| # taz.de -- Wettspiel zur Eurokrise: „Die Mehrheit setzt auf Austritt“ | |
| > Bei Interwetten können Spielfans auf die Zukunft des Euro tippen. | |
| > Zynisch? Im Gegenteil, sagt Birgit Bosch. Das Wettspiel zeigt die | |
| > Einschätzungen der Bürger. | |
| Bild: Athens Tagger haben schwarzen Humor: „Hotel geschlossen – für immer�… | |
| taz: Frau Bosch, seit knapp zwei Wochen können Ihre Kunden über die Zukunft | |
| der Euro-Zone Wetten abschließen. Wie kamen Sie auf diese Idee? | |
| Birgit Bosch: Wir nehmen immer gerne Anregungen von Kunden an, ob es nun um | |
| sportliche oder gesellschaftliche Ereignisse geht. So war das auch in | |
| diesem Fall bei der Eurowette, Kunden haben uns angesprochen und gesagt: | |
| Greift doch diese Thematik mal auf und bietet Szenarien an. Schließlich | |
| sind wir und auch unsere Buchmacher politisch interessierte Menschen. | |
| Zu Beginn des Spiels hatten Sie auch eine Wette im Angebot, die lautete: | |
| „Wo scheidet Griechenland zuerst aus – aus der Fußball-EM oder aus der | |
| Euro-Zone?“ Finden Sie es nicht zynisch, mit so etwas Geld zu verdienen? | |
| Nein, zynisch ist es, wenn Regierungen in Hinterzimmern über Sparpakete und | |
| Rettungsschirme entscheiden. Sie spielen dabei mit Steuergeldern und der | |
| Zukunft ihrer Bürger – und das vollkommen intransparent. Im Gegensatz zu | |
| den politischen Entscheidungen lässt das Spiel dem Kunden die Wahl, wie | |
| viel Geld er auf welche Szenarien setzen will. Unsere Kunden sind mündige | |
| Menschen und nehmen freiwillig teil. Die grundlegende Idee des Spiels | |
| besteht darin, es auch dem normalen Bürger zu ermöglichen, seine | |
| Einschätzungen abzugeben. | |
| Ihre Buchmacher passen ihre Gewinnquoten stetig an aktuelle Entwicklungen | |
| an. Wie schätzen Sie die Lage im Euroraum derzeit ein? | |
| Zunächst einmal möchte ich klar stellen, dass die Quoten unserer Buchmacher | |
| keine Aussagen über die Lage des Euroraumes zulassen und das auch gar nicht | |
| sollen. Natürlich richten wir unsere Einschätzungen auch nach Fakten aus, | |
| etwa nach Annahmen, dass manche Länder finanziell besser da stehen als | |
| andere. Doch bei aller Analyse wollen wir kein politisches Signal | |
| aussenden: „Euro-Spezial“ ist und bleibt ein Spiel. | |
| Deshalb haben wir zu Beginn der Wette eine 50:50 Wahrscheinlichkeit für den | |
| langfristigen Verbleib Griechenlands in der Eurozone ausgegeben. Wie bei | |
| jeder Sportwette, passen wir unsere Gewinnquoten – also den Faktor, um den | |
| sich der Einsatz für einen Kunden im Gewinnfall erhöht – unter anderem dem | |
| Wettverhalten der Kunden an. Je mehr Kunden auf ein Ereignis setzen, desto | |
| geringer setzt der Buchmacher die Gewinnquote an. Die Einschätzungen der | |
| Kunden haben in dem Fall also konkrete Auswirkungen. | |
| Nach was richten sich die Buchmacher sonst noch aus, spielen auch | |
| Finanzmarkt-Aspekte eine Rolle? | |
| Wir verfolgen die Nachrichtenlage, die politischen Entwicklungen und | |
| Gipfeltreffen in Griechenland und ganz Europa, Up- und Downgrades durch | |
| Ratingagenturen, Börsenkurse. Doch wenn etwas Entscheidendes geschieht, | |
| spüren wir das vor allem am veränderten Tippverhalten unserer Kunden. Mit | |
| dem Euro-Spezial sprechen wir überdurchschnittlich viele politisch | |
