# taz.de -- „Prominenz-Journalisten“ und Syrien: „Verblendung gepaart mit… | |
> Jürgen Todenhöfer und Peter Scholl-Latour schreiben freundlich über | |
> Syriens Herrscher Assad und geben sich als Aufklärer. Rafik Schami macht | |
> das wütend. Ein Selbstgespräch. | |
Bild: Anti-Assad-Demo in Amman, Jordanien. | |
Seit Ausbruch des syrischen Aufstands am 15. 3. 2011 komme ich nicht zur | |
Ruhe. Über 90 lange und unzählige Kurzinterviews habe ich bis Ende Februar | |
2012 gegeben. Die meisten davon schriftlich. Ich komme mir inzwischen wie | |
ein fester Mitarbeiter der deutschsprachigen Medien vor. | |
Die Interviews streiften das gesamte Spektrum der arabischen Geschichte, | |
Religionsgemeinschaften, Literatur, Politik, Revolution, Islamisten, | |
Gegenwart und Zukunft. Die arabischen Aufstände und speziell die syrische | |
Revolution haben vieles auf den Kopf gestellt. Es gab Tage, an denen | |
sprachen Analphabeten mitten aus einer Demonstration Weisheiten, die kein | |
syrischer Intellektueller besser hätte formulieren können. Kinder wurden | |
gefoltert und Frauen führten mutiger als Löwinnen Demonstration an – und | |
behielten dabei ihre Kopftücher auf! Syrische Christen riefen im Kugelhagel | |
„Allahu Akbar“. | |
Aber mit der Zeit drängen sich immer mehr Fragen auf, deren Beantwortung | |
Ruhe und eine Betrachtung von mehreren Seiten verlangen. Es geht um die | |
Rolle arabischer Intellektueller vor und nun während der Revolution. Was | |
kommt nach der Revolution? Müssen die Islamisten erst siegen, um dann zu | |
verschwinden? Was ist mit den Palästinensern, von denen viele an die Regime | |
der Assads glaubten, obwohl sie von diesen immer wieder auch gedemütigt und | |
bekämpft wurden? Und: Wie und was soll Europa von der arabischen Revolution | |
lernen? | |
Die Nacht sammelte meine Splitter zusammen. Da ich nur wenig Schlaf | |
brauche, nahm ich die Zeit nach Mitternacht, um einige dieser Fragen in | |
Ruhe für mich zu beantworten. Es wurden mehrere Nächte. Meine Recherche | |
erfolgt zum größten Teil über das Internet. Für Neugierige habe ich die | |
Artikel, die ich für dieses Selbstgespräch gelesen habe, angegeben. | |
Ich frage mich, was hat dich dazu veranlasst, den Begriff | |
„Prominenz-Journalismus“ einzuführen. Was ist das genau? Und warum | |
beschäftigt dich das so? | |
Ich glaube, dass wir in den letzten zehn Jahren eine Art Recycling von | |
abseits geratenen Prominenten erleben. Wir sehen sie in Fernsehshows und | |
immer wieder als angebliche Experten. Ihre Eitelkeit macht sie käuflich. | |
Sie schreiben oft schlecht und sind oft unglaubwürdig, aber sie können | |
durch die bewährten Seilschaften an die großen Medien herankommen. | |
Autoren wie Jürgen Todenhöfer oder Peter Scholl-Latour finden den Absatz | |
ihrer bedenklichen Sympathien für Mörder wie Assad nicht etwa auf den | |
Seiten der Bild-Zeitung. Sie sitzen bei ARD, FAZ, FAS und Die Zeit in der | |
ersten Reihe. Und sind sie einmal da, werden sie von hunderten kleineren | |
Medien zitiert. Man kann darüber den Kopf schütteln, aber das ist zu wenig. | |
Ihre Beiträge sind kaum zu ertragen. | |
Was ist es, das diesen Prominenz-Journalismus so überzeugend wirken lässt, | |
so dass ihm auch angesehene Presseorgane ganzseitige Veröffentlichungen | |
einräumen? | |
Prominenz-Journalisten verfügen offensichtlich über wundersame | |
Eigenschaften. | |
