# taz.de -- Befreite syrische Stadt Azaz: „Heute mag Assad keiner mehr“ | |
> Die Freie Syrische Armee hat die Stadt Azaz erobert. Erstaunlich schnell | |
> kehrt der Alltag zurück. Die Menschen sind sich sicher, dass das Regime | |
> nicht zurückkehrt. | |
Bild: In Azaz scheinen keine Plünderungen stattgefunden zu haben. | |
AZAZ taz | Der Zustand der wichtigsten Moschee von Azaz sagt alles. | |
Errichtet auf einer Anhöhe in dieser Stadt mit 70.000 Einwohnern, war sie | |
einst ein eindrucksvolles Gebäude, dessen Wände aus Schichten von rosa und | |
weißem Stein bestanden, ein Merkmal arabischer Architektur. Doch als die | |
Bevölkerung rebellierte, übernahmen die Regierungstruppen die Moschee wegen | |
ihrer Lage und dem Blick über die Stadt. Sie brachten Panzer und | |
Scharfschützen hinter Sandsäcken in Stellung. | |
Heute sind Teile der zweistöckigen Mauern weggesprengt, und die Schuttberge | |
höher, als ein Mensch groß ist. Fünf ausgebrannte Panzer und Schützenpanzer | |
stehen im Freien, Jungen kraxeln auf der Suche nach Souvenirs auf ihnen | |
herum. Aus dem Gotteshaus ist eine Kriegsruine geworden. | |
Am Freitag, den 20. Juli, hat die Freie Syrische Armee Azaz erobert, das 50 | |
Kilometer nördlich von Aleppo und sieben Kilometer südlich der Grenze zur | |
Türkei liegt. Die letzten Opfer starben am vergangenen Sonntag unter der | |
Hand abziehender Soldaten. Ein paar Tage später hat sich die Lage | |
normalisiert. Der Wiederaufbau hat begonnen. | |
„Die Zahl der Einwohner steigt von Tag zu Tag“, sagt der Anstreicher Abdul | |
Rahman Hamed am Dienstag am Telefon. „Auf dem Markt gibt es Lebensmittel. | |
Wir haben Wasser, aber keinen Strom.“ | |
## Frische Kartoffeln | |
Bei einem Besuch in Azaz am folgenden Tag stellt sich heraus, dass Hamed | |
recht hat. Die meisten Geschäfte sind noch geschlossen, aber die Straßen | |
wieder belebter. Passanten sehen sich an, was aus ihren Häusern geworden | |
ist, junge Leute düsen auf Motorrollern herum, und ein Bulldozer rumpelt an | |
der Moschee vorbei, um den Schutt am oberen Ende der Straße zu beseitigen. | |
Auf dem Markt sind nur einige Stände geöffnet, aber die Kunden reißen sich | |
um Tomaten, grüne Paprika und Gurken – die wichtigsten Zutaten für einen | |
Salat in diesem heißen Land. | |
Einige Waren haben unter dem Stromausfall während der Kämpfe gelitten. Ein | |
Kunde bricht eine Zucchini auf und wirft sie verächtlich wieder zurück auf | |
den Haufen. Die Kartoffeln fühlen sich weich an. Aber am nächsten Tag fährt | |
ein Bauer durch die Straßen und verkauft frische Kartoffeln von der | |
Ladefläche seines Lasters herab. | |
Hauptmann Nakheeb Ahmet Razzali, Kommandant der Freien Syrischen Armee, | |
berichtet, seine Leute arbeiteten mit den öffentlichen | |
Dienstleistungsunternehmen zusammen, um die Strom- und Wasserversorgung | |
wieder in Gang zu bringen. Einige Bewohner berichten, das Wasser aus dem | |
Hahn sei verschmutzt. An einer Stelle steht ein Mann in einer Galabija auf | |
der obersten Sprosse einer Leiter und befestigt ein Stromkabel. | |
Die Rebellen sagen, dass sie in dem 27-tägigen Kampf zur Eroberung von Azaz | |
23 Panzer außer Gefecht gesetzt haben. Einer davon ist ein T-72 russischer | |
Produktion, der kaum beschädigt ist. Ein Mann in Zivil klebt mit schwarzem | |
Isolierband eine Notiz an den Panzer. Auf dem Computerausdruck wird die | |
Bevölkerung aufgefordert, keine Teile des Gefährts zu entfernen. | |
Unterzeichnet ist das Papier mit „Der Revolutionsrat von Azaz“. | |
## Keine Plünderungen | |
Der beste Beweis dafür, dass in Azaz eine zentrale Befehlsgewalt das Sagen | |
