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# taz.de -- Die verborgene Zivilgesellschaft in Syrien: „Im Krieg ist Kunst k…
> Es gibt im Untergrund Führungsfiguren und Basisgruppen, die im neuen
> Syrien eine Rolle spielen werden, meint Mohammad al-Attar. Ein Gespräch
> mit dem Schriftsteller.
Bild: Schriftsteller Mohammad al-Attar: „Die Aufgabe der Künsler wird sein, …
taz: Herr al-Attar, als Sie vom Anschlag auf den innersten Kreis Assads
gehört haben, was war Ihr erster Gedanke?
Mohammad al-Attar: Ich hatte eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Erst kürzlich
kursierten überall Gerüchte, Assad und seine Entourage seien beim
Abendessen vergiftet worden. Wie im Gangsterfilm. Letzte Woche war ich also
zunächst skeptisch.
Und als klar war, dass der Schwager, der Verteidigungsminister, schließlich
der Innenminister wirklich tot sind, waren Sie da froh?
Es ist ja nicht leicht, sich über den Tod anderer zu freuen, selbst wenn
man sie nicht mag. Aber ich kann nicht sagen, dass ich nicht erleichtert
gewesen wäre.
Hier hatte niemand damit gerechnet, dass Assad bereits so verwundbar ist.
Waren Sie auch überrascht?
Nicht wirklich. Selbst wenn viele um Assad herum gar nicht für die
Revolution sind, handeln sie jetzt einfach pragmatisch, denn das Schiff
sinkt. Sie haben Vorkehrungen getroffen und sind jederzeit bereit zu
springen. Ich glaube, der entscheidende letzte Schlag gegen Assad wird von
seinen eigenen Leuten ausgehen.
Das Regime droht damit, im Falle einer internationalen Intervention Giftgas
einzusetzen.
Das halten die meisten hier für eine leere Drohung. Die USA und andere
haben deutlich gemacht, dass sie genau dann sofort eingreifen würden.
Wird die Zukunft Syriens nur noch militärisch entschieden? Kann die
internationale Diplomatie einpacken?
Im Moment ist der Lärm der Schlacht und der Geruch der Kugeln stärker alles
andere. Ja. Die Geschichte hat uns aber gelehrt: Am Ende wird es eine
politische Lösung geben müssen, doch die wird vom Sieger bestimmt.
Sie unterstützen die Freie Syrische Armee (FSA)?
Ja. Trotz aller Bedenken. Ich gehöre zu denen, die das Regime loshaben
wollen und für demokratische Wahlen mit zivilen Mitteln kämpfen. Doch ein
militärisches Vorgehen ist alternativlos geworden – obwohl auch weiterhin
friedlich demonstriert wird. Und man darf nicht vergessen: Die FSA hat
einen zivilen Kern. Viele Kämpfer haben zuvor friedliche Proteste
organisiert. Diese Nähe, das hoffe ich wenigstens, wird die Gefahren
zumindest eindämmen.
Hier ist viel davon die Rede, die Schlacht in Syrien sei längst ein
Stellvertreterkrieg: Al-Qaida, die Saudis, Hisbollah, die CIA, Russland …
sie alle zögen die Fäden im Hintergrund.
Al-Qaida schon wieder. Okay. Vorweg: Al-Qaida ist kein syrisches Phänomen,
diese Ideologie findet sich überall in der Welt, wo ähnliche Kämpfe
stattfinden. Das hört sich naiv an, aber nicht jeder aktiv gläubige Soldat
ist ein Dschihadist. Zum Beispiel Idlib. Die Stadt ist fest in der Hand der
FSA und bislang fehlt jeder Beweis für die Präsenz von Al-Qaida-Leuten
dort. Es gibt aber sehr wohl Kämpfer, die den Salafisten nahestehen oder
den Muslimbrüdern. Aber das ist etwas anderes. Andere wurden wiederum beim
Alkoholtrinken gesehen.
Das Ausland macht es sich mit seiner Angst vor al-Qaida zu einfach?
