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# taz.de -- „Prominenz-Journalisten“ und Syrien: „Verblendung gepaart mit…
> Jürgen Todenhöfer und Peter Scholl-Latour schreiben freundlich über
> Syriens Herrscher Assad und geben sich als Aufklärer. Rafik Schami macht
> das wütend. Ein Selbstgespräch.
Bild: Anti-Assad-Demo in Amman, Jordanien.
Seit Ausbruch des syrischen Aufstands am 15. 3. 2011 komme ich nicht zur
Ruhe. Über 90 lange und unzählige Kurzinterviews habe ich bis Ende Februar
2012 gegeben. Die meisten davon schriftlich. Ich komme mir inzwischen wie
ein fester Mitarbeiter der deutschsprachigen Medien vor.
Die Interviews streiften das gesamte Spektrum der arabischen Geschichte,
Religionsgemeinschaften, Literatur, Politik, Revolution, Islamisten,
Gegenwart und Zukunft. Die arabischen Aufstände und speziell die syrische
Revolution haben vieles auf den Kopf gestellt. Es gab Tage, an denen
sprachen Analphabeten mitten aus einer Demonstration Weisheiten, die kein
syrischer Intellektueller besser hätte formulieren können. Kinder wurden
gefoltert und Frauen führten mutiger als Löwinnen Demonstration an – und
behielten dabei ihre Kopftücher auf! Syrische Christen riefen im Kugelhagel
„Allahu Akbar“.
Aber mit der Zeit drängen sich immer mehr Fragen auf, deren Beantwortung
Ruhe und eine Betrachtung von mehreren Seiten verlangen. Es geht um die
Rolle arabischer Intellektueller vor und nun während der Revolution. Was
kommt nach der Revolution? Müssen die Islamisten erst siegen, um dann zu
verschwinden? Was ist mit den Palästinensern, von denen viele an die Regime
der Assads glaubten, obwohl sie von diesen immer wieder auch gedemütigt und
bekämpft wurden? Und: Wie und was soll Europa von der arabischen Revolution
lernen?
Die Nacht sammelte meine Splitter zusammen. Da ich nur wenig Schlaf
brauche, nahm ich die Zeit nach Mitternacht, um einige dieser Fragen in
Ruhe für mich zu beantworten. Es wurden mehrere Nächte. Meine Recherche
erfolgt zum größten Teil über das Internet. Für Neugierige habe ich die
Artikel, die ich für dieses Selbstgespräch gelesen habe, angegeben.
Ich frage mich, was hat dich dazu veranlasst, den Begriff
„Prominenz-Journalismus“ einzuführen. Was ist das genau? Und warum
beschäftigt dich das so?
Ich glaube, dass wir in den letzten zehn Jahren eine Art Recycling von
abseits geratenen Prominenten erleben. Wir sehen sie in Fernsehshows und
immer wieder als angebliche Experten. Ihre Eitelkeit macht sie käuflich.
Sie schreiben oft schlecht und sind oft unglaubwürdig, aber sie können
durch die bewährten Seilschaften an die großen Medien herankommen.
Autoren wie Jürgen Todenhöfer oder Peter Scholl-Latour finden den Absatz
ihrer bedenklichen Sympathien für Mörder wie Assad nicht etwa auf den
Seiten der Bild-Zeitung. Sie sitzen bei ARD, FAZ, FAS und Die Zeit in der
ersten Reihe. Und sind sie einmal da, werden sie von hunderten kleineren
Medien zitiert. Man kann darüber den Kopf schütteln, aber das ist zu wenig.
Ihre Beiträge sind kaum zu ertragen.
Was ist es, das diesen Prominenz-Journalismus so überzeugend wirken lässt,
so dass ihm auch angesehene Presseorgane ganzseitige Veröffentlichungen
einräumen?
Prominenz-Journalisten verfügen offensichtlich über wundersame
Eigenschaften.
Erstens sind sie als Politiker oder ehemalige Journalisten geübt darin, so
sensationell wie die Boulevardpresse zu schreiben. Oder etwa in einem
kurzen Film von 30 Minuten zehn mal hin und her zu fliegen. Von Frankfurt
nach Kairo, nach Tripoli, Bengasi oder Damaskus. Und in jedem Bericht so zu
tun, als seien sie gerade noch der Verhaftung entkommen. Wie in B-Filmen
oder Groschenromanen sind sie zwar ohnmächtig gegenüber bewaffneten
Soldaten, aber natürlich sind sie klüger als diese. Sie lächeln sie an und
entwaffnen sie.
