| # taz.de -- Nachruf auf Peter Scholl-Latour: Der Fremdenlegionär | |
| > Der Journalist Peter Scholl-Latour hat stets polarisiert. Nun ist der | |
| > Rechthaber, der leider oft Recht behalten sollte, mit 90 Jahren | |
| > gestorben. | |
| Bild: Er hatte die ganz Großen vor der Kamera: Peter Scholl-Latour interviewt … | |
| Alle anderen Gäste standen Spalier, und das Publikum bedachte ihn mit | |
| stehenden Ovationen, als Peter Scholl-Latour im Dezember 2001 den | |
| „Deutschen Fernsehpreis“ für sein Lebenswerk entgegennahm. Diese | |
| Auszeichnung sei so etwas „wie die letzte Ölung, ein Sakrament“, scherzte | |
| der damals 77-Jährige. Wenig bescheiden, verglich er sich in seiner | |
| Dankesrede mit einem dienstältesten Soldaten im alten Rom und warnte | |
| spöttisch mit einem Zitat von Bernard Shaw: „Beware of old men, they have | |
| nothing to lose“ („Vorsicht vor alten Männern, sie haben nichts zu | |
| verlieren“). | |
| Er sollte, wie so oft, Recht behalten. Die Anschläge vom 11. September 2001 | |
| hatten Scholl-Latour ein unerwartetes Comeback beschert, das über eine | |
| Dekade anhalten sollte. Das war auch deswegen überraschend, weil er in den | |
| Neunzigerjahren weitgehend abgemeldet gewesen war, für viele ein Relikt aus | |
| einer anderen Zeit. Aber als die Türme des World Trade Centers in sich | |
| zusammenstürzten und der Bedarf nach Araber- und Islam-Experten auch im | |
| deutschen Fernsehen sprunghaft anstieg, rückte der Veteran der | |
| Krisenberichterstattung wieder ins Rampenlicht. | |
| Dabei waren seine pessimistischen Prognosen, etwa zu den Aussichten des | |
| Afghanistan-Kriegs, die er mit lakonisch-schnarrender Stimme, zunehmendem | |
| Nuscheln und arroganter Entschiedenheit vortrug, nicht immer populär. | |
| Seinen Ruf als „Islam-Experte“ hatte sich Scholl-Latour vor allem dadurch | |
| erworben, im Flugzeug mit Ayatollah Chomeini gesessen zu haben, als dieser | |
| 1978 von Paris nach Teheran zurück kehrte und der Revolution gegen das | |
| Schah-Regime im Iran eine islamische Wende beibrachte. Zuvor hatte er den | |
| iranischen Geistlichen und späteren „Revolutionsführer“ mehrfach in seinem | |
| Pariser Exil interviewt. | |
| Früh ahnte er, dass der Umsturz im Iran eine Zeitenwende für die ganze | |
| Region einläuten würde. Scholl-Latour inszenierte sich gerne als | |
| Welterklärer, der mit raunendem Unterton die ganz großen Linien zog und | |
| dabei mit gewagten historischen Vergleichen nicht sparte. Diese Rolle hatte | |
| er während seiner Zeit als Auslandskorrespondent kultiviert, in der er das | |
| Bild der Deutschen von der Welt – vor allem Afrikas, Asiens und des Nahen | |
| Ostens –, maßgeblich prägte. Seine zur Schau gestellte Weltläufigkeit | |
| verlieh ihm dabei einen besonderen Nimbus. | |
| Geboren am 9. März 1924 in Bochum, war Scholl-Latour im schweizerischen | |
| Fribourg an einem Jesuitenkolleg zur Schule gegangen. Dorthin hatten ihn | |
| seine Eltern geschickt - zu seiner Sicherheit. Sein Vater war ein Arzt aus | |
| dem Sauerland, seine Mutter stammte aus dem Elsass und entkam als Jüdin nur | |
| knapp der Deportation durch die Nazis. Mit 20 wollte sich der junge | |
| Scholl-Latour der Résistance anschließen, geriet aber in Gestapo-Haft. | |
| Dafür kämpfte er nach dem Krieg als Freiwilliger als Fallschirmjäger mit | |
| der französischen Armee in Indochina. | |
| ## Bestseller über Indochina | |
| Später studierte er in Paris und Beirut, wo er sich rudimentäre | |
| Arabischkenntnisse aneignete. Nach 1950 begann seine Karriere als | |
| Journalist, erst als ARD-Korrespondent in Afrika, dann in Paris, bevor er | |
| zum ZDF wechselte. Als er 1973 für das ZDF aus Vietnam berichtete, wurden | |
| er und sein Team von Vietcong-Rebellen entführt, dafür konnte er nach | |
| seiner Freilassung mit spektakulären Aufnahmen glänzen. „Der Tod im | |
| Reisfeld“, sein Beststeller über die Kriege in Indochina, erschien 1979 und | |
| verkaufte sich mehr als eine Million Mal. | |
| In den 80ern wurde er Herausgeber des Magazins Stern, doch das blieb eine | |
| Episode. Anschließend verlegte er sich ganz auf ein Dasein als freier | |
| Publizist, der durch Fernsehfeatures, Buch-Bestseller und | |
| Talkshow-Auftritte sein Auskommen fand. Zwei Regionen sollen noch in seinem | |
