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# taz.de -- Ein Jahr nach Fukushima: Der Kampf um die Deutungshoheit
> Hat erst der Tsunami die Atomkatastrophe in Fukushima verursacht oder war
> es das Erdbeben? Die Antwort darauf hat schwerwiegende Konsequenzen.
Bild: Mitarbeiter von Tepco besuchen ein Jahr nach der Katastrophe die havarier…
BERLIN taz | Was hat die Katastrophe verursacht? War es erst der Tsunami,
der am 11. März das AKW Fukushima Daiichi überflutete? Oder waren die
Anlagen schon durch das Erdbeben zerstört?
Die Antwort auf diese Fragen hat schwerwiegende Konsequenzen: War es nur
der Tsunami, sind die meisten AKW weltweit aus dem Schneider. Wurde aber
die Anlage bereits vom Erdbeben zerstört, müssten viele Reaktoren ihre
Standsicherheit ganz neu beweisen.
Wenig überraschend spricht die internationale Atomgemeinde die Monsterwelle
schuldig: „Das Problem war der Tsunami, nicht das Erdbeben“, sagte John
Ritch, Generalsekretär der World Nuclear Association. Erst die Monsterwelle
habe das AKW Fukushima so schwer beschädigt, dass es zum GAU kam. Die
ehemalige Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergnon,
argumentiert genauso.
Die atomkritische NGO Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW)
widerspricht: Für sie ist ein „grundlegend fehlerhaftes Sicherheitskonzept“
schuld am Desaster. Die Verwundbarkeit beruhe auf „klassischen, seit
Jahrzehnten diskutierten Sicherheitsmängeln“, und nicht etwa auf einem
„unerwartbaren Tsunami“, wie es der Betreiber Tepco behauptet. IPPNW haben
den offiziellen Unfallablauf genau unter die Lupe genommen.
Demnach fiel in Block 2 das erste Kühlwassersystem bereits durch einen
Kurzschluss aus, bevor der Tsunami das Werk traf. Das zweite Kühlsystem
setzte einen Tag später aus, und die Feuerwehr, die im Notfall zur
Verfügung stehen sollte, war durch den Unfall an Block 1 gebunden. Als die
Notkühlung begann, war es bereits zu spät. Die Folge: Kernschmelze.
## Unterschiedliche Meinungen
An Block 1 hatte zwar der Tsunami das primäre Kühlsystem lahmgelegt, doch
das zweite funktionierte – bis es aus unerklärlichen Ursachen von Hand
heruntergefahren wurde. Die Folge: Kernschmelze, auch hier keine direkte
Folge des Tsunamis.
An Block drei schließlich setzte sich das Notkühlsystem selbst außer Kraft,
weil es den Kern zu stark kühlte und später gegen den Druck im Reaktor kein
Wasser mehr einpumpen konnte. Die Feuerwehr war anderweitig beschäftigt,
auch hier kam es zur Kernschmelze. IPPNW stehen mit ihrer Kritik nicht
allein.
Sebastian Pflugbeil von der atomkritischen Gesellschaft für Strahlenschutz
und seit seiner Arbeit zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Experte für
AKW-Unfälle meint, „aus den japanischen Unterlagen geht hervor, dass der
Super-GAU durch das Erdbeben und nicht durch den Tsunami ausgelöst wurde“.
Laut der japanischen Mainichi Daily News waren bereits erhöhte
Strahlenwerte auf dem AKW-Gelände registriert worden, ehe es zur
offiziellen Entlüftung des AKW kam.
## Ausfall der Kühlsicherungssysteme
Nach dem Tsunami seien Arbeiter in den Block 1 vorgedrungen, mussten sich
aber wegen hoher Strahlenbelastung zurückziehen. Offiziell wurden aber erst
am nächsten Morgen die Ventile am Reaktor zur Notentlüftung geöffnet – also
müsse zumindest Block 1 bereits vorher beschädigt gewesen sein, ehe die
Kühlung versagte.
Für die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) dagegen hat
erst der Tsunami den Unfall zur Katastrophe gemacht. Der mögliche Ausfall
der Kühlsicherungssysteme sei nicht so wichtig. Zwischen Erdbeben und
Tsunami habe zumindest bei Block 2 das Kühlsystem noch funktioniert, sagt
GRS-Sprecher Sven Dokter: „Erst die Welle hat dann die Stromversorgung
gekappt und vor allem die Pumpen zerstört, mit denen das Meerwasser zur
Kühlung herangebracht wurde.“
Den Stromausfall hätten die Systeme eventuell noch überlebt, wenn schnell
Arbeiter mit Notgeneratoren vor Ort gewesen wären. Der Verlust der Pumpen
habe das unmöglich gemacht.
8 Mar 2012
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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