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# taz.de -- Debatte Fiskalpakt: Der Mut, Nein zu sagen
> Mit der Abstimmung über den europäischen Fiskalpakt stehen für die Grünen
> Profil und Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Die Partei muss das Spardiktat
> ablehnen.
Bild: Sparen hilft in der Krise nicht, findet Hans-Christian Ströbele.
Schwarz-Gelb will die rot-grüne Opposition für die Zustimmung zum
Fiskalpakt gewinnen. Zusammen mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus
soll der Vertrag über rigorose Sparzwänge in den kommenden Wochen in
Deutschland ratifiziert werden. Es geht um eine Grundsatzentscheidung: Soll
zur Bewältigung der Finanzkrise der gnadenlose Sparkurs fortgesetzt werden,
also ein Sanierungsrezept, das bereits gescheitert ist?
Bevor der Fiskalpakt unwiderruflich festgeklopft ist, muss umgesteuert
werden. Für die Grünen stehen dabei Profil und Glaubwürdigkeit auf dem
Spiel. Dazu gehört, in der existenziellen Frage nach Auswegen aus der
Finanzkrise mutig Alternativen zu formulieren und im Parlament auch
konsequent dazu zu stehen: indem die Grünen gegen Regierungsvorlagen, die
ihren Positionen nicht genügen, klar mit Nein stimmen.
Warum? Stabilitätsmechanismus ESM und Fiskalpakt sind die Instrumente zur
Fortsetzung der rigiden Sparpolitik gegen Griechenland, vielleicht sogar
ihr Höhepunkt. Beide Instrumente sind vielfach miteinander verzahnt. Ab
2013 ist der ESM nur noch anwendbar für Länder, die den Fiskalpakt
ratifiziert haben. Beide haben schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft-
und Währungsunion. Das Verfahren für die Änderung der EU-Verträge wird
nicht eingehalten, weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde.
ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Sie
schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven
Entscheidungsrechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern
und Abgaben, substanziell und auf Dauer unwiderruflich ein. Das gilt
zunächst für den ESM: Die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle von
Entscheidungen über Erhöhungen des Stammkapitals und der Stabilitätshilfen
ist nicht lückenlos gesichert. Und auch die Verpflichtungen, die die
Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die
Regelungen über den Haftungsumfang sind unvollständig.
## Willkürliche Schuldengrenze
Aber auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten
und ihrer Parlamente. Die willkürlich festgesetzte Schuldengrenze wird zum
unveränderbaren Recht möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie geht weit
über die bereits im Grundgesetz verankerten Regelungen hinaus. Die
Möglichkeiten der Staaten zur Kreditaufnahme werden auf Dauer unveränderbar
begrenzt. Der Pakt ist in seiner Substanz auch aufgrund der vorgesehenen
Überführung in den Rechtsrahmen der EU nicht veränderbar.
ESM und Fiskalpakt sind politisch nicht verantwortbar. Sie sind kein
Beitrag zur Bewältigung der Krise, sondern verschärfen mit ihren
gnadenlosen Sparvorgaben die ökonomischen Probleme nur. Stimmten die Grünen
im Bundestag den beiden Instrumenten zu, wären für die Bevölkerung – wie
leider so oft in den letzten Jahren – die Alternativen der Partei zum Kurs
der Regierung nicht zu erkennen. Das fatale Signal nach außen wäre wieder:
Die Grünen haben auch keine andere Lösung als die Koalition. Sie machen
alles mit. Und das ausgerechnet bei einer Politik, die den Menschen
unheimlich ist und ihnen Angst macht.
Es ist diese Unterscheidbarkeit von der Regierung, an der es den Grünen in
der Vergangenheit immer wieder fehlte: bei Entscheidungen über
Kriegseinsätze der Bundeswehr, beim Ja zu den Hilfspaketen für Griechenland
und den milliardenschweren Rettungsschirmen für Banken.
Dabei ist es ja nicht so, dass die Grünen dazu keine Meinung und keine
eigenen Konzepte hätten. In den Papieren der Fraktion, in
Entschließungsanträgen, die die Grünen einbrachten, steht viel Richtiges,
etwa deutliche Kritik an unverantwortlichen Sparauflagen und die Forderung
nach Investitionsprogrammen. Nur: Diese Positionen kennt in der
Öffentlichkeit niemand. Entscheidend für die Wahrnehmung der Grünen in der
Frage der Eurokrise ist: Wie stimmt die Fraktion im Bundestag ab – mit Ja
oder mit Nein?
Es reicht nicht, in den Parlamentsdebatten zu polemisieren und dann in der
Abstimmung Ja zu sagen. Genau das droht nun auch bei Fiskalpakt und ESM.
Aber ein Ja zum Kurs der Regierung würde dem Vorsprung an Glaubwürdigkeit,
den sich die Grünen über Jahre erarbeitet haben, erheblich schaden. Den
haben wir schließlich nicht, weil wir immer schön geschlossen abstimmen,
sondern weil wir die besseren Alternativlösungen für viele Probleme der
Gesellschaft früh formuliert und recht behalten haben.
## Verhöhnt und verlacht
Lange sind wir dafür verhöhnt und verlacht worden, doch sie haben sich als
fortschrittlich und richtig erwiesen – und sind von anderen übernommen
worden: Die Grünen haben als Erste die Abschaltung der AKWs gefordert, die
Abschaffung der Wehrpflicht, die Anerkennung Deutschlands als
Einwanderungsland, die Änderung des Staatsbürgerrechts. Die Grünen waren
es, die sich als Erste für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften und für die Frauenquote eingesetzt haben.
Sogar die Erfindung der Finanztransaktionssteuer wird den Grünen mitunter
zugeschrieben. In Wahrheit ist es dem globalisierungskritischen Netzwerk
Attac zu verdanken, dass sich auch die Grünen von der Richtigkeit dieser
Abgabe überzeugen ließen. Heute scheinen fast alle Parteien wie
selbstverständlich dafür zu sein: bis hin zum CDU-Finanzminister und seiner
Kanzlerin. Auch dieses Beispiel zeigt: Das Richtige zu entwickeln, es
standhaft gegen Anfeindungen zu vertreten und damit auch recht zu behalten,
das schaffte Glaubwürdigkeit.
Inzwischen werden die Grünen in wichtigen Fragen von der Öffentlichkeit
nicht mehr als Alternative angesehen. Das gilt vor allem in der Eurokrise.
Um zu alter Frische zurückzufinden, braucht es mehr Mut, auf eigenen
Vorschlägen zu bestehen. Regierungspolitik, die diesen Positionen nicht
genügt, können wir doch nicht zustimmen. Mit einem Ja zu dem
verfassungsrechtlich zweifelhaften, unsozialen und ökonomisch gefährlichen
ESM und dem Fiskalpakt werden die Grünen nicht zu besseren Europäern. Sie
müssen sie ablehnen.
12 Jun 2012
## AUTOREN
Hans-Christian Ströbele
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