Erstens sind sie als Politiker oder ehemalige Journalisten geübt darin, so | |
sensationell wie die Boulevardpresse zu schreiben. Oder etwa in einem | |
kurzen Film von 30 Minuten zehn mal hin und her zu fliegen. Von Frankfurt | |
nach Kairo, nach Tripoli, Bengasi oder Damaskus. Und in jedem Bericht so zu | |
tun, als seien sie gerade noch der Verhaftung entkommen. Wie in B-Filmen | |
oder Groschenromanen sind sie zwar ohnmächtig gegenüber bewaffneten | |
Soldaten, aber natürlich sind sie klüger als diese. Sie lächeln sie an und | |
entwaffnen sie. | |
Das allein lässt viele Presseorgane der Bundesrepublik vor ihnen | |
einknicken, da sie selber kaum noch Reporter vor Ort haben. Es kommt einer | |
Erpressung gleich. Todenhöfer und Scholl-Latour wiederholen das in jedem | |
Artikel und Gespräch: Ich war ja da, ihr nicht. Als ob die bloße | |
Anwesenheit ein Qualitätsmerkmal wäre, aber der erpresserische Moment | |
wirkt. | |
Zweitens unterhalten diese alten Herren in der Tat langjährige Beziehungen | |
zu Diktaturen, die sie nun aktivieren. Und plötzlich trinken sie Tee mit | |
Assad. Das beeindruckt bedauerlicherweise viele Redaktionen. | |
Und was ist daran so schlimm, dass sie als Prominente aufklären wollen? | |
Gar nichts. Aufklärung ist immer gut. Aber wenn der Prominenz-Faktor zur | |
Blendung führt und zur Akzeptanz einer von Fehlern, Rassismus und | |
Falschheit getränkten Berichterstattung, so ist das nicht akzeptabel. | |
Verblendung gepaart mit Eitelkeit ist gefährlich. Verblendung nicht nur | |
gegenüber einer Diktatur, sondern auch gegenüber deren Gegnern. | |
Ein erwachsener Mensch muss sich doch die simple Frage stellen: Warum | |
werden alle Journalisten aus Syrien verjagt, und warum bekomme ich die | |
Erlaubnis, mit Kamera und Mikrofon von Damaskus loszufahren, werde an den | |
Kontrollpunkten durchgelassen, um in die Hochburg des Aufstands zu | |
gelangen? Und wenn der Prominenz-Journalist sich nicht einmal fragt, warum | |
Daraa, die Wiege der Revolution, auf einmal so ruhig ist, sondern nur | |
begeistert [1][von den günstigen Kirschen schwärmt], dann ist man | |
verblendet. | |
„Nirgendwo sehen wir uniformierte Polizei, nur zwei Soldaten beim Kaufen | |
von Aprikosen. Ich sehe kleine knackige Kirschen. Kirschen aus Daraa sind | |
eine syrische Köstlichkeit. Ich kaufe ein Kilo für 25 syrische Lira, das | |
sind 35 Cent,“ so Todenhöfer. Und dann geht es weiter, in | |
Humphrey-Bogart-Stil: „Der Anführer der Geheimpolizisten, ein übermüdeter, | |
älterer Mann mit kurzen grauen Haaren, schaut mir nachdenklich in die | |
Augen. Ich schaue ihm genauso nachdenklich in die Augen.“ | |
Damals, im Juni 2011 waren bereits Tausende umgebracht und Zehntausende | |
Menschen entführt, verschleppt und verhaftet worden. Das ist Verblendung | |
total. Was mich bei Todenhöfer bis zur Empörung erstaunt. Er setzt das elf | |
Monate nach dem Ausbruch des Aufstands in der Frankfurter Allgemeinen | |
Sonntagszeitung, FAS, vom 19. 2. 2012 fort: „In manchen Stadtteilen von | |
Homs, das ich zweimal besucht habe, hängen noch immer große Poster mit | |
Assads Bild. Im größten Teil von Homs (es mögen 70 Prozent sein) geht das | |
Leben seinen normalen Gang.“ | |
Der Prominenz-Journalist hat noch nicht begriffen, in welchem Theater er | |
seine naive Rolle bekommen hat. Ob Scholl-Latour oder Todenhöfer, sie | |
singen unbeeindruckt von der Wirklichkeit eine Lobeshymne auf den weisen | |