Das allein lässt viele Presseorgane der Bundesrepublik vor ihnen
einknicken, da sie selber kaum noch Reporter vor Ort haben. Es kommt einer
Erpressung gleich. Todenhöfer und Scholl-Latour wiederholen das in jedem
Artikel und Gespräch: Ich war ja da, ihr nicht. Als ob die bloße
Anwesenheit ein Qualitätsmerkmal wäre, aber der erpresserische Moment
wirkt.
Zweitens unterhalten diese alten Herren in der Tat langjährige Beziehungen
zu Diktaturen, die sie nun aktivieren. Und plötzlich trinken sie Tee mit
Assad. Das beeindruckt bedauerlicherweise viele Redaktionen.
Und was ist daran so schlimm, dass sie als Prominente aufklären wollen?
Gar nichts. Aufklärung ist immer gut. Aber wenn der Prominenz-Faktor zur
Blendung führt und zur Akzeptanz einer von Fehlern, Rassismus und
Falschheit getränkten Berichterstattung, so ist das nicht akzeptabel.
Verblendung gepaart mit Eitelkeit ist gefährlich. Verblendung nicht nur
gegenüber einer Diktatur, sondern auch gegenüber deren Gegnern.
Ein erwachsener Mensch muss sich doch die simple Frage stellen: Warum
werden alle Journalisten aus Syrien verjagt, und warum bekomme ich die
Erlaubnis, mit Kamera und Mikrofon von Damaskus loszufahren, werde an den
Kontrollpunkten durchgelassen, um in die Hochburg des Aufstands zu
gelangen? Und wenn der Prominenz-Journalist sich nicht einmal fragt, warum
Daraa, die Wiege der Revolution, auf einmal so ruhig ist, sondern nur
begeistert [1][von den günstigen Kirschen schwärmt], dann ist man
verblendet.
„Nirgendwo sehen wir uniformierte Polizei, nur zwei Soldaten beim Kaufen
von Aprikosen. Ich sehe kleine knackige Kirschen. Kirschen aus Daraa sind
eine syrische Köstlichkeit. Ich kaufe ein Kilo für 25 syrische Lira, das
sind 35 Cent,“ so Todenhöfer. Und dann geht es weiter, in
Humphrey-Bogart-Stil: „Der Anführer der Geheimpolizisten, ein übermüdeter,
älterer Mann mit kurzen grauen Haaren, schaut mir nachdenklich in die
Augen. Ich schaue ihm genauso nachdenklich in die Augen.“
Damals, im Juni 2011 waren bereits Tausende umgebracht und Zehntausende
Menschen entführt, verschleppt und verhaftet worden. Das ist Verblendung
total. Was mich bei Todenhöfer bis zur Empörung erstaunt. Er setzt das elf
Monate nach dem Ausbruch des Aufstands in der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung, FAS, vom 19. 2. 2012 fort: „In manchen Stadtteilen von
Homs, das ich zweimal besucht habe, hängen noch immer große Poster mit
Assads Bild. Im größten Teil von Homs (es mögen 70 Prozent sein) geht das
Leben seinen normalen Gang.“
Der Prominenz-Journalist hat noch nicht begriffen, in welchem Theater er
seine naive Rolle bekommen hat. Ob Scholl-Latour oder Todenhöfer, sie
singen unbeeindruckt von der Wirklichkeit eine Lobeshymne auf den weisen
Baschar al-Assad.
Für sie ist Baschar al-Assad außerhalb der Gesellschaft. Ein Eremit auf
einem fernen Berg, von dem sie die Erlösung erhoffen.
[2][Todenhöfer im Januar 2012 über Assad]: „Er ist Arzt, und so wirkt er
auch – nicht wie ein arabischer Potentat. Er ist ein Mann, der Sie an der
Tür abholt, ohne Security. Der nicht trickreich argumentiert. Er hat mir
gesagt, Demokratie sei für Syrien ’zwingend‘, er werde das Land in die
Demokratie führen.“
Scholl-Latour: „[3][Er wirkte selbstbewusst, heiter und entspannt]“,
„[4][Assad wirkte sehr locker]“. Nun beeilte sich Todenhöfer, auch mit
Assad Tee zu trinken, um uns am 19. 2. 2012 (FAS) nach 8.000 Toten, 50.000
Verschleppten und einer fast zerstörten Stadt Homs mitzuteilen: „Wenn der
im Westen ausgebildete Assad derselben Meinung ist, muss er sich an die
Spitze der Demokratiebewegung stellen“, und Todenhöfer ist geschickt. Er
findet angeblich einen so verblödeten Marxisten, der angeblich 14 Jahre im
Assads Kerker saß, um zu der erleuchteten Schlussfolgerung zu kommen: der
Einzige, der Demokratie auf friedlichem Wege bringen könne, sei Assad.