| interessierte Wettspieler an. Obwohl die Gesellschaftswette nicht unser | |
| Kerngeschäft ausmacht, ist die Nachfrage gut. Und diese Menschen verfolgen | |
| natürlich auch die politischen Entwicklungen und tippen entsprechend. | |
| Und wie lange geben die Kunden Griechenland noch in der Eurozone? | |
| Wir haben dazu zwei mögliche Wetten geschaltet, die Kunden können jeweils | |
| tippen, ob Griechenland am 1. September dieses Jahres und am 1. Januar 2013 | |
| noch in der Eurozone sein wird. Während die meisten Leute Griechenland bis | |
| September noch als Mitglied sehen, sind sie für Januar schon pessimistisch. | |
| Langfristig glaubt die Mehrheit also tatsächlich an einen Austritt des | |
| Landes – wobei das natürlich keine Rückschlüsse auf die öffentliche Meinu… | |
| in Europa zulässt. | |
| Im Netz ist das Prinzip des Crowd-Sourcing, dem gemeinsamen Sammeln von | |
| Informationen, ein beliebtes Mittel, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen – | |
| funktioniert ihr Online-Wettspiel ähnlich? | |
| Bei den Wettereignissen, die angeboten werden, kann das Ergebnis nie | |
| vorausgesagt werden. Natürlich kann die Masse Recht behalten, genauso gut | |
| kann sie aber irren. Das kommt nicht selten vor, so glaubten etwa kürzlich | |
| vor dem EM-Vorrundenspiel Dänemark/Niederlande alle, dass die Niederlande | |
| auf jeden Fall gewinnen, am Ende siegte aber der Außenseiter. Dennoch sind | |
| das Tipp-Verhalten und die Hintergründe unserer Kunden sehr interessant – | |
| beim Euro-Spezial überraschte uns etwa, dass knapp die Hälfte der Spieler | |
| aus Griechenland stammen. | |
| Die Leute spekulieren also über die Zukunft ihres eigenen Landes? | |
| Ich würde es nicht als Spekulation bezeichnen. Es ist eher ein Akt der | |
| Meinungsäußerung von genau denjenigen, die direkt betroffen sind. Dabei ist | |
| die Wette natürlich eine Form, die zeigt, dass man noch nicht den Humor | |
| verloren hat. Außerdem ist Wetten in Griechenland sozusagen ein Volkssport, | |
| die Mittelmeeranrainer spielen für ihr Leben gern. Insofern könnte man | |
| sogar so weit gehen zu sagen, dass die Griechen sich in der Krise noch ein | |
| Stück Alltag bewahren, dass auch Entertainement weiterhin gefragt ist. | |
| Wenn die Wettfrage lautete: „Welcher Politiker wird die Eurozone retten – | |
| Angela Merkel, Francois Hollande oder Maria Fekter?“, auf wen würden Sie | |
| tippen? | |
| Es wird auf gar keinen Fall ein Alleingang werden. Solange einzelne Staaten | |
| diese Krise als Partisanenkrieg missinterpretieren, kommen wir nirgendwo | |
| hin. Angela Merkel kann nicht allein, Francois Hollande genauso wenig. Es | |
| muss endlich ein Gleichgewicht zwischen sozialer Sicherheit und | |
| Einsparbemühungen geben, das alle Staaten mittragen können. | |
| Ich sehe die Krise mit großer Besorgnis. Im Zusammenhang mit unserem | |
| Geschäft reise ich viel und habe die Eurozone dabei immer als einen Raum | |
| empfunden, der vieles einfacher macht, Möglichkeiten und Chancen bietet. | |
| Das werden wir nicht erhalten können, ohne dass alle ihren Beitrag leisten | |
| und Kompromisse machen, auch Staaten wie Österreich oder Deutschland. | |
| 15 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Karen Grass | |
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