Vielleicht. In jedem Fall warnt das Regime Assad auch ständig vor
„Terroristen“ und legitimiert so seine Gewaltexzesse.
Die FSA ist aber jetzt viel stärker als noch vor ein paar Monaten. Irgendwo
müssen die Waffen ja herkommen.
Sicher. Aber ich denke, die meisten Waffen kommen von der syrischen Armee,
man darf die vielen Überläufer nicht vergessen. Das, was die FSA hat, sind
weniger moderne Waffen oder zeitgemäße Kommunikationsmittel als die
Tatsache, dass viel, viel mehr Menschen jetzt auf ihrer Seite kämpfen.
Es gibt die Befürchtung, dass der Krieg auch nach dem Fall von Assad
weitergehen könnte. Die ethnische Gewalt habe ein Maß erreicht, das fatal
an Bosnien erinnere.
Erst vor Kurzem hat man des 17. Jahrestages von Srebrenica gedacht, als in
einer Region, in der Blauhelme stationiert waren, etwa 8.000 Bosnier
ermordet wurden. Bei allem Respekt vor ausländischen Kommentatoren, das ist
der Vergleich, der mir einleuchtet. Natürlich, in Syrien passieren gerade
Massaker, da ist überhaupt nichts zu verharmlosen. Die Angst vor noch mehr
Gewalt ist auch nicht aus der Luft gegriffen. Und natürlich liegt es in der
Verantwortung der Syrer, nicht in die Falle ethnischer Gewalt zu tappen.
Aber je länger der Kampf andauert und je blutiger er wird, je mehr Raum das
Regime hat, Zivilisten niederzuschießen, desto größer werden die Risiken
für die Zukunft. Das ist vorhersehbar, das ist nichts spezifisch
„Syrisches“.
Assad schürt die ethnischen Konflikte?
Natürlich. Ein Bürgerkrieg, in dem ethnische Gruppen aufeinander losgehen,
ist der letzte Rückzugsort für das Regime, er ist seine letzte
Legitimation.
Wer von ethnischer Gewalt spricht, redet also Assad das Wort?
Nein, das ist auch zu einfach. Es gibt diese Gewalt, aber sie ist nicht so
groß, wie das Regime sie gerne hätte. Ich bin superstolz darauf, wie gut
die Syrer bislang mit der ethnischen Propaganda umgehen, und das trotz der
Massaker. Die eigentliche Trennlinie verläuft aber nicht entlang der
Ethnie. Bist du für oder gegen die Revolution – das ist die entscheidende
Frage, immer gewesen.
Welche Szenarien für die Zeit nach Assad werden unter Intellektuellen
diskutiert? Gibt es Vorbereitungen, an der Übergangsregierung teilzunehmen?
Nicht, was mich betrifft. Und über eines müssen wir uns klar sein: Die
Übergangszeit wird extrem kompliziert und schmerzvoll sein. Ich fand die
„Roadmap“, auf die sich die Opposition in Kairo geeinigt hat, ganz gut.
Unabhängig von der Religion sollen alle Bürger Syriens demokratische Rechte
erhalten. Natürlich sitzt der Teufel im Detail, und es fehlt bislang eine
klarere Vision für Syrien nach Assad. Aber dass keine Gruppe es wagen wird,
hinter die Eckpunkte, Demokratie für alle, zurückzufallen, ist für mich das
Wichtigste.
Zeigt Ägypten nicht, dass Eckpunkte allein nicht reichen? Dass die
Liberalen ganz schnell unter die Räder kommen, wenn sie nicht mehr
anbieten?
Ich bin nicht so pessimistisch, was Ägypten angeht. Die Liberalen haben in
Kairo und in Alexandria ja die Mehrheit bekommen bei den
Präsidentschaftswahlen. Und vielleicht ist eine einzige Sache gut daran,
dass wir Syrer so einen extrem hohen Preis bezahlen müssen, nur damit wir
Wahlen bekommen.
Welche?