In Wirklichkeit ist Assad der Befehlshaber der Armee und oberste Herr der
15 Geheimdienste und der mafiösen Vetternwirtschaft in Syrien. Aber die
Lernresistenz bei Todenhöfer & Co kennt keine Grenzen. Hat sich ein solcher
Journalist nicht gefragt, welche Leute das Land seit vierzig Jahren
beherrschen und ausbluten lassen? Wie wurden Verwandte des Präsidenten zu
Multimillionären, so wie sein Bruder Maher und sein Onkel Rifaat al-Assad,
oder gar zu Milliardären wie sein Cousin Rami Makhlouf? Wie konnte Baschar
al-Assad die Republik vom Vater einfach erben? Was machen die 15
Geheimdienste? Was hat Assad jun. in den letzten zehn Jahren daran
gehindert, das Land zu reformieren? Was mich noch mehr erstaunt: Gab es
keinen Redakteur in FAZ, FAS, Die Welt oder FR, der ihm sagte, den Schmarrn
haben Sie bereits vor sechs Monaten in der Zeit behauptet – die
Wirklichkeit sieht aber nun mal anders aus?
Ich frage mich aber auch: Wie erklärt man sich die Sympathie, die solche
Prominenz-Journalisten ebenfalls unter Linken und manch kritischer Zeitung
wie Der Freitag erhält?
Die Linkspartei-Abgeordneten Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel,
Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter und deren außenpolitische Sprecherin
Sevim Dagdelen vertreten ähnliche Haltungen wie die Prominenz-Journalisten
Todenhöfer und Scholl-Latour. Auf einmal stehen sich Extremlinke und
reaktionäre alte Herren so nahe. Das erstaunt, aber es ist nicht neu.
Ich habe als Student in Heidelberg in den 1970er Jahren erlebt, wie
Anhänger einer linksradikalen Studentengruppe gegen uns und unsere
chilenischen Freunde, aber für Pinochet, Sadat und Assad auftraten. Damals
war Todenhöfer CDU-Bundestagsabgeordneter und wie CSU-Chef Franz Josef
Strauß ein bekennender Freund des chilenischen Diktators Pinochet. Heute
lügt Todenhöfer, wenn er sich als einstigen Kritiker des Mörders Pinochet
darstellt. Sein Pech ist, dass [5][seine Freundschaft dokumentiert ist].
Einige Linkspartei-Abgeordnete verschließen heute die Augen vor den über
7.000 ermordeten und 50.000 gefangenen Menschen seit dem Beginn des
Protests. Sie wollen Assad bis zum letzten Syrer verteidigen.
Ich frage mich, ob die Haltung dieser Linksparteiabgeordneten etwas mit der
Russlands zu tun hat, so dass sie parallel und nur scheinbar identisch mit
dem launischen, oberflächlichen Prominenz-Journalismus erscheint, in
Wirklichkeit aber Teil einer globalen Politik ist.
Es ist nicht einfach scheinbar und zugleich nicht ganz identisch. Es ist
eine merkwürdige Konstellation der Freunde des Assad-Regimes. Todenhöfer
findet die Russen auf einmal sehr klug und die Linkspartei vertritt in
Teilen, wie die DKP und SED früher, die Meinung der Russen. Die russischen
Machthaber aber sind keine Vermittler, sondern stehen eindeutig auf der
Seite des Diktators. Sie liefern ihm Waffen, Militär- und
Geheimdienst-Experten zur Bekämpfung des syrischen Volkes. Russland ist
Partei in dem Konflikt, es folgt seinen historisch gewachsenen
geopolitischen Interessen.
Die Russen haben seit der Zarenzeit von Warmwasserhäfen geträumt. Ihre
Politik stand nicht selten unter diesem Drang. Persien, Indien, der frühere
Südjemen, Syrien, Ägypten, Libanon oder die Türkei wurden gezielt
angegangen. Die imperiale russische Politik scheiterte aber auf der ganzen
Linie. Heute haben sie nur noch in Syrien offene Häfen am Mittelmeer und
ihren letzten Stützpunkt. Die arabischen Diktatoren haben in den 1960 und
1970er Jahren Milliarden-Waffengeschäfte mit der früheren Sowjetunion
getätigt. Dafür verrieten die Sowjets auch die arabischen Kommunisten an
die jeweiligen Machthaber.