Baschar al-Assad. | |
Für sie ist Baschar al-Assad außerhalb der Gesellschaft. Ein Eremit auf | |
einem fernen Berg, von dem sie die Erlösung erhoffen. | |
[2][Todenhöfer im Januar 2012 über Assad]: „Er ist Arzt, und so wirkt er | |
auch – nicht wie ein arabischer Potentat. Er ist ein Mann, der Sie an der | |
Tür abholt, ohne Security. Der nicht trickreich argumentiert. Er hat mir | |
gesagt, Demokratie sei für Syrien ’zwingend‘, er werde das Land in die | |
Demokratie führen.“ | |
Scholl-Latour: „[3][Er wirkte selbstbewusst, heiter und entspannt]“, | |
„[4][Assad wirkte sehr locker]“. Nun beeilte sich Todenhöfer, auch mit | |
Assad Tee zu trinken, um uns am 19. 2. 2012 (FAS) nach 8.000 Toten, 50.000 | |
Verschleppten und einer fast zerstörten Stadt Homs mitzuteilen: „Wenn der | |
im Westen ausgebildete Assad derselben Meinung ist, muss er sich an die | |
Spitze der Demokratiebewegung stellen“, und Todenhöfer ist geschickt. Er | |
findet angeblich einen so verblödeten Marxisten, der angeblich 14 Jahre im | |
Assads Kerker saß, um zu der erleuchteten Schlussfolgerung zu kommen: der | |
Einzige, der Demokratie auf friedlichem Wege bringen könne, sei Assad. | |
In Wirklichkeit ist Assad der Befehlshaber der Armee und oberste Herr der | |
15 Geheimdienste und der mafiösen Vetternwirtschaft in Syrien. Aber die | |
Lernresistenz bei Todenhöfer & Co kennt keine Grenzen. Hat sich ein solcher | |
Journalist nicht gefragt, welche Leute das Land seit vierzig Jahren | |
beherrschen und ausbluten lassen? Wie wurden Verwandte des Präsidenten zu | |
Multimillionären, so wie sein Bruder Maher und sein Onkel Rifaat al-Assad, | |
oder gar zu Milliardären wie sein Cousin Rami Makhlouf? Wie konnte Baschar | |
al-Assad die Republik vom Vater einfach erben? Was machen die 15 | |
Geheimdienste? Was hat Assad jun. in den letzten zehn Jahren daran | |
gehindert, das Land zu reformieren? Was mich noch mehr erstaunt: Gab es | |
keinen Redakteur in FAZ, FAS, Die Welt oder FR, der ihm sagte, den Schmarrn | |
haben Sie bereits vor sechs Monaten in der Zeit behauptet – die | |
Wirklichkeit sieht aber nun mal anders aus? | |
Ich frage mich aber auch: Wie erklärt man sich die Sympathie, die solche | |
Prominenz-Journalisten ebenfalls unter Linken und manch kritischer Zeitung | |
wie Der Freitag erhält? | |
Die Linkspartei-Abgeordneten Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, | |
Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter und deren außenpolitische Sprecherin | |
Sevim Dagdelen vertreten ähnliche Haltungen wie die Prominenz-Journalisten | |
Todenhöfer und Scholl-Latour. Auf einmal stehen sich Extremlinke und | |
reaktionäre alte Herren so nahe. Das erstaunt, aber es ist nicht neu. | |
Ich habe als Student in Heidelberg in den 1970er Jahren erlebt, wie | |
Anhänger einer linksradikalen Studentengruppe gegen uns und unsere | |
chilenischen Freunde, aber für Pinochet, Sadat und Assad auftraten. Damals | |
war Todenhöfer CDU-Bundestagsabgeordneter und wie CSU-Chef Franz Josef | |
Strauß ein bekennender Freund des chilenischen Diktators Pinochet. Heute | |
lügt Todenhöfer, wenn er sich als einstigen Kritiker des Mörders Pinochet | |
darstellt. Sein Pech ist, dass [5][seine Freundschaft dokumentiert ist]. | |
Einige Linkspartei-Abgeordnete verschließen heute die Augen vor den über | |
7.000 ermordeten und 50.000 gefangenen Menschen seit dem Beginn des | |