In Syrien weiß jeder, dass das Regime mit dem Fall von Assad noch lange
nicht erledigt ist. Dafür ist sein Apparat zu groß. Wir kommen nicht in den
Genuss eines schnellen Sieges. Wir wissen, dass es ohne Zivilgesellschaft
keine Demokratie geben wird. Und viele, viele, gerade junge Leute arbeiten
da jetzt dran, bilden Netzwerke, dokumentieren die Revolution, die
Verbrechen. Es gibt so viele neue Gruppen für Frauenrechte, Kinderrechte,
gegen Folter, für eine gerechte Justiz. Ich allein kenne schon drei
Gruppen, junge Leute, die an einer Verfassung für das Neue Syrien arbeiten.
Die Opposition im Exil ist also nicht allein?
Nein, und es gibt keinen Grund, immer darauf zu warten, welche Erklärungen
sie abgeben. In Syrien selbst passiert an der Basis sehr viel. Noch ist das
nicht zu sehen, aber es ist sehr wichtig: Ist das Regime gefallen, dann
wird man all diese Gruppen an der Basis und ihre Arbeit entdecken – auch
international. Und einige Führungsfiguren, die jetzt noch im Untergrund
bleiben müssen, werden im Neuen Syrien eine Rolle spielen.
Worüber streitet sich die noch heimliche Zivilgesellschaft am meisten?
Über den Schmerz. Er wird dem Geschmack des Sieges jedes Aroma nehmen, wird
ihn schal schmecken lassen. Es sterben 100 bis 200 Leute pro Tag. Ob und
wie die Solidarität der syrischen Gesellschaft das aushalten wird, da sind
wir sehr unsicher. Manchmal ist all das Blut zu viel und wir fühlen uns nur
hilflos. Ich bin trotzdem optimistisch. Wir werden das hinkriegen.
Woher nehmen Sie die Zuversicht?
Die syrische Gesellschaft war ja schon aller denkbaren Gewalt ausgesetzt
und ist solidarisch geblieben. Trotzdem wird es wichtig sein, dass wir von
Südafrika und den Versöhnungsprozessen dort lernen. Und wir müssen bei all
den politischen und ökonomischen Desastern, die uns ja auch noch
bevorstehen, da Ziel der Revolution im Blick behalten: Demokratie. Darauf
müssen wir uns konzentrieren, immer wieder aufs Neue. Sonst schaffen wir
das nicht.
Hierbei dürfte den Künstlern eine zentrale Rolle zukommen.
Natürlich. In solchen Situationen sind Kultur und Kunst kein Luxus, sie
sind notwendig. Es wird eine ihrer großen Aufgaben sein, den Umgang mit
Schmerz und die Erinnerung an ihn kritisch zu begleiten. Nur dann können
die tiefen Wunden heilen.
Wie müssen wir uns die Situation in Beirut vorstellen?
In den letzten vier, fünf Tagen sind Tausende Syrer nach Beirut geflohen.
Am zweiten Tag nach dem Attentat sollen 20.000 die Grenzen zum Libanon
überquert haben, nach offiziellen Angaben. So wichtig es ist, über die
Situation der Syrer in Syrien zu sprechen, über das Schicksal der
Flüchtlinge reden wir zu wenig. Und was ich hier in Libanon sehe: Ihre
Situation sollte wirklich besser sein, das ist nicht gut.
Syrien selbst hat damals fast zwei Millionen irakische Flüchtlinge
aufgenommen.
Richtig, und auch Hunderttausende Libanesen im Jahr 2006. Flüchtlinge
aufzunehmen, ist keine Frage von Gnade, das ist eine Aufgabe, die man
erledigen muss.
Ihre Familie bleibt weiter in Damaskus?
Solange es irgendwie geht, ja. Exil ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung,
selbst wenn man nicht in einem Zelt leben muss. Aber die Situation kann
sich jederzeit ändern. Familie in Syrien zu haben, bedeutet im Moment, alle
paar Stunden zu überprüfen, ob noch alles okay ist.
23 Jul 2012
## AUTOREN
Ines Kappert
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