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# taz.de -- Eine Stadt gegen Asylbewerber: Sieg der Vernünftigen
> In der sächsischen Kleinstadt Gröditz macht die NPD gegen ein Heim für
> Asylbewerber mobil. Die Stadt will dagegen vorgehen. Und macht fleißig
> mit.
Bild: Eine Gröditzer Bäckerei illustrierte bereits 2011, wie man seine Fremde…
GRÖDITZ taz | Es ist schwerer hinaus- als hineinzukommen. Ein eisernes Tor,
nur mit Motor zu bewegen, mit der Hand ist hier kein Beikommen. Die ältere
Dame, die öffnet, ist nett, Mitte 60 vielleicht, lächelt herzlich. Sie
erzählt vom Sohn, der in Mexiko lebt, und von der Schwiegertochter, die er
dort kennengelernt hat.
Ihr spanischer Name steht am Klingelschild, die Familie mag sie sehr. Und
ja, auch zu der Angelegenheit, deretwegen man eigentlich hier ist, hat die
Frau eine Meinung. Ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft will man
nicht. „Da hätte ich Angst. Das sind ja alles Schwarzafrikaner“, sagt die
Frau, deren Name ungenannt bleiben soll. Man könnte gehen, wenn das schwere
Tor nicht wäre. Die Dame eilt herbei, lächelt freundlich und öffnet. Sehr
zuvorkommend.
In Gröditz, 7.000 Einwohner, in der Mitte Sachsens, lässt es sich gut
leben. Einfamilienhaus reiht sich an Einfamilienhaus, kaum Verkehr auf den
Straßen, gemächliches Gehen, man grüßt sich. Der Rasen vor dem Rathaus und
das Ehrenmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten ist gepflegt, die
Fassaden sind so sauber wie die vielen Mittelklasselimousinen – ein Idyll.
## Asylbewerberheim in Containern
An dessen Rand plant der Landkreis ein Asylbewerberheim zu errichten, in
einem Gewerbegebiet neben einer Kleingartenanlage. In Containern sollen
rund 100 Nordafrikaner untergebracht werden. Die NPD protestiert dagegen,
das ist wenig überraschend. Dass die Stadt Gröditz mitmacht, hingegen
schon.
Im 250.000-Einwohner-Kreis Meißen, er liegt zwischen Dresden und Riesa,
leben derzeit 205 Asylbewerber, alle im Osten des Landkreises. Nachdem die
sächsische Staatsregierung die Landkreise aufforderte, Plätze für neue
Asylbewerber zu schaffen, entschied sich das Landratsamt deshalb für das
westlicher gelegene Gröditz. Das Heim hier wäre dann wohl die größte
Sammelunterkunft im Kreis. Heute entscheidet der Kreistag von Meißen, ob er
dem Standort zustimmt.
Ziemlich schnell nach der Bekanntgabe der Pläne im Meißener Kreistag begann
der Protest der NPD – sie druckte Flyer, warnte vor der
„Nordafrikanersiedlung“, Diebstahl, Vergewaltigungen, Schmutz. Im
benachbarten Riesa sitzt die Redaktion der NPD-Postille Deutsche Stimme,
NPD-Bundeschef Holger Apfel und sein Landtagsfraktionskollege Jürgen Gansel
wohnen in der Stadt.
Geld für rassistische Propaganda gibt die NPD im Kreis Meißen besonders
gern aus. Sie initiierte eine Unterschriftenliste gegen die
Containerunterkünfte. Wenig später taten es ihr die Stadtoberen gleich.
## Einstimmigkeit gegen die Unterkunft
Am 20. Juni tagte der Gröditzer Verwaltungsausschuss, dabei auch der
NPD-Mann Mirko Beier. In einer nicht öffentlichen Sitzung sprach sich der
Ausschuss geschlossen gegen die Unterkunft aus – und entschied sich
ebenfalls für eine Unterschriftenaktion. Bereits einen Tag später wurden
Gröditzer aufgerufen, im Bürgerbüro auf Pro- für oder auf Contralisten
gegen das Asylbewerberheim zu unterschreiben. Die NPD ist stolz darauf und
unterstützt die Aktion nun.
Bürgermeister Jochen Reinicke ist wie die meisten Stadträte parteilos und
wie viele Gröditzer ein sehr freundlicher Mensch. Zur seltsamen Allianz mit
der NPD gefragt, erklärt er mit ruhiger, fester Stimme, dass es diese
Allianz gar nicht gebe. Im Gegenteil, die Unterschriftenaktion der Gemeinde
solle der NPD die Luft aus den Segeln nehmen.
„Wir haben nichts dagegen, dass bei uns Asylbewerber angesiedelt werden“,
sagt Reinicke. „Es geht darum, dass wir uns gegen eine Containersiedlung
wehren. Wenn die Asylbewerber ins Dorf integriert, verteilt in Wohnungen
untergebracht werden, dann kann man darüber reden.“
Reinickes Einwände erscheinen gar nicht abwegig. Auch im nahen Leipzig wird
– zumindest vordergründig – gerade lebhaft debattiert, ob
Containerunterbringung noch als menschenwürdig gelten kann. Geht es in
Gröditz vielleicht doch nicht um Rassismus? Sind Motive und Diskussion
komplexer? Man mag dem Bürgermeister glauben – doch fragt man die
Gröditzer, wird klar, dass es ihnen nicht um humanere Bedingungen für
Asylbewerber geht, sondern darum, dass die Asylbewerber bleiben, wo sie
sind.
