ von Frauenaktivistin. Wehendes Haar, stark geschminkt, fast lieber
Englisch als Arabisch sprechend, offensichtlich aus betuchten
Verhältnissen. Im Aufstand gegen Gaddafi war sie nicht direkt aktiv. Aber
auch sie nutzt die neuen Möglichkeiten freier Meinungsäußerung und hat in
Tripolis ihre eigene Frauenrechtsgruppe gegründet. Die trifft sich einmal
die Woche in den Büroräumen des Transportunternehmens, das Magdoulin mit
einem Partner aufgezogen hat.
An der Wand der Geschäftsräume hängen Poster gegen häusliche Gewalt und für
eine Frauenquote im Parlament. Stolz präsentiert Magdoulin ein Fotoalbum,
das junge Frauen beim Protest am „Tag des Frauenärgers“ zeigt, den sie am
7. Februar mitorganisiert hat. Dabei vergisst sie nicht, darauf
hinzuweisen, dass in ihrer Frauengruppe auch einige libysche Männer aktiv
sind. Magdoulin arbeitet vor allem daran, dass Frauen nicht zu den
Verlierern der Revolution werden.
Während der 42-jährigen Herrschaft Gaddafis bekamen die Frauen in der
Gesellschaft eine zweischneidige Rolle zugewiesen. Das Regime schuf
Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen. Gaddafis weibliche
Leibwächter brachten es sogar zu internationaler Berühmtheit. Gleichzeitig
blieben die Einschränkungen der traditionellen konservativen islamischen
Gesellschaft bestehen, Gaddafi selbst philosophierte in seinem „Grünen
Buch“ darüber, dass der angestammte Platz der Frauen zu Hause sei.
Magdoulin macht der Konservativismus des Übergangsrats und der starke
islamistische Trend im Land Sorgen. Es gebe viele Beispiele dafür, dass
Frauen wieder zurückgedrängt würden. Etwa die Diskussion über eine
Frauenquote des Parlaments, das im Sommer gewählt werden soll. Zunächst war
die Rede von einer 10-Prozent-Quote. Frauengruppen forderten 35 Prozent.
„Schließlich können wir davon ausgehen, dass in unserer traditionellen
Gesellschaft keine Frauen direkt gewählt werden“, rechtfertigt Magdoulin
die Forderung. Nun wurde die Quote ganz gestrichen.
## Vergewaltigungen als Waffe
Während des Aufstands wurden tausende Frauen vergewaltigt, führt sie weiter
aus. Gaddafis Truppen nutzten Vergewaltigungen als Waffe. Viele der Opfer
schämten sich bis heute, darüber zu sprechen. Die Selbstmordrate sei hoch.
Allein in einem Monat sollen sich über 30 Frauen in der Stadt Misurata das
Leben genommen haben. Für die Opfer gebe es bis heute keinerlei Hilfe,
keine Therapieangebote, erklärt Magdoulin. Genauso wie für viele andere
Opfer häuslicher Gewalt. Bisher existiere in ganz Libyen für sie kein
Zufluchtsort.
Was Magdoulin besonders ärgert, ist, wie ihre Landsleute die neue Meinungs-
und Redefreiheit nutzen. „Sie regen sich darüber auf, was Frauen anziehen.
Statt sich damit auseinanderzusetzen, was wir im Kopf haben, reden sie
darüber, was wir auf dem Kopf haben.“
Unter Gaddafi, so Magdoulin, gab es die Regelung, dass kein Mann ohne die
Zustimmung seiner Erstfrau eine zweite Frau heiraten durfte. Bei seiner
großen Rede nach dem Sturz Gaddafis im Oktober kündigte der neue
Übergangsregierungschef Abdel Dschalil jedoch an, die Einschränkungen der
Vielehe wieder aufzuheben. Damit wollte Abdel Dschalil den islamistischen
Mitkämpfern der Revolution ein Zugeständnis machen. „Wir sind doch nicht
die Diktatur Gaddafis losgeworden, um sie jetzt durch eine Diktatur der
Islamisten zu ersetzen“, sagt Magdoulin aufgebracht.
Asma ist nicht ganz so pessimistisch. Bisher gäbe es nichts Schriftliches,
sondern nur viel Gerede über die Vielehe. Unter Gaddafi sei diese zwar
gesetzlich eingeschränkt gewesen, sagt Asma, aber de facto hätten viele
Erstfrauen erst von den weiteren Ehen ihrer Männer erfahren, wenn schon
Kinder aus diesen Beziehungen vorhanden waren. Noch gelten die alten
Gesetze, sagt Asma selbstbewusst. Neue Gesetze könne auf legitime Weise nur
ein frei gewähltes Parlament verabschieden. Abgesehen davon hätte Abdel
Dschalil aufgrund des Drucks der Frauenrechtlerinnen schon längst
zurückrudern müssen.
## „Nichts ist von Dauer“
Im Sommer werden die ersten freien Wahlen in Libyen stattfinden, die
Islamisten dürften dabei gut abscheiden. Asma hält sie dennoch für eine
Modeerscheinung. „Die Menschen werden sie ausprobieren, und wenn es ihnen
nicht gefällt, werden sie die Islamisten auch wieder los. Dann machen wir
eben eine zweite Revolution. Nichts ist von Dauer“, sagt Asma
zuversichtlich.
Die 22-Jährige ist zwar optimistisch, aber nicht naiv. Sie macht sich keine
Illusionen, wie schwierig es sein wird, die traditionelle libysche
Gesellschaft umzukrempeln. „Die Traditionen sind sehr stark, manchen sind
sie nahezu heilig“, sagt sie. „Ich wurde anders erzogen, aber bei vielen zu
Hause dürfen Brüder und Schwestern nicht zusammensitzen. Oft wird den
Frauen auch befohlen, still zu sein, wenn die Männer reden. Außerdem wird
vielen Mädchen eine bessere Bildung verweigert.“
Man werde die Älteren wohl schwer noch ändern können, meint Asma, sie will
bei den Jüngeren ansetzen, ihnen ihre Rechte erklären. „Wenn die Eltern
etwas falsch machen“, versucht Asma Frauen ihres Alters zu überzeugen,
„dann müssen wir nicht ihre Hände küssen“.
Nach dem Gespräch mit Asma läuft im Autoradio die Predigt eines
konservativen islamischen Rechtsgelehrten. Er spricht über die Rolle der
Frau in der libyschen Stammesgesellschaft. Völlig unakzeptabel sei, dass
Frauen sich mit Männern im selben Raum aufhalten, etwa am Arbeitsplatz oder
in der Universität. Er wettert dagegen, dass Frauen Männerkleidung und
westlich beeinflusste Dinge wie Jeans tragen. In der Öffentlichkeit sollten
Frauen am besten gar nicht in Erscheinung treten, und wenn unbedingt nötig,
dann nur ganz leise sprechen. All das gibt der Scheich im staatlichen
libyschen Rundfunk zum Besten. Es bleibt viel zu tun für Asma und
Magdoulin.
7 Mar 2012
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
## TAGS
Polyamorie
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