# taz.de -- Nahost-Forscherin über Syrien: „Einige Güter werden bereits kna… | |
> Forscherin Anja Zorob über die wirtschaftliche Lage in Syrien, die | |
> gespaltene Opposition und die Zukunftsperspektiven des gebeutelten | |
> Landes. | |
Bild: In den belagerten syrischen Städten sind Lebensmittel und Medikamente Ma… | |
taz: Frau Zorob, der syrische Oppositionelle Imad Ghalioun ist der Meinung, | |
dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die wirtschaftliche Lage | |
Baschar al-Assad in die Knie zwingt. Wird der Zusammenbruch der Wirtschaft | |
das Ende des Regimes herbeiführen? | |
Anja Zorob: Es ist fraglich, ob ein gradueller wirtschaftlicher Niedergang, | |
wie er sich derzeit abzeichnet, zum Sturz führen kann. Das würde erfordern, | |
dass das Regime keinen Zugang mehr zu Ressourcen hat, um sich weiter zu | |
bewaffnen. Oder aber es kommt in der Bevölkerung zu solchen Engpässen und | |
einem allgmeinen Vertrauensverlust, dass sich die Menschen reihenweise auf | |
die Seite der Opposition schlagen. | |
Ist das noch nicht der Fall? | |
Die syrische Wirtschaft hat bereits stark gelitten. Was aber zuerst gekürzt | |
wird, sind staatliche Subventionen, die beispielsweise die Preise von | |
Heizöl niedrig halten sollen. Solche Subventionen hatte die Regierung in | |
den letzten Jahren reduziert und dann, zu Beginn der Krise, wieder | |
eingeführt, um die Bevölkerung zu beschwichtigen. Auch die Gehälter im | |
öffentlichen Dienst wurden erhöht und neue Jobs geschaffen. Allerdings | |
fragten sich schon damals viele, wie diese Maßnahmen vor dem Hintergrund | |
eines wachsenden Budgetdefizits finanziert werden sollen. So ruderte die | |
Regierung in den letzten Wochen wieder zurück und setzte die Preise für | |
Heizöl und Butan-Gas, das zum Kochen gebraucht wird, wieder herauf. | |
Wie stehen die Unternehmer zu dem Regime? | |
Es gibt Geschäftsleute, die in der Vergangenheit eng mit dem Regime | |
zusammengearbeitet und dadurch massiv profitiert haben. Bestes Beispiel ist | |
Rami Makhlouf, der Cousin des Präsidenten. Laut Oppositionsmitgliedern | |
unterstützen nicht wenige von ihnen das Regime und die Sicherheitskräfte, | |
indem sie finanzielle Mittel und zum Beispiel auch ihren Fuhrpark zur | |
Verfügung stellen. Auf der anderen Seite stehen jene Unternehmer, die schon | |
früher versucht haben, ihren eigenen Weg zu gehen. Einige wagten es sogar, | |
die Machenschaften von Leuten wie Makhlouf öffentlich anzuprangern. | |
Nach den USA haben auch die EU und die Arabische Liga Sanktionen gegen | |
Syrien verhängt. Welche Wirtschaftszweige sind am stärksten betroffen? | |
Vor allem der Ölfördersektor. Ausländische, insbesondere europäische | |
Unternehmen wie Shell und Total sind aus Syrien abgezogen. Die | |
Erdöl-Produktion ist stark zurückgegangen. Schon Ende letzten Jahres konnte | |
oder wollte das syrische Ölministerium die ausländischen Partner nicht mehr | |
ausbezahlen. | |
Gibt es alternative Abnehmer? | |
Es scheint sich zu bestätigen, dass alternative Abnehmer nicht so einfach | |
zu finden sind, wie es sich die syrische Führung anfangs erhoffte. Dies | |
liegt unter anderem an der geringen Qualität des syrischen Rohöls. Vor | |
Einführung der Sanktionen exportierte Syrien etwa 90 Prozent des Öls nach | |
Europa, allen voran nach Deutschland. Angaben des Internationalen | |
Währungsfonds zufolge kamen in den vergangenen Jahren trotz eines leichten | |
Rückgangs noch immer 30 bis 40 Prozent der syrischen Staatseinnahmen aus | |
dem Ölexport. | |
Wie wirken sich die Sanktionen der Arabischen Liga aus? | |
Sie greifen auf einer anderen Ebene. Sie umfassen neben dem Waffenembargo | |
insbesondere Einschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs, eine | |
Aussetzung des staatlichen Handels sowie einen Stopp der Hilfszahlungen und | |
Investitionen. Ausländische Investitionen kamen in den vergangenen Jahren | |
außerhalb des Energiesektors vor allem aus den arabischen Staaten. Hart | |
treffen die syrische Wirtschaft darüber hinaus scharfe Einbrüche im | |
Tourismus und ausbleibende Transfers syrischer Gastarbeiter. | |
Die Sanktionen sollen das Regime unter Druck setzen. Wie steht die syrische | |
Opposition dazu? | |
Eine einheitliche syrische Opposition gibt es nicht. Die Haltung zu | |
internationalen Sanktionen variiert von Gruppe zu Gruppe und teilweise auch | |
innerhalb der einzelnen Gruppierungen. Für wirtschaftliche Sanktionen | |
sprachen sich beispielsweise von Anfang an Vertreter des Syrischen | |
Nationalrats aus. | |
Welche kritischen Stimmen gibt es in den Reihen der Opposition? | |
Vor allem Oppositionelle aus den Reihen des "Nationalen | |
Koordinationskomitees für den demokratischen Wandel" haben sich kritisch | |
geäußert. Sie vertreten die Meinung, dass wirtschaftliche Sanktionen | |
vornehmlich die Bevölkerung treffen. | |
Wie sind denn die Auswirkungen auf die Bevölkerung? | |
Einige Güter, darunter Heizöl, werden offenbar bereits knapp. Auch die | |
Preise für Lebensmittel sind Presseberichten zufolge stark angestiegen. | |
Viele Unternehmen müssen Arbeitskräfte entlassen. Stromsperren sind selbst | |
in den großen Städten wieder an der Tagesordnung. Aber den Menschen in den | |
belagerten Städten geht es noch weitaus schlechter. Lebensmittel und | |
Medikamente gehen aus. Von einer medizinischen Versorgung kann in Städten | |
wie Homs schon lange nicht mehr gesprochen werden. | |
Die Bevölkerung ist also direkt betroffen. | |
Sanktionen ohne direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Bevölkerung | |
gibt es kaum. Das syrische Regime gibt "die Kosten" an die Bevölkerung | |
weiter. Einen langfristig viel größeren Schaden richtet aber zweifelsohne | |
das brutale Vorgehen von Militärs und Sicherheitskräften gegen die | |
Aufständischen an. Ganze Straßenzüge oder Stadteile wie in Homs, Hama oder | |
Idlib sind zerstört worden. Nicht auszudenken wären die Folgen eines | |
langandauernden bewaffneten Kampfes zwischen Opposition und Regime. | |
2 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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