| Portfolio gefehlt haben, Ost-Timor und die Antarktis, dann hätte er die | |
| ganze Welt gesehen, behauptete Scholl-Latour stolz. | |
| Er war bei den Vietcong, bei den Mudschaheddin in Afghanistan, bei den | |
| kurdischen Peschmerga, im Kongo und in Zentralasien. Auf den Titeln seiner | |
| vielen Sachbücher, meist Mischungen aus Reportagen, Anekdoten und | |
| politischen Analysen, sieht man ihn vor wechselnden Kulissen posieren, | |
| anfangs eher hemdsärmelig, später stets mit elegantem Halstuch, aber immer | |
| mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der schon alles gesehen hat. Diesen | |
| Fremdenlegionärs-Gestus des ewigen Abenteurers legte er nie ganz ab. | |
| Die Inhalte seiner Bücher waren umstritten. Wissenschaftler warfen ihm vor, | |
| dass er ein klischeehaftes und falsches Bild des Orients und Afrikas | |
| zeichnete und auch die Ängste vor der muslimischen Einwanderung nach Europa | |
| nährte. Schon seine alarmistischen Buchtitel wie „Afrikanische Totenklage“, | |
| „Das Schlachtfeld der Zukunft“ oder „Die Angst des weißen Mannes“ lie�… | |
| ahnen, dass von ihm wenig Trost zu erwarten war. | |
| ## Wohliger Grusel | |
| In „Welt aus den Fugen“ – so der Titel seines letzten Werks –, verbreit… | |
| er wohligen Grusel angesichts des offenbar unausweichlichen Abstiegs | |
| Europas in einer zunehmend multipolaren Welt. „Illusionslos“ war eine | |
| seiner Lieblingsvokabeln. Mit seinen sprachlichen Klischees und | |
| rassistischen Stereotypen war er oft näher an Ian Fleming als an seriösem | |
| Journalismus. In seinen Büchern wimmelt es nur so von „verschlagenen | |
| Orientalen“ und „archaischen Afrikanern“. | |
| Immerhin aber konnte er zwischen den einzelnen muslimischen Gruppen und | |
| Völkern des Nahen Ostens unterscheiden, was ihn wohltuend von vielen | |
| „Islam-Kritikern“ der heutigen Zeit abhebt. Angesichts eines entfesselten | |
| Kapitalismus', den er in vielen Regionen der Welt erblickte, trauerte er | |
| ganz offen der Kolonialzeit nach, als die europäischen Mächte immerhin noch | |
| „Schulen, Spitäler und Straßen“ gebaut hätten, und in seinen pauschalen | |
| Plattitüden wie „Afrika ist schlimmer als Afghanistan“ schwang viel | |
| kolonialer Dünkel mit. | |
| Doch trotz dieser Arroganz, die aus seinen Texten triefte, begegnete er | |
| seinen Gesprächspartnern in anderen Teilen der Welt mit mehr Respekt und | |
| auf Augenhöhe als so mancher Weltverbesserer von links oder jene | |
| Neokonservative, die unter George W. Bush die Demokratie im Nahen Osten | |
| herbeibomben wollten. Er lehnte die Auffassung ab, dass sich das westliche | |
| Demokratiemodell auf die ganze Welt übertragen lasse. Seine Kritiker hielt | |
| er im besten Fall für naiv und idealistisch, im schlechtesten Fall für | |
| verblendet und verbohrt. Mit seinem konservativen Pessimismus war er oft | |
| näher an der Realität als andere, die sich von ihrem Wunschdenken leiten | |
| ließen. | |
| Scholl-Latour hatte das Scheitern der Franzosen in Indochina aus der Nähe | |
| erlebt und als Reporter schon früh die Niederlage der USA in Vietnam vorher | |
| gesagt – was ihn beinahe seinen Job gekostet hatte. Entsprechend skeptisch | |
| sah er die Chancen der amerikanischen Kriege in Afghanistan oder im Irak. | |
| Er wandte sich gegen die simple Dämonisierung des Iran und islamistischer | |
| Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah, in denen er nicht einfach nur | |
| Terroristen, sondern eben auch populäre Widerstandsbewegungen sah. | |
| Die Hoffnungen, die in den „Frühling“ und die Aufständen gegen Assad und | |
| Gaddafi gesetzt wurden, hielt er dagegen für maßlos übertrieben. | |
| Scholl-Latour war ein Rechthaber, der leider oft Recht behalten sollte. Am | |
| Samstag ist Scholl-Latour in seinem Haus in Rhöndorf gestorben. Er wolle | |
| dort auf dem Waldfriedhof begraben werden, wo auch schon Konrad Adenauer | |
| liege, verriet er in einem seiner letzten Interviews. Ein Grab habe er | |
| schon gekauft: „Von dort hat man einen tollen Blick auf den Rhein“, sagte | |
| er. So bleibt er auch nach seinem Tod noch auf dem Feldherrnhügel. | |
| 17 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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| Peter Scholl-Latour | |
| Navid Kermani | |
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