Protests. Sie wollen Assad bis zum letzten Syrer verteidigen. | |
Ich frage mich, ob die Haltung dieser Linksparteiabgeordneten etwas mit der | |
Russlands zu tun hat, so dass sie parallel und nur scheinbar identisch mit | |
dem launischen, oberflächlichen Prominenz-Journalismus erscheint, in | |
Wirklichkeit aber Teil einer globalen Politik ist. | |
Es ist nicht einfach scheinbar und zugleich nicht ganz identisch. Es ist | |
eine merkwürdige Konstellation der Freunde des Assad-Regimes. Todenhöfer | |
findet die Russen auf einmal sehr klug und die Linkspartei vertritt in | |
Teilen, wie die DKP und SED früher, die Meinung der Russen. Die russischen | |
Machthaber aber sind keine Vermittler, sondern stehen eindeutig auf der | |
Seite des Diktators. Sie liefern ihm Waffen, Militär- und | |
Geheimdienst-Experten zur Bekämpfung des syrischen Volkes. Russland ist | |
Partei in dem Konflikt, es folgt seinen historisch gewachsenen | |
geopolitischen Interessen. | |
Die Russen haben seit der Zarenzeit von Warmwasserhäfen geträumt. Ihre | |
Politik stand nicht selten unter diesem Drang. Persien, Indien, der frühere | |
Südjemen, Syrien, Ägypten, Libanon oder die Türkei wurden gezielt | |
angegangen. Die imperiale russische Politik scheiterte aber auf der ganzen | |
Linie. Heute haben sie nur noch in Syrien offene Häfen am Mittelmeer und | |
ihren letzten Stützpunkt. Die arabischen Diktatoren haben in den 1960 und | |
1970er Jahren Milliarden-Waffengeschäfte mit der früheren Sowjetunion | |
getätigt. Dafür verrieten die Sowjets auch die arabischen Kommunisten an | |
die jeweiligen Machthaber. | |
Es war makaber, russische Kommunisten in Eintracht und inniger Freundschaft | |
(inklusive Küsschen) mit ägyptischen, syrischen, irakischen oder | |
algerischen Diktatoren zu sehen, während arabische Kommunisten in den | |
Kellern der jeweiligen Geheimdienste und in Folterlagern in der Wüste | |
starben. Ostdeutsche Spezialisten sowie KGB-Experten bauten den syrischen | |
Geheimdienst mit auf. Und die arabischen Stalinisten kramten nach Zitaten | |
von Lenin oder Stalin, die diesen Verrat unter „Unabhängigkeit der | |
kommunistischen Bewegung und der sozialistischen Länder in ihrem | |
politischen Handeln“ rechtfertigen sollten. | |
Für die Kommunisten in den arabischen Ländern war das der größte Schock | |
ihrer Geschichte. Die Rechtfertigung aber wirkte so vertikal in die Seelen | |
der Stalinisten, dass heute zwei winzige K-Parteien (mit jeweils ein paar | |
hundert Anhängern) Assad in Syrien unterstützen. Putin, der heutige | |
russische Machthaber und ehemalige KGB-Offizier, handelt in diesem Sinne in | |
der Tradition seiner Vorfahren. | |
Die Russen werden bei einer Befreiung Syriens die großen Verlierer sein. | |
Deshalb klammern sie sich an Assad. Hier könnten die alten Abhängigkeiten | |
die heutigen Ideologien von manch Linken mit beeinflusst haben. | |
Ich rätsle auch darüber, warum Prominenz-Journalisten behaupten, die Syrer | |
hätten ihren Aufstand bislang nicht so zäh führen können, wenn nicht | |
ausländische Kräfte und geheime Mächte dabei ihre Finger im Spiel hätten. | |
Zunächst einmal ist es purer Rassismus, wenn einer nicht einmal ein | |
arabisches Wort spricht, aber Analysen über die arabischen Aufständischen | |
im Untergrund anstellt. Es erinnert an Marco Polo, der auch kein Wort | |
