# taz.de -- Verfassungsurteil zum Rettungsschirm: Bundestag muss früh Bescheid… | |
> Der Bundestag sei nicht ausreichend über den Rettungsschirm ESM | |
> informiert worden, urteilt das Verfassungsgericht. Strafe gibt es nicht. | |
> Die Regierung soll es nur in Zukunft besser machen. | |
Bild: Am Verfassungsgericht haben alle sechs Richter den Hut auf. | |
KARLSRUHE/BERLIN dpa | Die Bundesregierung muss das Parlament in Berlin bei | |
Verhandlungen zur Euro-Rettung schneller und besser informieren. Das | |
entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag verkündeten | |
Urteil. Damit stärkt das höchste deutsche Gericht erneut die Rechte des | |
Bundestages. Die Entscheidung hat aber keine direkten Auswirkungen auf die | |
Wirksamkeit der Maßnahmen zur Euro-Rettung (Az. 2 BvE 4/11). | |
Die Regierung habe das Parlament bei den Verhandlungen über den permanenten | |
Euro-Rettungsschirm ESM nicht ausreichend informiert, stellten die Richter | |
einstimmig fest. Das Gleiche gelte für den „Euro-Plus-Pakt“ zur | |
Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Die Bundestagsfraktion der Grünen | |
hatte in Karlsruhe geklagt. | |
Das Urteil sei ein „wichtiger Baustein in einer Reihe von Entscheidungen | |
des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung parlamentarischer | |
Verantwortung“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Nach dem | |
Grundgesetz muss die Regierung in Angelegenheiten der Europäischen Union | |
(EU) Bundestag und Bundesrat „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt�… | |
unterrichten. | |
Die Unterrichtung müsse dem Bundestag eine „frühzeitige und effektive | |
Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen und so | |
erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle | |
gerät“, sagte Voßkuhle. Deshalb müsse die Regierung den Bundestag | |
informieren, bevor sie nach außen wirksame Erklärungen abgibt. Nur bei | |
ausreichender Information könne der Bundestag den europäischen | |
Integrationsprozess beeinflussen und das Für und Wider einer Angelegenheit | |
öffentlich diskutieren. | |
## Zwischenergebnisse weiterleiten | |
Bei längeren Verhandlungsprozessen reiche es nicht aus, wenn die | |
Information in einem Gesamtpaket erfolge – die Richter stellten | |
ausdrücklich fest, dass die Regierung auch Zwischenergebnisse und Entwürfe | |
an die Abgeordneten weiterleiten muss. Auch informelle und noch nicht | |
schriftlich dokumentierte Vorgänge können umfasst sein, ebenso geplante | |
Initiativen – wie der gemeinsam mit Frankreich betriebene Euro-Plus-Pakt. | |
Das Gericht nehme den Einwand ernst, dass die Regierung „schnell und | |
effizient“ handeln müsse, sagte Voßkuhle. Viele Elemente des demokratischen | |
Systems seien auf den ersten Blick dabei hinderlich. „Auf längere Sicht | |
gesehen bilden diese Elemente aber (...) das Fundament eines | |
leistungsfähigen, stabilen und ausgewogenen Gemeinwesens, das von den | |
Bürgerinnen und Bürgern wirklich mitgetragen wird“, sagte Voßkuhle. | |
„Demokratie hat ihren Preis. Bei ihr zu sparen, könnte aber sehr teuer | |
werden.“ | |
Die Richter stellten klar, dass „Angelegenheiten der Europäischen Union“ | |
auch solche Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten sind, die zwar nicht | |
direkt Maßnahmen der EU sind, aber in einem „besonderen Näheverhältnis“ … | |
ihr stehen – wie die Maßnahmen zur Euro-Rettung und zur wirtschaftlichen | |
Zusammenarbeit. | |
## Informieren, sobald es konkret wird | |
Die Richter gestehen der Regierung allerdings einen „Kernbereich exekutiver | |
Eigenverantwortung“ zu – solange sich die Regierung intern noch nicht im | |
Klaren ist, braucht sie auch dem Parlament nichts zu sagen. Wenn aber die | |
Willensbildung so konkret geworden ist, dass die Regierung mit | |
Teilergebnissen an die Öffentlichkeit gehen will oder sich mit anderen | |
Regierungen abstimmen will, dann muss sie auch dem Bundestag Bescheid | |
sagen. | |
Die Verfassungsrichter haben immer wieder die zentrale Rolle des Bundestags | |
bei der europäischen Integration betont. Zuletzt bremsten sie Pläne, | |
wichtige Entscheidungen über Maßnahmen zur Euro-Rettung auf ein | |
Geheimgremium aus nur neun Abgeordneten zu übertragen. | |
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, | |
begrüßte die Entscheidung. „Das ist eine erneute schwere Blamage für die | |
Bundesregierung. Sie verliert einen Prozess nach dem anderen“, sagte er am | |
Dienstag. Die Eurorettungsmaßnahmen müssten transparenter und für die | |
Menschen nachvollziehbarer werden. | |
Das Urteil müsse nun auch im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu | |
ESM/Fiskalpakt umgesetzt werden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der | |
CSU-Landesgruppe, Stefan Müller: „Das Bundesverfassungsgericht hat einmal | |
mehr klargestellt, dass der Bundestag in europapolitische Fragen | |
ausreichend eingebunden werden muss.“ | |
19 Jun 2012 | |
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