hat, ist, dass keine Plünderungen stattgefunden zu haben scheinen. Viele | |
Häuser stehen noch leer – die Bewohner waren während der Kämpfe aufs Land | |
geflohen –, aber niemand hat ihre Satellitenschüsseln, Sonnenkollektoren | |
und Klimaanlagen gestohlen. Die Rollläden der meisten Geschäfte sind noch | |
heruntergelassen, und trotzdem hat niemand versucht, sich Einlass zu | |
verschaffen und Waren zu stehlen. | |
In Bab al-Hawa, einer Grenzstadt 140 Kilometer westlich, ist am vergangenen | |
Freitag das Gegenteil passiert. Nur wenige Stunden nachdem die Freie | |
Syrische Armee diesen großen Zoll- und Grenzposten eingenommen hatte, | |
fielen Plünderer über jedes Gebäude, jedes Auto her und nahmen sogar Spülen | |
und Doppelglasfenster mit. | |
Die Menschen von Azaz zeigen den Journalisten, welche Zerstörung die | |
Kampfhelikopter von Assads Streitkräften angerichtet haben. Wände und | |
Dächer mehrerer Häuser weisen Löcher von Raketeneinschlägen auf. Der Sohn | |
eines Hausbesitzers bringt das, was von einer Rakete übrig geblieben ist – | |
einen Zylinder, länger als ein Unterarm. Das Haus von Ahmed Bahri Wehsi, | |
einem Fahrer, hat drei Raketentreffer abbekommen. Fünf Kinder starben dabei | |
– seine drei Neffen und zwei Nichten. Die Raketen haben Löcher gesprengt, | |
groß genug, um hindurchklettern zu können. | |
Der Schuster Eissa Yassin führt im Einkaufszentrum der Stadt die von | |
schwerem Gewehrfeuer der Kampfhubschrauber durchsiebten Rollläden der | |
Geschäfte vor. Warum Assad so auf die Helikopter gesetzt habe? „Weil er die | |
Menschen einschüchtern wollte“, sagt der Geschäftsmann Ibrahim Marouf. | |
## Assad kommt nicht zurück | |
Alle sind der Meiunung, dass Assads Regime in Azaz nie wieder an die Macht | |
kommen wird. „Assad ist erledigt“, sagt Mohammed Youssef Hamdan, ein | |
pensionierter Lehrer. „Wenn er zurückkommen wollte, müsste er alle hier | |
umbringen.“ | |
Marouf fügt hinzu: „Asssad hat alles seiner Familie zugeschanzt. Niemand | |
mochte ihn.“ Ein Dritter sagt: „Früher war es so: Einige mochten Assad, | |
andere nicht. Heutzutage mag ihn keiner mehr.“ Dennoch will der Mann mit | |
den weißgrauen Haaren seinen Namen nicht preisgeben. Vielleicht fürchtet er | |
doch, dass der Diktator zurückkommt. Assads Armee unternimmt große | |
Anstrengungen, die Stadt Aleppo zurückzuerobern. Das sind nur 40 Minuten | |
Autofahrt von Azaz entfernt. | |
Auf die Frage, wie die Chancen stehen, dass Assads Truppen Azaz | |
zurückerobern, antwortet Hauptmann Razzali: „Sie stellen die falsche Frage. | |
Sie werden nicht wiederkommen. Sie sollten fragen: Wo wollen sie hin? Denn | |
wir jagen sie.“ Man könnte etwas Prahlerischeres in Rezzalis Antwort | |
vermuten, aber seine Kämpfer sind gefürchtet. Sie haben die letzten acht | |
T-72 außer Gefecht gesetzt. Das sind Kampfpanzer; einst der Stolz der | |
sowjetischen Armee. Sie feuern 125 Millimeter große Granaten ab, und ihre | |
Panzerung ist dick – der T-72 wiegt 41 Tonnen. In Azaz haben Rebellen sie | |
zerstört, die nur mit Panzerabwehrgranaten bewaffnet waren. | |
Ein Kämpfer, ein ehemaliger Soldat, der sich Mohammed nennt, sagt, er habe | |
zwei T-72 zerstört. Man müsse die Granaten so abfeuern, dass sie eine drei | |
Zentimeter große Öffnung zwischen Panzer und Panzerdach schaffen. Mit Glück | |
entwickle die Explosion solch eine Hitze, dass die Besatzung keine Chance | |
mehr habe, herauszuspringen. Sie verbrenne. | |
Aus dem Englischen von Beate Seel und Sabine Seifert | |
29 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Jasper Mortimer | |
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