Arabisch oder Persisch sprach und die bis heute hartnäckig sich haltende | |
Lüge über die Haschaschin (Assassinen) verbreitet hat. Solche Behauptungen | |
implizieren, dass die Araber unfähig seien zwischen Freiheit und Sklaverei | |
zu unterscheiden, dass sie wie Marionetten aus dem Ausland bewegt würden. | |
Todenhöfer: „Insgesamt funktioniert die Lawrence-von-Arabien-Strategie | |
jedoch vorzüglich. Viele Araber erkennen nicht, dass der Westen sie noch | |
nie befreien, sondern immer nur beherrschen wollte.“ (FAS, 19. 2. 2012). | |
Das ist nicht einmal originell, die Einschätzungen des | |
Prominenz-Journalisten bewegen sich auf dem Niveau des syrischen | |
Propagandaministeriums. Das Assad-Regime behauptete von Anfang an, der | |
Aufstand würde von außen gesteuert. So etwas Herrliches wie diese | |
Revolution hat die Diktatur vom unterjochten Volk nicht erwartet. Der | |
Herrscher ist geschockt. Seit vierzig Jahren führt sein Clan das Land wie | |
eine Farm mit Leibeigenen und Sklaven und ausgerechnet diese sollen nun in | |
der Lage sein, so raffiniert organisierte Demonstrationen täglich und | |
gleichzeitig und mit derselben Parole (jede Woche steht unter einem Moto) | |
an 200 bis 400 Orten stattfinden zu lassen. | |
Es ist ein großes Zeichen der Stärke, dass die syrische Revolution immer | |
noch mutig auf die Straße geht, trotz massiver Repression des Regimes, das | |
in seiner Gewalt von Geheimdiensten des Irans, Iraks, Russlands und leider | |
auch von US-amerikanischen Computer- und Internetfirmen wie Blue Coat | |
unterstützt wird. Die Oppositionsbewegung hält durch, ohne Parteien, ohne | |
öffentliche charismatische Führung und auch ohne Intellektuelle. | |
Ich frage mich und hadere täglich mit mir, wenn die Berichte des | |
Prominenz-Journalismus eine Lüge, ein Produkt der Eitelkeit sind. Warum | |
schmerzt mich das so? | |
Weil ich nicht imstande bin, diese Prominenz-Journalisten ausreichend | |
anzuklagen – wegen Vertuschung von Völkermord, wegen der Verachtung der | |
syrischen Frauen und Männer, die ihr Leben auf der Straße geben, um die | |
Freiheit zu erkämpfen. | |
Die Prominenz-Journalisten wissen von den Morden, aber sie leugnen sie, | |
weil sie dann ihre Verbundenheit mit den Mördern nicht mehr rechtfertigen | |
könnten. Sie sind in gewisser Hinsicht ihre Gefangenen geworden. Das | |
syrische Volk, das Leid und die ungeheuren Opfer spielen bei ihren eitlen | |
Berichten nur eine Statistenrolle. | |
Es ist eine tiefe Verletzung, die ich beim Lesen empfinde. Homs, die | |
tapfere Stadt, die nun vom eigenen Herrscher bombardiert wird, fand | |
weltweit Sympathie und Solidarität. Aber nicht bei den | |
Prominenz-Journalisten, weil das alles Lüge strafen würde, was sie | |
behauptet haben. Homs, die grüne schöne Stadt am Orontes (arabisch al Assi | |
= der Ungehorsame), und ihre Bewohner galten immer als besonders ruhige, | |
gelassene und lustige Menschen. Und nun ist Homs zum Herzen der Revolution | |
geworden und deshalb will Assad, der Sohn, ein Exempel statuieren, so wie | |
Assad, der Vater, 1982 in der nahen Stadt Hama. Damals hatte er 30.000 | |
unschuldige Tote hinterlassen. | |
Nicht das Christentum, nicht das Judentum und nicht den Islam, sondern uns | |
müssen wir befragen, ob es nicht reicht, dass nach so vielen Morden Scham | |
das Gesicht der Menschheit überzieht, so wie in Guernica, Sarajevo und | |
Ruanda. | |
