| # taz.de -- Debatte Griechenland: Das Interesse der Deutschen | |
| > Ob der Euro überlebt, entscheidet sich nicht bei den Wahlen in | |
| > Griechenland. Sondern in der ökonomischen Supermacht Bundesrepublik. | |
| Bild: Selbst wenn es den Euro nicht mehr gibt: Der Feta wird davon auch nicht s… | |
| Alle starren nach Griechenland, das am Sonntag wählt. Diese Aufmerksamkeit | |
| suggeriert, dass es für die Eurozone wichtig wäre, wer in Athen regiert. | |
| Aber das ist ein Irrtum. Die Griechen sind längst ohnmächtig. Ob der Euro | |
| überlebt, entscheidet sich woanders – und zwar in Deutschland. Nicht die | |
| Wähler in Griechenland zählen, sondern die Wähler hier. Daraus folgt ganz | |
| hart: Wichtig ist nur noch das Eigeninteresse der Deutschen. | |
| Dieser Sprung mag etwas weit sein, daher noch einmal zurück zu | |
| Griechenland. Kurz zusammengefasst hat das Land drei Probleme: Es ist | |
| überschuldet, es ist nicht wettbewerbsfähig, und es ist ein Klientelstaat | |
| mit einer korrupten, ineffizienten Bürokratie. Viele Deutsche schließen | |
| daher schnell: Dann müssen sich die Griechen eben reformieren! | |
| Das ist nicht falsch – und wird auch von vielen Griechen so geteilt. | |
| Trotzdem wäre es realitätsfern zu glauben, dass sich die Staatskrise in | |
| Athen mit ein paar guten Ratschlägen lösen ließe. Nur ein Beispiel: | |
| Natürlich ist es enorm ärgerlich, dass die reichen Griechen keine Steuern | |
| zahlen und andere nun für den Schaden aufkommen. Trotzdem reicht das | |
| Problem tiefer. Selbst wenn die vermögenden Hellenen ordnungsgemäß Steuern | |
| abführten, würde dies maximal 6 Milliarden Euro im Jahr bringen. Damit | |
| allein wird Griechenland nicht wettbewerbsfähig. | |
| Zudem, das wird bei allem Ärger über diesen dysfunktionalen Staat oft | |
| vergessen: Die Griechen haben einen großen Teil der EU-Vorgaben | |
| eingehalten. Sie haben drastisch gespart und die Löhne um etwa 30 Prozent | |
| gekürzt. Das wäre in Deutschland undenkbar, denn umgerechnet hätte jeder | |
| Durchschnittsverdiener hier auf rund 1.000 Euro im Monat verzichten müssen. | |
| Ein Volksaufstand wäre programmiert. | |
| Die Griechen jedoch haben die Einschnitte ertragen. Nur um zu erleben, dass | |
| die Wirtschaft schrumpft – und die Löcher im Staatsetat noch größer werden. | |
| Kein Wunder, dass viele Griechen nicht mehr glauben, dass ein Sparkurs | |
| allein die Probleme löst. Doch die Wut nützt ihnen wenig, denn für eine | |
| Alternative fehlt das Geld. | |
| Die Griechen wählen, aber ökonomisch haben sie keine Wahl. Für welche | |
| Partei sie auch stimmen: Sie werden weiter an Wohlstand verlieren. Die | |
| Frage ist nur noch, wie schnell und wie chaotisch. Wenn die Griechen im | |
| Euro bleiben, werden sie ihre Löhne über Jahre hinweg senken müssen, um | |
| wieder wettbewerbsfähig zu werden. Steigen sie in Richtung Drachme aus, | |
| fallen die Löhne sofort. Die Alternative „Euro oder Drachme“, die den | |
| Wahlkampf dominiert, ist in Wahrheit eine Scheinalternative. | |
| ## Macht, Ohnmacht und Moral | |
| Die Griechen sind ohnmächtig, während umgekehrt die Deutschen sehr viel | |
| Macht besitzen. Viele Bundesbürger nehmen es nicht wahr, aber Deutschland | |
| ist eine ökonomische Supermacht. Die deutsche Wirtschaft ist effizient, | |
| produktiv, exportstark – und groß. Deutschland macht mehr als ein Viertel | |
