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# taz.de -- Der Integrationsbeauftragte spricht: "Es herrscht eine Kultur der A…
> Der Integrationsbeauftragte Günter Piening verabschiedet sich mit einer
> sehr gemischten Bilanz aus seinem Amt.
Bild: "Wir in Berlin versuchen, aktiv Ressentiments zu bekämpfen"
taz: Herr Piening, Sie waren fast ein Jahrzehnt Berlins Oberintegrator.
Jetzt verabschieden Sie sich mit dem Satz: „Die staatlichen Institutionen
haben den Nachweis noch nicht erbracht, dass in Deutschland alle
Bevölkerungsgruppen den gleichen Schutz genießen.“ Das ist eine traurige
Bilanz, oder?
Günter Piening: Es gibt eine wirklich traurige Kontinuität in meiner
Biografie: 1994 – ich war damals Pressesprecher der grünen Landtagsfraktion
in Sachsen-Anhalt – erlebten wir dort den Magdeburger Herrentag. Nazis
jagten stundenlang schwarze Asylbewerber durch die Stadt. Und die Polizei
hat hinterher die Asylbewerber festgenommen. Wir mussten damals selbst
recherchieren, bis klar war, wer Täter und wer Opfer war. Nun erlebe ich,
dass bei den Ermittlungen um die NSU-Zelle Ähnliches passierte: Opfer aus
migrantischem Kontext gerieten automatisch in Verdacht, selbst in
Täterkreise verstrickt zu sein. Das muss in der Tat der Staat aufarbeiten.
Und das geschieht bisher absolut unzureichend.
Was fehlt Ihnen denn?
Es wurde sehr schnell wieder die Debatte um ein NPD-Verbot hochgezogen, es
wurde über die Kommunikationsstrukturen zwischen den verschiedenen
Ermittlungsbehörden geredet – aber die zentrale Frage, warum
Ermittlungsbehörden offenbar immer wieder nach diesem Muster vorgehen, wird
nicht beantwortet. Und so mogelt man sich um eine Debatte über
strukturellen Rassismus herum.
Sie loben Teile der Verwaltung, etwa den Bildungsbereich. Sie erwähnen,
dass es immer mehr binationale Partnerschaften gibt: Es gibt also
Bevölkerungsteile, die zum Zusammenleben mit Einwanderern bereit und in der
Lage sind. Trotzdem flackert immer wieder starker Rassismus auf. Wie kommt
das?
Wir in Berlin versuchen, eine Politik zu machen, die aktiv Ressentiments
bekämpft und Teilhabe auf gleicher Augenhöhe organisiert. Auf Bundesebene
gibt es allerdings eine gegenläufige Entwicklung. Zudem ist zu beobachten –
und wird ja auch durch Studien unterlegt –, dass Ressentiments gegen
Einwanderer, die früher eher am Rande der Gesellschaft bestanden, in die
Mitte gewandert sind.
Sie haben das Phänomen jetzt beschrieben – haben Sie auch eine Erklärung
dafür?
Es gibt heute ein viel stärkeres Von-oben-nach-unten-Treten in unserer
Gesellschaft. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer nennt das „rohe
Bürgerlichkeit“. Selbst alternative Mittelschichten fangen plötzlich an,
Unterschichtenbashing zu betreiben. Das hängt damit zusammen, dass alle
Positionen in dieser Gesellschaft bedroht sind, dass man sehr schnell auf
die soziale Rutsche kommt. Wir sehen das etwa im Bildungsbereich, wo breite
Kreise von Mittelschichtseltern etwa Projekte zu einer durchlässigeren
Schule blockieren. Es geht um die Sicherung von sozialen Positionierungen.
Nicht um ethnische Herkunft?
Doch, das überlagert sich. Bei der Frage, wer dazugehören darf, geht es
auch um Fremdheit, die als bedrohlich empfunden wird. Deshalb geht es ja
auch nie um alle Einwanderer, sondern um bestimmte Gruppen. Das sind vor
allem Einwanderer aus muslimischen Ländern. Da fällt die soziale Abwertung
leichter, nach dem Motto: Die gehören hier nicht dazu. Und Politik ist
immer versucht, auf solche Stimmungen aufzusitzen, weil sie glaubt, dass da
Honig zu saugen ist.
Und wenn sie nicht bloß Honig saugen will, setzt sie einen
Integrationsbeauftragten ein, der sich kümmert?
Moment: Man muss auch sehen, dass wir hier in Berlin es geschafft haben,
diese Dinge abzuwehren. Der organisierte Rechtsextremismus und
Rechtspopulismus bekommt hier keinen Fuß auf den Boden. Wir stehen im
deutschen und europäischen Kontext gut da. Damit das klappt, muss Politik
eine klare Kante zeigen. Kluge Politik setzt deshalb nicht nur einen
Integrationsbeauftragten ein, sondern gibt ihm echte Kompetenzen.
Und die hatten Sie?