Es war makaber, russische Kommunisten in Eintracht und inniger Freundschaft
(inklusive Küsschen) mit ägyptischen, syrischen, irakischen oder
algerischen Diktatoren zu sehen, während arabische Kommunisten in den
Kellern der jeweiligen Geheimdienste und in Folterlagern in der Wüste
starben. Ostdeutsche Spezialisten sowie KGB-Experten bauten den syrischen
Geheimdienst mit auf. Und die arabischen Stalinisten kramten nach Zitaten
von Lenin oder Stalin, die diesen Verrat unter „Unabhängigkeit der
kommunistischen Bewegung und der sozialistischen Länder in ihrem
politischen Handeln“ rechtfertigen sollten.
Für die Kommunisten in den arabischen Ländern war das der größte Schock
ihrer Geschichte. Die Rechtfertigung aber wirkte so vertikal in die Seelen
der Stalinisten, dass heute zwei winzige K-Parteien (mit jeweils ein paar
hundert Anhängern) Assad in Syrien unterstützen. Putin, der heutige
russische Machthaber und ehemalige KGB-Offizier, handelt in diesem Sinne in
der Tradition seiner Vorfahren.
Die Russen werden bei einer Befreiung Syriens die großen Verlierer sein.
Deshalb klammern sie sich an Assad. Hier könnten die alten Abhängigkeiten
die heutigen Ideologien von manch Linken mit beeinflusst haben.
Ich rätsle auch darüber, warum Prominenz-Journalisten behaupten, die Syrer
hätten ihren Aufstand bislang nicht so zäh führen können, wenn nicht
ausländische Kräfte und geheime Mächte dabei ihre Finger im Spiel hätten.
Zunächst einmal ist es purer Rassismus, wenn einer nicht einmal ein
arabisches Wort spricht, aber Analysen über die arabischen Aufständischen
im Untergrund anstellt. Es erinnert an Marco Polo, der auch kein Wort
Arabisch oder Persisch sprach und die bis heute hartnäckig sich haltende
Lüge über die Haschaschin (Assassinen) verbreitet hat. Solche Behauptungen
implizieren, dass die Araber unfähig seien zwischen Freiheit und Sklaverei
zu unterscheiden, dass sie wie Marionetten aus dem Ausland bewegt würden.
Todenhöfer: „Insgesamt funktioniert die Lawrence-von-Arabien-Strategie
jedoch vorzüglich. Viele Araber erkennen nicht, dass der Westen sie noch
nie befreien, sondern immer nur beherrschen wollte.“ (FAS, 19. 2. 2012).
Das ist nicht einmal originell, die Einschätzungen des
Prominenz-Journalisten bewegen sich auf dem Niveau des syrischen
Propagandaministeriums. Das Assad-Regime behauptete von Anfang an, der
Aufstand würde von außen gesteuert. So etwas Herrliches wie diese
Revolution hat die Diktatur vom unterjochten Volk nicht erwartet. Der
Herrscher ist geschockt. Seit vierzig Jahren führt sein Clan das Land wie
eine Farm mit Leibeigenen und Sklaven und ausgerechnet diese sollen nun in
der Lage sein, so raffiniert organisierte Demonstrationen täglich und
gleichzeitig und mit derselben Parole (jede Woche steht unter einem Moto)
an 200 bis 400 Orten stattfinden zu lassen.
Es ist ein großes Zeichen der Stärke, dass die syrische Revolution immer
noch mutig auf die Straße geht, trotz massiver Repression des Regimes, das
in seiner Gewalt von Geheimdiensten des Irans, Iraks, Russlands und leider
auch von US-amerikanischen Computer- und Internetfirmen wie Blue Coat
unterstützt wird. Die Oppositionsbewegung hält durch, ohne Parteien, ohne
öffentliche charismatische Führung und auch ohne Intellektuelle.
Ich frage mich und hadere täglich mit mir, wenn die Berichte des
Prominenz-Journalismus eine Lüge, ein Produkt der Eitelkeit sind. Warum
schmerzt mich das so?
Weil ich nicht imstande bin, diese Prominenz-Journalisten ausreichend
anzuklagen – wegen Vertuschung von Völkermord, wegen der Verachtung der
syrischen Frauen und Männer, die ihr Leben auf der Straße geben, um die
Freiheit zu erkämpfen.
Die Prominenz-Journalisten wissen von den Morden, aber sie leugnen sie,
weil sie dann ihre Verbundenheit mit den Mördern nicht mehr rechtfertigen
könnten. Sie sind in gewisser Hinsicht ihre Gefangenen geworden. Das
syrische Volk, das Leid und die ungeheuren Opfer spielen bei ihren eitlen
Berichten nur eine Statistenrolle.