## 11 auf der Proliste
Ortsbesuch im Bürgerbüro, im Rathaus mit dem schmucken Rasen, kunstvoll in
einem großen Betonkasten arrangiert, umgeben von Kopfsteinpflaster. Die
Dame am Empfang des Bürgerbüros wirkt etwas getrieben, sie hat dieser Tage
mehr zu tun als sonst, pausenlos strömen Besucher herein, auf drei runden
Tischen sind die Pro- und Contralisten verteilt. Zu den Prolisten greift
niemand.
Wie viele bisher unterschrieben haben, weiß die Rathausmitarbeiterin nicht.
„Am ersten Tag waren es an die tausend.“ Gestern, eine Woche später, hatten
laut Rathaussprecherin Tina Noack an die 2.100 Gröditzer unterschrieben.
Elf auf der Proliste.
Innerhalb einer Viertelstunde ist Gelegenheit, mit einem knappen Dutzend
Gröditzern zu sprechen, sie alle bürgerlich wirkend, zugewandt, sie geben
bereitwillig Auskunft. Sie sagen deutlich, worum es ihnen geht: „Es gibt
genügend Ausländer in Deutschland.“ Man brauche nicht auch noch welche in
Gröditz. Die Stadt habe schon genug Integrationsleistung geleistet,
schließlich seien Anfang der 90er Jahre viele Wolgadeutsche gekommen. Sogar
Asiaten.
Ein Mann in Jeans und Hemd hat keinen neuen Gedanken, den er umso
vehementer vertritt. „Wenn ich als Deutscher irgendwohin gehe, werde ich
auch nicht mit Geld und Unterkunft empfangen. Wer herkommt und Steuern
zahlt, ist herzlich willkommen.“
## Das geht ja gar nicht
Von der Idee des Bürgermeisters, statt der Containerunterkunft eine
dezentrale Unterbringung zu organisieren, hat hier noch keiner was gehört.
Es ist auch nirgends zu lesen, in keiner Pressemitteilung, keinem Vermerk.
Eine Familie, auf die Idee angesprochen, ist entrüstet. „Das geht ja gar
nicht“, sagt der Mann. „Da sind die ja dann überall.“ Fast entschließt …
sich, gar nicht zu unterschreiben. Seine Frau kann ihn beruhigen, sie zeigt
auf die Contraliste. „Hier steht es doch ganz deutlich: gegen ein
Asylbewerberheim.“ Drei Unterschriften mehr.
Bürgermeister Reinicke ist zufrieden mit dem Verlauf der Aktion: „Wir haben
es geschafft, aus der ganzen Sache den Druck rauszunehmen.“ Die Diskussion
verlaufe jetzt sehr vernünftig, „und vor allem unterschreiben die Leute
jetzt nicht mehr auf irgendwelchen NPD-Listen“. Die Rechtsextremisten
hätten sowieso nicht durchschaut, „worum es hier geht“.
## Konflikte mit ungefestigten Jugendlichen
Zum Beispiel um das Heim der Jugendhilfe Gröditz, in dem Kinder aus
problematischen Verhältnissen untergebracht sind. Der dreistöckige
graunbraune Klotz steht auf dem Nachbargrundstück des geplanten
Asylbewerberheims. Reinicke und der Gemeinderat hätten Angst, dass es zu
Konflikten zwischen ungefestigten Jugendlichen und Asylbewerbern kommen
könnte, auch zu Gewalt.
Sie, die ungefestigten Jugendlichen, „sind ja nicht so vernünftig wie wir.
Wenn ich die frage, wer schuld ist, dann kriege ich eine klare Antwort: die
Ausländer“. Es sei schlicht unverantwortlich, in so einer Umgebung
Asylbewerber anzusiedeln. Und noch mal: „Für alle anderen Lösungen sind wir
sehr offen.“ Von der NPD ließe man sich jedenfalls nicht treiben.
Der Landkreis hat inzwischen angekündigt, man kennt diese Formulierung, die
Sorgen der Gröditzer ernst zu nehmen. „Um den Konflikt in der Stadt zu
entschärfen“, so Sprecherin Kerstin Thöns, werde der Landkreis gemeinsam
mit dem ehemaligen sächsischen Ausländerbeauftragten Heiner Sandig, einem
Pfarrer, Bürgersprechstunden veranstalten, die erste fand gestern statt.
Zudem soll ein privater Wachschutz eingesetzt und mit der Polizei ein
„Sicherheitskonzept“ erstellt werden.
„Damit planen wir weit mehr Begleitung in Gröditz als in den anderen
Unterkünften“, erklärte dazu der zuständige Landratsdezernent Urich
Zimmermann (CDU). Die Dame hinter dem Eisentor beruhigt das nicht. Wenn
doch Asylbewerber kommen, werde sie eben „abends nicht mehr auf die Straße
gehen“.
4 Jul 2012
## AUTOREN
Thomas Trappe
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