Der Integrationsbeauftragte hat keine Weisungsmacht. Das heißt: Die
Schulpolitik macht der Schulsenator, die Innenpolitik macht der
Innensenator. Der Beauftragte kann nur gemeinsam mit den wirklich Mächtigen
Strategien und Konzepte entwickeln und ist dann darauf angewiesen, dass die
diese Botschaft auch aufgreifen. Was das betrifft, verlasse ich Berlin mit
einem relativ guten Gefühl: Wir haben seit 2003 neue
Bleiberechtsmöglichkeiten für Flüchtlinge geschaffen, wir haben die Dauer
des Einbürgerungsverfahrens verkürzt, Berlin ist ein Vorbild bei der
interkulturellen Öffnung der Verwaltung und wir haben den Anteil der
Auszubildenden mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst deutlich
erhöht. Vor allem aber haben wir neue Formen der Beteiligung von
Migrantinnen und Migranten entwickelt. Und wir haben das Gesetz zur
Partizipation.
Was hat nicht geklappt?
Was in all den Jahren nicht gelungen ist, ist eine wirklich grundsätzliche
Veränderung des Aufenthaltsrechts. Das ist nicht auf Berliner, sondern auf
bundespolitischer Ebene zu entscheiden, und da herrscht tatsächlich
überwiegend noch eine Kultur der Abwehr. Das sind aber Rahmenbedingungen,
die wir auf Landesebene nicht ändern können. Wir können nicht in Berlin die
Mehrstaatlichkeit einführen oder beschließen, dass Menschen, die Hartz IV
beziehen, trotzdem eingebürgert werden.
Es gibt ja auch Erfolge mit Schattenseiten: Das Partizipationsgesetz ist
dafür ein Beispiel. Es schreibt allen Behörden die interkulturelle Öffnung
vor. Es sind aber keinerlei finanzielle Mittel für das Erreichen dieses
Ziels damit verbunden. Heißt das, Sie haben die Bildungssenatoren
rumgekriegt, die Innensenatoren, aber nicht den Finanzsenator?
Das stimmt nicht ganz. Für den Prozess der interkulturellen Öffnung hat es
Mittel gegeben, etwa im Rahmen verschiedener Programme zur
Verwaltungsmodernisierung. Selbstverständlich würde ich mir eine Stadt
wünschen, die in diesen Bereich mehr investieren kann. Mein Kollege aus
Baden-Württemberg hat mir kürzlich gesagt, dass er nicht in meiner Haut
stecken möchte. Die haben eine Arbeitslosenquote unter Migranten von 8
Prozent. Wir haben immer noch 23 Prozent, obwohl wir die Quote bereits
halbiert haben. Wir sind eine arme Stadt, und dadurch haben wir viele
Probleme, was die Menschen betrifft, und eingeschränkte Möglichkeiten,
diese zu lösen. Da brauchen wir einen langen Atem.
Nun hat sich ja der Anteil von MigrantInnen unter den Azubis in Behörden
tatsächlich erhöht. Allerdings erhebt etwa die Polizei zwar, wie viele
MigrantInnen dort anfangen, aber nicht, wie viele die Ausbildung bis zum
Ende durchhalten. Ihr eigenes Integrationsbüro baut die Berliner Polizei
gerade so um, dass es sich vor allem mit internen
Diskriminierungserfahrungen der eigenen migrantischen Beschäftigten
befasst. Eine andere Untersuchung belegt, dass es auch in Lehrerzimmern
kräftiges Mobbing von KollegInnen migrantischer Herkunft gibt. Wie offen
ist die Berliner Verwaltung für Ihre Ideen wirklich?
Verwaltung ist ein Tanker, es braucht Geduld, da Bewegung zu erzeugen.
Anfangs stoßen Projekte der interkulturellen Öffnung fast immer auf großen
Widerstand bei den Beschäftigten.
Worauf gründete sich dieser Widerstand, was waren seine Argumente?
Zum einen ist der Begriff der Bürgerfreundlichkeit im öffentlichen Dienst
einer, an den sich so mancher Beamte erst mal gewöhnen muss. Zum Zweiten
ist es ja auch ein Eingeständnis, wenn ich zugeben muss, dass ich es mit
einer Klientel zu tun habe, für die meine Kompetenzen nicht ausreichen. Das
weckt Verteidigungshaltung. Nehmen Sie die Vorgabe: Deutsch ist
Amtssprache. Wenn sich Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Situationen
begeben, wo sie sich sprachlich nicht sicher fühlen, wird das
Machtverhältnis zwischen Bürger und Behörde infrage gestellt.
Es geht wieder um soziale Positionierung?
Und auch wieder um Stereotype: Natürlich haben auch Menschen, die in
Behörden arbeiten, Bilder von Einwanderern im Kopf. Wir haben mal eine
Abfrage gemacht bei Fachberatern in Jobcentern, welche Kompetenzen sie
eigentlich an Einwanderern sehen. Das war erschreckend: Viele sahen nämlich
nur Defizite.
Bevor Sie sich jetzt von Ihrem Amt zurückziehen: Was wollen Sie Ihrem
Nachfolger, Ihrer Nachfolgerin auf den Weg mitgeben?
Integrationsbeauftragter in Berlin ist einer der schönsten Jobs der Welt.
26 Jun 2012
## AUTOREN
Alke Wierth
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