Es ist eine tiefe Verletzung, die ich beim Lesen empfinde. Homs, die
tapfere Stadt, die nun vom eigenen Herrscher bombardiert wird, fand
weltweit Sympathie und Solidarität. Aber nicht bei den
Prominenz-Journalisten, weil das alles Lüge strafen würde, was sie
behauptet haben. Homs, die grüne schöne Stadt am Orontes (arabisch al Assi
= der Ungehorsame), und ihre Bewohner galten immer als besonders ruhige,
gelassene und lustige Menschen. Und nun ist Homs zum Herzen der Revolution
geworden und deshalb will Assad, der Sohn, ein Exempel statuieren, so wie
Assad, der Vater, 1982 in der nahen Stadt Hama. Damals hatte er 30.000
unschuldige Tote hinterlassen.
Nicht das Christentum, nicht das Judentum und nicht den Islam, sondern uns
müssen wir befragen, ob es nicht reicht, dass nach so vielen Morden Scham
das Gesicht der Menschheit überzieht, so wie in Guernica, Sarajevo und
Ruanda.
Der renommierte und engagierte spanische Autor Juan Goytisolo, der vor
Jahren Aufsehen erregt hat, als er den mit 150.000 Euro dotierten
Gaddafi-Preis ablehnte, schrieb in der spanischen Tageszeitung El País
[6][einen bewegenden Artikel] über die Zerstörung der Stadt Homs durch den
Mörder Assad.
Die deutschen Prominenz-Journalisten aber sehen nichts als eine westliche
oder islamistische Verschwörung. Die kritischen Berichte über die
Gräueltaten Assads in Syrien seien zum größten Teil gefälscht. Sie stellen
sich blind gegenüber Live-Berichten aus der Mitte der Demonstrationen, die
stündlich aktuell gesendet werden. Die Filmer sind das beliebteste Ziel der
Scharfschützen. Über das Internet kann man auf die Vignette eines dieser
Sender klicken und [7][die Berichte sehen]. Es sind oft fast 20 Filme
täglich!!!
(Ich empfehle die Vignetten nicht anzuklicken, bei denen man Menschen
sieht, die auf dem Boden liegen. Es sind traurige und bisweilen brutale
Aufnahmen vom Tod von Demonstranten.) Die Mehrheit der Youtube-Videos
zeigen direkte Demonstrationsaufnahmen und immer dokumentiert man akustisch
und in Schrift Motto, Datum und Ort vor der Kamera. Es sind kluge Maßnahmen
der Revolutionäre, um der Propaganda des Regimes entgegenzutreten, das
behauptet, solche Aufnahmen würden im Irak von Schauspielern unter
amerikanischer Regie gemacht.
Die Prominenz-Journalisten spielen eine widerliche Rolle. Sie verleumden
Tote und Lebende, um den Diktator zu decken. Todenhöfer: „Bei den Getöteten
handelt es sich zu einem hohen Prozentsatz um Soldaten, Polizisten, aber
auch um Zivilisten, die von bewaffneten Rebellen getötet wurden.“ (FAS, 19.
2. 2012)
Das behaupten Sie, angesichts eines Regimes, das nicht davor
zurückschreckt, Verletzte zu quälen, bis sie ihre Kameraden verraten, das
sogar Kinder tötet und die Eltern eines genialen Komponisten und Pianisten
foltert, weil ihr Sohn, im Ausland lebend, Solidarität mit der syrischen
Freiheitsbewegung bekundet hat. Malek Jandali hat eine Freiheits-Symphonie
für den Sänger der Revolution Ibrahim al-Qashoush (1977–2011) komponiert.
Qashoush wurde trotz seiner heiseren Stimme „Nachtigall der Revolution“
genannt. Der Geheimdienst hat ihn entführt, gefoltert und ihm den Kehlkopf
herausgeschnittenen.
Hören Sie sich bitte einmal [8][die Musik an, die Jandali für Qashoush
komponierte]. Ich lasse das Stück dreimal spielen. Draußen graut der
Morgen. Es ist Montag, der 27. Februar 2012.
2 Mar 2012
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/2011/24/Syrien-Reise
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/juergen-todenhoefer-im-interview-wir-ins…
[3] http://zenithonline.de/deutsch/home/quicknews/artikel/scholl-latour-in-syri…
[4] http://www.pnp.de/nachrichten/heute_in_ihrer_tageszeitung/politik/332371_De…
[5] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41558881.html
[6] http://internacional.elpais.com/internacional/2012/02/10/actualidad/1328898…
[7] http://www.youtube.com/user/SHAMSNN
[8] http://www.youtube.com/watch?v=ax5ck0fzyaU&feature=player_embedded
## AUTOREN
Rafik Schami
## TAGS
Jürgen Todenhöfer
Peter Scholl-Latour
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