| der Euro-Wirtschaftsleistung aus. Also werden die Deutschen entscheiden, | |
| was aus dem Euro wird. | |
| Wenn Macht und Ohnmacht eindeutig verteilt sind, kommt es schnell zum | |
| moralischen Diskurs. Dann wird Solidarität mit den Schwachen eingefordert, | |
| also Hilfe für die Griechen. Doch so wichtig die Gebote der Moral sind, sie | |
| transportieren implizite Annahmen, die weiteres Nachdenken unterdrücken. | |
| Moral wird immer dann bemüht, wenn das Eigeninteresse in eine andere | |
| Richtung zeigt. Daher ist es fatal, in der Eurokrise ständig den | |
| europäischen Gedanken zu bemühen, weil dann beim deutschen Wähler sofort | |
| der Verdacht aufkommen muss, dass er nur zahlen soll und dass es für | |
| Deutschland ökonomisch am besten wäre, die Griechen fallen zu lassen. Aber | |
| stimmt das überhaupt? | |
| Die Antwort ist nicht einfach. Denn das Eigeninteresse der Deutschen lässt | |
| sich nicht bestimmen, indem man nur nach Athen blickt. Die Eurokrise ist | |
| von der Peripherie längst in den Kern gewandert: Die Zinsen für Italien und | |
| Spanien liegen inzwischen bei knapp 7 Prozent. So hohe Kosten würden selbst | |
| ökonomische Musterländer in die Pleite treiben. | |
| Während die Deutschen noch debattieren, ob die Griechen im Euro bleiben | |
| sollen, ist längst die Frage, ob der Euro überhaupt überlebt. Und ein | |
| Crash, so viel ist sicher, wäre sehr unerfreulich. Gerade für die | |
| Deutschen: Die neue DM würde aufwerten, Exporte würden einbrechen, | |
| deutsches Auslandsvermögen im Euroraum wäre verloren, alle hiesigen Banken | |
| wären Pleite, die Staatsverschuldung würde explodieren, die | |
| Arbeitslosigkeit auch. | |
| ## Berliner Hilfskonstrukte | |
| Das kann niemand wollen. Doch wenn der Euro überleben soll, ist eine | |
| schmerzhafte Einsicht fällig: Wenn fast alle Euroländer in der Krise sind, | |
| kann dies nicht nur an den korrupten Griechen oder an den strukturschwachen | |
| Italienern liegen. Es muss auch mit Deutschland zu tun haben, das mit | |
| seiner ökonomischen Macht die Spielregeln bestimmt. | |
| Und die hießen: Deutschland muss Exportweltmeister sein! Rigoros wurden | |
| deutsche Reallöhne gedrückt. Man kann jedoch nur exportieren, wenn andere | |
| importieren. Die Überschüsse des einen Landes sind die Defizite des | |
| anderen. Das ist pure Logik. | |
| Wenn es einen Euro geben soll, müssen die deutschen Löhne deutlich steigen, | |
| damit die anderen Euroländer an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Man stelle | |
| sich vor: Es ist im Interesse der Bundesbürger, dass sie mehr verdienen! | |
| Das ist doch eine schöne Nachricht – aber ein Langfristprojekt. | |
| Kurzfristig ist der Euro nur zu retten, indem die Zinsen sinken. Und zwar | |
| sofort. Eigentlich wäre es sogar einfach: Man müsste nur erlauben, dass die | |
| Europäische Zentralbank unbegrenzt Staatsanleihen aufkauft. Doch noch | |
| sperren sich die Deutschen und flüchten in Hilfskonstrukte, von denen | |
| keines funktioniert hat. Die Rettungsschirme sind zu klein, die | |
| Billionenspritze für die Banken hat nur kurz gewirkt. | |
| Der Hedgefonds-Manager George Soros prognostiziert, dass sich in den | |
| nächsten drei Monaten entscheidet, ob der Euro überlebt. Mal sehen, ob die | |
| Deutschen noch rechtzeitig erkennen, was in ihrem Interesse ist. | |
| 17 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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