| # taz.de -- Syrische Rebellen: Revolution mit drei Stühlen als Beute | |
| > Der Duty-Free-Shop ist geplündert, den Verkehr stoppt die Türkei. An der | |
| > türkischen Grenze besetzen Rebellen einen Übergang. Ihr Kommandeur gibt | |
| > al-Assad noch einen Monat. | |
| Bild: Diesen Herrschaften verdankt die syrische Revolution den ersten „befrei… | |
| BAB AL-HAWA taz | Plünderer laden doppelglasige Fenster auf ihren | |
| Lastwagen, die Kämpfer der Rebellen nehmen im Schatten der Gebäude eine | |
| Auszeit, als ein schwarzes Zivilfahrzeug anhält. Ein Rebell springt heraus | |
| und feuert mit einem belgischen Gewehr drei Schüsse ab. Es entsteht eine | |
| kurze Panik, bis klar wird, dass er auf ein riesiges Porträt von Baschar | |
| al-Assad geschossen hat, das auf dem Dach einer Garage steht. Ein anderer | |
| Rebell zeigt ihm einen Vogel. | |
| So läuft es an diesem Freitag in Bab al-Hawa im Nordwesten von Syrien an | |
| der Grenze zur Türkei. Ein bei Lastwagenfahrern beliebter Ort mit einem | |
| großen Personenkontroll- und Zollgebäude und einem Duty-free-Shop. Am | |
| Donnerstag vergangener Woche hat die Freie Syrische Armee den Grenzposten | |
| nach zweistündigem Kampf eingenommen. | |
| Dabei verlor sie drei Kämpfer, die Regierungstruppen erlitten unbekannte | |
| Verluste. Bab al-Hawa ist einer von mindestens drei Grenzposten in Hand der | |
| Rebellen, die anderen befinden sich an der östlichen Grenze Syriens zum | |
| Irak. | |
| Am Freitagmorgen ist kein Staatsbeamter weit und breit zu sehen. Die | |
| obligatorischen Fotos von Assad sind von den Wänden gerissen worden, ein | |
| beißender Qualm durchzieht die Eingangshalle, Dokumente schwelen. In | |
| schlechtem Englisch steht eine Notiz an der Wand: „Wenn Sie Probleme haben, | |
| kontaktieren Sie bitte folgende Nummern …“ Neben einem riesigen | |
| Abfallcontainer ist ein frisches Graffiti entstanden: „Das ist Baschars | |
| neues Zuhause“ steht da kurz und bündig. | |
| Die Kämpfer, die Bab al-Hawa eingenommen haben, liegen unter Bäumen, müde | |
| wie Löwen nach der Jagd. Sie überlassen den Aasgeiern das Feld. Plünderer | |
| haben den Weg in den Shop Syriens Duty Free frei gemacht. Einst war der | |
| Laden ein Monopol im Besitz von Assads Cousin Rami Maklouf, dem reichsten | |
| Mann Syriens. Jetzt tragen die Aufständischen die letzten Waren nach | |
| draußen. | |
| Der Eingangsbereich ist voller Glasscherben, zerbrochener | |
| Chivas-Regal-Whiskyflaschen und verstreuter kubanischer Zigarren. Die Geier | |
| räumen alles aus den Grenzgebäuden, was sich bewegen lässt. Möbel, Fenster, | |
| sogar Waschbecken. Ein Mann hämmert so lange an einem Scharnier, bis er | |
| auch die dazugehörende Tür stehlen kann. | |
| ## Revolutionsbeute: sechs Stühle | |
| Die Plünderer scheinen Dorfbewohner aus der Umgebung zu sein. Sie verwenden | |
| Pick-ups mit großer Ladefläche, die in diesem Teil der Welt meist von | |
| Bauern verwendet werden. Ein Mann bindet drei Stühle auf den Sozius seines | |
| Motorrads und fährt los. Nach einer halben Stunde kommt er wieder und | |
| schnappt sich erneut drei Stühle. | |
| „Was in Bab al-Hawa geschehen ist, ist nicht zu akzeptieren“, sagt der Chef | |
| des oppositionellen Syrischen Nationalrats Abdel Basset Seida gegenüber | |
| Journalisten im türkischen Antakya am Samstag. „Es geht hier um | |
| öffentliches Gut“, meint er, das von den Plünderern gestohlen wurde. „Wir | |
| müssen den öffentlichen Besitz sichern.“ Seida vermeidet es in seiner | |
| Stellungnahme, die Freie Syrische Armee (FSA) zu kritisieren, mit der seine | |
| Front eng verbunden ist. | |
| ## Neun türkische LKW brannten | |
| Die FSA zahlt aber auch so sehr schnell den Preis dafür, dass sie am | |
| Freitag in Bab al-Hawa nicht für Ordnung gesorgt hat. Die Türkei macht die | |
| Grenze dicht. Der Provinzgouverneur Celalettin Lekesiz sagt, dass am | |
| Freitagabend Kämpfe zwischen „unabhängigen Gruppen“ in Bab al-Hawa | |
| ausgebrochen seien. Neun türkische Lastwagen seien dabei in Brand gesetzt | |
| worden. „Es gibt dort keine Sicherheit“, sagt Lekesiz am Samstag vor dem | |
| Grenzübergang. | |
| Wenige Stunden später meldete die Agentur AFP, das eine Gruppe von etwa 150 | |
| islamistischen Kämpfern, darunter auch Ausländer, die von sich behaupteten, | |
| zur al-Qaida im Maghreb (AQMI) zu gehören, den Grenzposten besetzt hätten. | |
| Diese Gruppe hatte nach Angaben eines AFP-Fotografen nichts mit den | |
| Rebellen zu tun, die den Grenzposten am Freitag übernommen hatten. | |
| ## Islamische Kämpfer mit Sturmgewehren | |
| Die Kämpfer seien mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Minen bewaffnet. | |
| Sie kämen aus Algerien, Frankreich, Ägypten, Saudi-Arabien, Tunesien und | |
| den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sogar aus Tschetschenien soll es einer | |
| bis ins ferne Syrien geschafft haben. | |
| Der Rebellenkommandeur in Bab al-Hawa, Mustafa Abdullah Abu Mohammed, sagt | |
| am Freitagmorgen, als von den fremden Kämpfern noch nichts zu sehen ist, | |
| dass die syrische Regierungsarmee nur knapp fünf Kilometer von der Grenze | |
| entfernt stationiert sei. Dennoch verbreitet er Zuversicht. | |
| ## Waffen von der Armee | |
| Die Rebellen kontrollierten seinen Angaben zufolge die Dörfer im | |
| nordwestlichen Syrien, die Regierung nur noch die Zentren der großen Städte | |
| wie Aleppo, wo gegenwärtig besonders heftig gekämpft werde. | |
| Die Hälfte seiner Truppe ist mit russischen Kalaschnikows bewaffnet, die | |
| aus den Beständen der regulären syrischen Armee stammen können. Die andere | |
| Hälfte trägt belgische Gewehre, Kaliber 7,62 Millimeter. | |
| Auf die Frage, wie lange Assad sich noch halten könne, sagt der Kommandeur | |
| nur: „Einen Monat – Maximum.“ | |
| Aus dem Englischen übersetzt von Nicola Schwarzmeier und Georg Baltissen | |
| 22 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasper Mortimer | |
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