Der renommierte und engagierte spanische Autor Juan Goytisolo, der vor | |
Jahren Aufsehen erregt hat, als er den mit 150.000 Euro dotierten | |
Gaddafi-Preis ablehnte, schrieb in der spanischen Tageszeitung El País | |
[6][einen bewegenden Artikel] über die Zerstörung der Stadt Homs durch den | |
Mörder Assad. | |
Die deutschen Prominenz-Journalisten aber sehen nichts als eine westliche | |
oder islamistische Verschwörung. Die kritischen Berichte über die | |
Gräueltaten Assads in Syrien seien zum größten Teil gefälscht. Sie stellen | |
sich blind gegenüber Live-Berichten aus der Mitte der Demonstrationen, die | |
stündlich aktuell gesendet werden. Die Filmer sind das beliebteste Ziel der | |
Scharfschützen. Über das Internet kann man auf die Vignette eines dieser | |
Sender klicken und [7][die Berichte sehen]. Es sind oft fast 20 Filme | |
täglich!!! | |
(Ich empfehle die Vignetten nicht anzuklicken, bei denen man Menschen | |
sieht, die auf dem Boden liegen. Es sind traurige und bisweilen brutale | |
Aufnahmen vom Tod von Demonstranten.) Die Mehrheit der Youtube-Videos | |
zeigen direkte Demonstrationsaufnahmen und immer dokumentiert man akustisch | |
und in Schrift Motto, Datum und Ort vor der Kamera. Es sind kluge Maßnahmen | |
der Revolutionäre, um der Propaganda des Regimes entgegenzutreten, das | |
behauptet, solche Aufnahmen würden im Irak von Schauspielern unter | |
amerikanischer Regie gemacht. | |
Die Prominenz-Journalisten spielen eine widerliche Rolle. Sie verleumden | |
Tote und Lebende, um den Diktator zu decken. Todenhöfer: „Bei den Getöteten | |
handelt es sich zu einem hohen Prozentsatz um Soldaten, Polizisten, aber | |
auch um Zivilisten, die von bewaffneten Rebellen getötet wurden.“ (FAS, 19. | |
2. 2012) | |
Das behaupten Sie, angesichts eines Regimes, das nicht davor | |
zurückschreckt, Verletzte zu quälen, bis sie ihre Kameraden verraten, das | |
sogar Kinder tötet und die Eltern eines genialen Komponisten und Pianisten | |
foltert, weil ihr Sohn, im Ausland lebend, Solidarität mit der syrischen | |
Freiheitsbewegung bekundet hat. Malek Jandali hat eine Freiheits-Symphonie | |
für den Sänger der Revolution Ibrahim al-Qashoush (1977–2011) komponiert. | |
Qashoush wurde trotz seiner heiseren Stimme „Nachtigall der Revolution“ | |
genannt. Der Geheimdienst hat ihn entführt, gefoltert und ihm den Kehlkopf | |
herausgeschnittenen. | |
Hören Sie sich bitte einmal [8][die Musik an, die Jandali für Qashoush | |
komponierte]. Ich lasse das Stück dreimal spielen. Draußen graut der | |
Morgen. Es ist Montag, der 27. Februar 2012. | |
2 Mar 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/2011/24/Syrien-Reise | |
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/juergen-todenhoefer-im-interview-wir-ins… | |
[3] http://zenithonline.de/deutsch/home/quicknews/artikel/scholl-latour-in-syri… | |
[4] http://www.pnp.de/nachrichten/heute_in_ihrer_tageszeitung/politik/332371_De… | |
[5] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41558881.html | |
[6] http://internacional.elpais.com/internacional/2012/02/10/actualidad/1328898… | |
[7] http://www.youtube.com/user/SHAMSNN | |
[8] http://www.youtube.com/watch?v=ax5ck0fzyaU&feature=player_embedded | |
## AUTOREN | |
Rafik Schami | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jakob Augstein über Jürgen Todenhöfer: „Er ist kein Journalist“ | |
Der umstrittene Publizist Jürgen Todenhöfer wird Herausgeber der | |
