# taz.de -- Historischer Tag mit Hindernissen: Bundestag steht hinter ESM | |
> Mit einem Mammutprogramm berät der Bundestag zwei europäische | |
> Großprojekte. Doch die Beschlüsse des Brüsseler EU-Gipfels überstrahlen | |
> die Debatte. | |
Bild: Forza Europa! Wenn Jürgen sich für etwas engagiert, wirkt er noch kraft… | |
BERLIN taz | Selbst historische Tage werden manchmal von der Realität | |
überholt. Angela Merkel steht im Plenarsaal des Bundestags, | |
leidenschaftlich wirbt sie zwanzig Minuten lang für den Fiskalpakt und den | |
Rettungsschirm ESM. Zwei europäische Großprojekte, über die Koalition und | |
Opposition seit Monaten streiten. | |
Der Bundestag sende mit einem Ja ein „Signal der Geschlossenheit und | |
Entschlossenheit nach innen und nach außen“, sagt die Bundeskanzlerin. Ein | |
Signal, „dass Europa unsere Zukunft bedeutet“. Doch trotz aller Emphase, | |
alle im Saal wissen bereits jetzt: Die Beschlüsse müssen schon bald wieder | |
verändert werden. | |
So schnell veralten Großprojekte in der Krise. Am Freitag stand ein | |
parlamentarisches Marathon an: Die Abgeordneten hatten über das | |
umfangreiche Sparpaket zu entscheiden, das Schuldenbremsen in den | |
EU-Staaten installiert. Und über den dauerhaften Rettungsfonds, der | |
verschuldeten Staaten helfen soll (siehe Kasten). Beides sollte am Abend | |
mit einer Zweidrittelmehrheit ratifiziert werden, danach stand eine | |
Nachtsitzung des Bundesrates an. | |
Doch auch diese Mammutprojekte wurden von den Beschlüssen des EU-Gipfels | |
überstrahlt. Denn Merkel hatte in Brüssel auf Druck von Spanien und Italien | |
Punkte unterschrieben, die weit über das zur Abstimmung Stehende | |
hinausgehen. „Jeder Schritt, der zusätzlich gegangen wird, bedarf der | |
erneuten Befassung des Bundestages“, rief Merkel. Damit beendete sie die | |
Verwirrung, die in den turbulenten Stunden vor der Debatte geherrscht | |
hatte. | |
## SPD beklagt die angeblich gelockerten Regeln für den ESM | |
Diese begann schon am Vormittag: Noch während Merkel in Brüssel die | |
Beschlüsse lobte, noch bevor sie ins Flugzeug nach Berlin stieg, | |
rebellierte die SPD. Carsten Schneider, renommierter Haushälter der | |
Fraktion, empörte sich über angeblich gelockerte Regeln für den Geldfonds | |
ESM. Alle Auflagen für ein Land seien mache der Beschluss zum | |
„Papiertiger“. Die FDP – der die weitgehenden Gipfelbeschlüsse | |
programmatisch nicht passen – verbündet sich prompt mit ihm, deren | |
Abgeordnete Jürgen Koppelin plädierte auch für die Verschiebung des ESM. | |
Verkehrte Welt. Ein paar Stunden lang wollen Union und Grüne an diesem | |
Freitag abstimmen, SPD und FDP nicht. | |
Nach Schneiders Protest wurde es hektisch. Die SPD beantragte eine | |
Sondersitzung des Haushaltsausschusses, Punkt 13.30 Uhr trafen sich die | |
Haushälter aller Fraktionen, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) | |
erläuterte seine Sicht. Währenddessen flog Merkel von Brüssel nach Berlin, | |
um pünktlich an der geplanten Plenarsitzung teilzunehmen. Erst am | |
Nachmittag einigten die Fraktionsgeschäftsführer: Auch der Beschluss über | |
den ESM bleibt auf der Tagesordnung. | |
## „zwischen Solidarität und Solidität“ | |
In der Debatte machte Merkel erneut deutlich, warum ihr die parallele | |
Verabschiedung so am Herzen lag. Zwischen Fiskalpakt und ESM gebe es eine | |
rechtliche Verknüpfung, betonte sie, „zwischen Solidarität und Solidität�… | |
Die Abgeordneten von Union und FDP klatschten laut und lang, das ist ihnen | |
wichtig. Merkel legte auch deshalb so viel Wert auf den Zweiklang, weil sie | |
nur so die Zweifler in den eigenen Reihen beruhigen konnte. | |
Die Sozialdemokraten und die Grünen saßen still auf ihren Stühlen, sie | |
rührten keinen Finger. Beide haben ihre Zustimmung zugesagt, im Tausch | |
gegen die Finanztransaktionssteuer und Wachstumsprogramme. Doch zu einig | |
mit der Bundeskanzlerin will man dann doch nicht wirken. Diese | |
Zwiespältigkeit spiegelte die gesamte Debatte im Bundestag. | |
## SPD lobt SPD und Grüne | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte in seiner Rede die Wachstumsbeschlüsse, hob | |
hervor, dass nur der Druck von SPD und Grünen dazu geführt hätten. | |
Gleichzeitig kritisierte er das „dilettantische Regierungshandwerk“ von | |
Merkel, weil der Start des ESM wegen verfassungsrechtlicher Bedenken | |
verschoben werden muss. | |
Bei den Grünen hatte die Fraktionsspitze bis zuletzt um Geschlossenheit | |
gerungen. Auch hier verläuft der Tag nicht ohne Überraschungen. Die | |
Kritiker-Front, die bis zum Vortag rund 15 Abgeordnete umfasste, bröckelt. | |
Die Kehrtwende auf dem Gipfel erleichtertere den Grünen die Zustimmung, | |
analysiert die Haushaltsexpertin Priska Hinz. | |
## Schick sagte zur taz „Ja“ | |
Doch der wahre Grund lag woanders. Der Finanzpolitiker Gerhard Schick | |
entschied sich nach langem Zweifeln dafür, dem Sparpaket zuzustimmen. „Ich | |
stimme mit Ja“, sagte Schick der taz. Der in der Fraktion anerkannte | |
Fachpolitiker ist einer der Initiatoren eines Kleinen Parteitags der Grünen | |
zu dem Thema, der Länderrat hatte am Sonntag mit knapper Mehrheit für ein | |
Ja zum Fiskalpakt votiert. | |
Die meisten im Parlament sahen das genauso. Die Abstimmungen über | |
Fiskalpakt und ESM fanden nach Redaktionsschluss statt. Eine positives | |
Votum galt jedoch wegen der ganz großen Koalition aus Union, FDP, SPD und | |
Grünen als sicher. | |
29 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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