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# taz.de -- Kulturkampf im Irak: Mit Zementblöcken gegen Emos
> Die Regierung will unangepasste Jugendliche in den Griff bekommen und
> ruft zur „Eliminierung“ von Emos auf. Eine Serie von Morden versetzt
> säkulare Iraker in Angst.
Bild: Piercings und ein langer Pony – die Emo-Schublade wartet schon.
BAGDAD taz | Jeden Morgen geht Dr. Fadhel Jatti durch die Hörsäle und hält
Ausschau nach Studentinnen und Studenten in engen Jeans und Emo-Shirts. Als
Leiter der Fernsehabteilung des Medien-Colleges an der Universität von
Bagdad hat Jatti eigentlich Wichtigeres zu tun. Aber Befehl sei Befehl,
sagt Jatti.
Die irakische Regierung hat in den letzten Wochen die Eliminierung des
„Phänomens der Emo“ angeordnet. Emo ist die Kurzbezeichnung für Emotional
Hardcore, ein Musikstil, der seine Wurzeln im Punk hat. Daraus erwuchs im
letzten Jahrzehnt eine Jugendkultur, die sich durch ihr androgynes Äußeres
ausdrückt. Wie anderswo in der Welt fand die neue Bewegung auch im Irak
ihre Anhänger – in der Hauptstadt und in anderen Städten des Landes dürften
sich schätzungsweise ein paar Hundert Jugendliche dazu zählen.
Doch seitdem die Regierung Emo ins Visier nahm, hat eine Reihe von
ungeklärten Morden eine Schockwelle unter Jugendlichen – aber auch unter
Schwulen und säkular gesinnten Irakern – ausgelöst. Wie viele Tote es
gegeben hat, liegt im Dunkeln. Irakische Fernsehsender, die der Regierung
kritisch gegenüberstehen, berichteten von jungen Männern im Emo-Look, denen
mit Zementblöcken der Schädel eingeschlagen worden sei. Von mehr als 100
Todesopfern ist die Rede.
Über Facebook verbreiteten junge Iraker die Fotos eines jungen Mannes mit
Gelfrisur, der im vergangenen Monat ermordet wurde. Eine Aufnahme zeigt ihn
mit fantasievollem Make-Up, auf einem zweiten Bild ist seine
blutüberströmte Leiche auf einem Polizeiwagen zu sehen (taz.de hat sich
entschieden, das zweite Foto nicht zu zeigen).
Lange Zeit von Milizen und Extremisten in den Untergrund gedrängt, haben
irakische Jugendliche in den letzten Jahren begonnen, mit westlichen
Modestilen zu experimentieren. Inzwischen gilt allerdings jeder als Emo,
der sich irgendwie westlich gibt – Männer mit langen Haaren oder Tattoos,
Anhänger von Heavy Metall, HipHop und Rap oder Mädchen mit Piercings.
## Die Regierung spricht von Medienlügen
Die Regierung bestreitet, dass es überhaupt Morde an Emos oder Schwulen
gegeben hat. Das Innenministerium bezeichnete die Berichte als Gerüchte und
Medienlügen. Von keiner Polizeiwache lägen Informationen über Emo-Morde
vor, erklärte diese Woche Akil Tureihi, der Generalinspektor des
Ministeriums. Es gäbe auch keine entsprechenden Ermittlungen.
Menschenrechtler sprechen von Vertuschung.
„Die Regierung hat das Feuer gelegt und tut jetzt so, als habe sie nichts
damit zu tun“, sagt ein bekannter Aktivist, der namentlich nicht genannt
werden möchte. Vor vier Wochen erklärte der Leiter der Sozialpolizei, der
irakischen Sittenpolizei, dass das „Phänomen der Emos oder Teufelsanbeter“
unter Teenagern derart weit verbreitet sei, dass man dagegen einschreiten
müsse. Seine Behörde sei autorisiert worden, in sämtlichen Schulen nach
Emos zu suchen und sie „so schnell wie möglich zu eliminieren“. Begründun…
Die Bewegung sei zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden.
Etwa zur gleichen Zeit verschickte der Minister für höhere Bildung, Ali
Adib, ein Schreiben an sämtliche Hochschulen, in dem er ebenfalls die
Ausmerzung der Emos fordert. Man erkenne sie an ihren engen Jeans, Shirts
mit Totenköpfen und ihren Armbändern, heißt es in dem Schreiben. Die Emos
seien Teufelsanbeter, die gegen die Scharia verstießen und von
ausländischen Mächten unterstützt würden.