Wochenzeitung „Freitag“. Er begreife das als Experiment, sagt Verleger | |
Jakob Augstein. | |
Nachruf auf Peter Scholl-Latour: Der Fremdenlegionär | |
Der Journalist Peter Scholl-Latour hat stets polarisiert. Nun ist der | |
Rechthaber, der leider oft Recht behalten sollte, mit 90 Jahren gestorben. | |
Kulturkampf im Irak: Mit Zementblöcken gegen Emos | |
Die Regierung will unangepasste Jugendliche in den Griff bekommen und ruft | |
zur „Eliminierung“ von Emos auf. Eine Serie von Morden versetzt säkulare | |
Iraker in Angst. | |
Antwort auf Rafik Schami: Der syrische Knoten | |
Rafik Schami warf „Prominenz-Journalisten“ vor, „Sympathien für Mörder … | |
Assad“ zu verbreiten. „Prominenz-Journalist“ Jürgen Todenhöfer verteidi… | |
seine Position. | |
Kommentar Syrien-Politik: Saudische Lösung | |
Guido Westerwelle spricht bei seinem Saudi-Arabien-Besuch von einer | |
„jemenitischen Lösung“ für Syrien: Assad solle ins Exil gehen, damit wied… | |
Frieden einkehren kann. | |
Bilanz von Kofi Annans Reise nach Syrien: Assad mauert und mauert | |
Trotz breiter internationaler Unterstützung kann der Sondergesandte Kofi | |
Annan in Damaskus keinerlei Fortschritte erzielen. Das gilt auch für die | |
humanitäre Hilfe. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Libanon warnt syrische Deserteure | |
Nach der jüngsten Eskalation der Gewalt flüchten wieder mehr Syrer in die | |
Türkei. Im Nachbarland Libanon werden bewaffnete Oppositionelle verhaftet. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Vize-Ölminister läuft über | |
Der stellvertretende Ölminister des syrischen Regimes hat sich offenbar den | |
Aufständischen angeschlossen. Das US-Verteidigungsministerium prüft | |
Interventionsmöglichkeiten. | |
Syriens Armee schießt weiter auf Zivilisten: Angriff auf die nächste Protesth… | |
Ganze Wohnviertel sind ohne Medikamente, Öl und Lebensmittel. Assads Armee | |
schießt aber weiter auf Zivilisten. Die Städte Kusair und Rastan sollen | |
unter Panzerbeschuss stehen. | |
Editorial Syrien: Syrien und die deutsche Öffentlichkeit | |
In Syrien sollen die Oppositionellen in Homs ausgerottet werden. Während | |
Journalisten anderer Länder sich ins Land trauen, trinken deutsche Reporter | |
Tee mit dem Diktator. | |
Nahost-Forscherin über Syrien: „Einige Güter werden bereits knapp“ | |
Forscherin Anja Zorob über die wirtschaftliche Lage in Syrien, die | |
gespaltene Opposition und die Zukunftsperspektiven des gebeutelten Landes. | |
Syrien und Irak: Scheich Duleimi ruft zum Aufstand | |
Der Bürgerkrieg in Syrien spaltet die Iraker. Durch einen möglichen Sturz | |
Assads erhoffen sich Sunniten eine Schwächung der Schiiten im Land. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Zwei Journalisten wieder in Sicherheit | |
Die beiden französischen Journalisten Edith Bouvier und William Daniels | |
konnten von Homs in den Libanon fliehen. Die syrische Armee stürmte das | |
Stadtviertel Baba Amr. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Blackout über Baba Amr | |
Rebellen und Soldaten liefern sich heftige Gefechte in der syrischen Stadt | |
Homs. Die Rebellen sollen sich aus dem Stadtteil Baba Amr zurückgezogen | |
haben. | |
Jahrestag Massaker in Syrien: Das Trauma bleibt | |
Vor 30 Jahren tötete das Regime Assads in der Stadt Hama 20.000 Menschen. | |
Heute tötet das Regime erneut – aber der Aufstand ist ein anderer als | |
damals. |