## Das Phänomen widerspricht der Religion
Seitdem macht Departmentsleiter Jatti seine morgendlichen Rundgänge durch
die Hörsäle. Wenn er einen Emo entdecke, sage er ihm, dass er sich anders
kleiden müsse, sagt Jatti. „Wir müssen gegen das Phänomen vorgehen, es
widerspricht unserer Religion.“ Gewalt lehne er aber strikt ab.
Das sieht offenbar nicht jeder so. In mehreren schiitischen Quartieren sind
Flugblätter mit Namenslisten, teilweise mit Adresse aufgetaucht. Darin
werden angebliche Emos und Schwule bedroht. „Wenn ihr euer Verhalten nicht
ändert, wird der Tod euer Schicksal sein“, heißt in einem Flugblatt, das
sich an Schwule in Sadr City richtet.
Sadr City ist ein Stadtteil im Nordosten von Bagdad und Hochburg des
schiitischen Predigers Moktada as-Sadr. Seine Miliz wurde in der
Vergangenheit für den Mord an Dutzenden von Schwulen in Bagdad
verantwortlich gemacht. Viele Exmilizionäre dienen heute in der Polizei und
der Armee. Sadr nannte die Emos kürzlich „verrückte Narren“ und rief seine
Anhänger auf, der „Plage innerhalb des Rechts“ zu begegnen.
Scharenweise strömen junge Männer mit längeren Haaren derzeit zu den
Friseuren, um sich ihre Haare schneiden zu lassen. Viele haben ihre
auffälligen Hoodies im Schrank versteckt. „Die Kleidung ist die einzige
Freiheit, die Jugendliche hier hatten“, sagt der Händler Saif Abdul Kerim.
„Jetzt nehmen sie uns auch das noch.“ In seinem Laden im zentralen
Stadtteil Karrada verkauft Abdul Kerim die von der Regierung inkriminierte
Kleidung. Doch jetzt bleiben die Kunden weg. Zur besten Verkaufszeit an
einem Abend in dieser Woche war der Laden leer. Ein paar Blocks weiter hat
Serwar, der als bester Tätowierer in der Stadt gilt, die Pforten
geschlossen. Er habe Angst, gesteht er offen am Telefon.
## Die Protestbewegung verstummt
Angst haben auch die Jugendaktivisten, Menschenrechtler und Journalisten,
die sich im vergangenen Jahr an den Protesten gegen die Regierung
beteiligten. Nach dem die Sicherheitskräfte Dutzende von Demonstranten
verhafteten und Menschenrechtler zufolge folterten, ist die Protestbewegung
weitgehend verstummt.
Im Herbst wurde der prominente Journalist Hadi al-Mehdi, ein scharfer
Kritiker von Regierungschef Maliki, in seinem Haus erschossen. Seitdem
trauen sich nur noch wenige, laut Kritik an der Regierung zu üben.
„Fast jeder hat Angst, er könnte der Nächste sein“, sagt ein Journalist. …
der Kampagne gegen die Emos sieht er den jüngsten Versuch der Regierung,
das Land auf den Kurs der fundamentalistischen Schiiten-Parteien zu
bringen. Sowohl der Chef der Sittenpolizei als auch der Bildungsminister
sind Schiiten. Bildungsminister Ali Adib ist nach Regierungschef Nuri
al-Maliki der zweite Mann in der Dawa-Partei. Während al-Maliki die
säkularen Sunniten in der Regierung jüngst in die Knie zwang, hat er
schiitischen Extremisten die Tür zur politischen Teilhabe geöffnet.
Gemäßigte schiitische Geistliche geißelten die Emo-Morde als Terrorismus –
aber al-Maliki hat sich bisher nicht dazu geäußert. Kritiker deuten dies
als Zugeständnis an die Radikalen.
Am Medien-College bezeichnet der Studentenvertreter Mustafa al-Kasimi das
Vorgehen gegen die Emos als Kulturkampf. „Die militärische Besetzung der
Amerikaner haben wir erledigt“, sagt Kasimi. „Nun müssen wir die kulturelle
und intellektuelle Besetzung bezwingen.“
20 Mar 2012
## AUTOREN
Inga Rogg
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