| # taz.de -- 89.-92. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Das Gedächtnis der UNO | |
| > Der UN-Experte Matthew Brubacher hat unzählige FDLR-Kämpfern interviewt, | |
| > die im Kongo aus dem Busch kamen und nach Ruanda zurückkehrten. Woran | |
| > erinnert er sich? | |
| Bild: Das Demobilisierungscamp Mutobo müssen alle Ex-Milizionäre durchlaufen. | |
| STUTTGART taz | Wohl kaum ein weißer Ausländer hat so viel Erfahrung mit | |
| der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Kongo wie Matthew | |
| Brubacher. Der 37jährige arbeitete von Februar 2009 bis Juni 2012 im | |
| ostkongolesischen Goma für das Demobilisierungs- und Repatriierungsprogramm | |
| (DDRRR) der UN-Mission im Kongo (Monuc, später Monusco), das | |
| demobilisierungswillige ruandische Milizionäre aus dem Kongo nach Hause | |
| bringt. | |
| „Durchschnittlich 110 bis 160“ repatriierungswillige FDLR-Kämpfer pro Monat | |
| hat DDRRR in dieser Zeit interviewt, sagt Brubacher zu Beginn seiner | |
| Befragung vor dem OLG Stuttgart im Prozess gegen FDLR-Präsident Ignace | |
| Murwanashyaka und seinen Vize Straton Musoni. Vier Verhandlungstage lang, | |
| vom 16. bis 25. Juli, steht er Rede und Antwort. | |
| „Fast alle FDLRler, die ich interviewte, wussten, dass Murwanashyaka der | |
| oberste Führer war“, stellt er gleich zu Anfang klar. „Manchmal haben sie | |
| ihn als Präsident, manchmal als Gott identifiziert“. | |
| ## Treffen mit Militärs im Wald | |
| Die Militärführung der FDLR im Kongo, das hat Brubacher selbst mitbekommen, | |
| telefonierte mit Murwanashyaka in Deutschland. Er leitete zum Beispiel eine | |
| DDRRR-Delegation, die am 10. September 2009 auf Bitten der FDLR – nach den | |
| verschiedenen kongolesischen Armeeoperationen gegen die Miliz – nach Ntoto | |
| im Regenwald von Nord-Kivu reiste, um hohe FDLR-Militärführer zu treffen. | |
| „Die Militäroperationen gegen die FDLR in 2009 taten der FDLR sehr weh, sie | |
| wollten daher Verhandlungen neu aufnehmen“, erklärt er den Kontext. „Sie | |
| verstanden die kongolesischen Operationen gegen sie nicht. Ich erklärte | |
| ihnen, dass ihre Präsenz im Kongo nicht mehr gestattet sei, dass die | |
| internationale Gemeinschaft Stabilität in der Region wolle, deswegen müsse | |
| die FDLR gehen; wenn sie dies nicht freiwillig täte, würde es | |
| Militäroperationen gegen sie geben. Ich schlug vor, die FDLR-Führung solle | |
| einen Brief an die kongolesische Führung schreiben, um ihren | |
| Verhandlungswillen zu bekunden.“ | |
| Weiter: „David (David Mukiza, Kabinettsleiter des höchsten | |
| Entscheidungsgremiums der FDLR, des „comité directeur“) sagte, er müsse | |
| darüber mit Murwanashyaka reden. Er sagte vor allen Mitgliedern der | |
| Delegation, dass er Murwanashyaka anrufen geht, dann ging er nach draußen | |
| um zu telefonieren“. | |
| „Hat Murwanashyaka Befehle an Mudacumura gegeben?“ will der Vorsitzende | |
| Richter Hettich wissen. Mudacumura ist der oberste FDLR-Militärführer im | |
| Kongo. Ein zentraler Punkt des Verfahrens ist die Frage, ob Mudacumura | |
| Befehlsempfänger von Murwanashyaka war und ob letzterer damit die Macht | |
| hatte, die FDLR-Truppen daran zu hindern, Kriegsverbrechen zu begehen. | |
| „In der Verfassung steht, dass der Präsident der Leiter des comité | |
| directeur ist“, antwortet Brubacher. „Durch diese Struktur und die Aussagen | |
| von FDLRlern schlossen wir, dass Murwanashyaka Anweisungen an Mudacumura | |
| geben konnte. Aber wie ihre Beziehung aussah, weiß ich nicht.“ | |
| ## Angriffe auf Dörfer als Strategie | |
| Mehr weiß Brubacher, wenn man ihn konkret fragt. Der ehemalige | |
| UN-Mitarbeiter führt aus, dass die FDLR nach der gemeinsamen | |
| kongolesisch-ruandischen Militäroperation Umoja Wetu gegen die Miliz im | |
| Januar-Februar 2009 eine neue Strategie angewandt habe: „Angriffe auf | |
| Dörfer, die die Regierung unterstützten, dadurch sollte der humanitäre | |
| Preis steigen“. | |
| Manche Angriffe der FDLR hätten damals explizit die Tembo-Bevölkerung im | |
| Süden des Distrikts Walikale zum Ziel gehabt und deren Miliz | |
| Mai-Mai-Kifuafua - „vor 2009 waren sie Verbündete der FDLR, aber seit der | |
| Neuaufstellung arbeiteten sie mit der FARDC (kongolesische Regierungsarmee) | |
| und integrierten sich in sie, dafür sollte die Tembo-Bevölkerung bestraft | |
| werden... Es wurden Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet“. | |
| Hochrangige FDLR-Kommandeure hätten ausgesagt, „das comité directeur habe | |
| neue Befehle erlassen für eine humanitäre Katastrophe“. | |
| „Also war es ein Befehl des comité directeur?“ fragt Richter Hettich. | |
| „So habe ich es aus den Interviews verstanden“, antwortet Brubacher. | |
| „Kennen Sie konkrete Beispiele für die Umsetzung der neuen Strategie, | |
| Dörfer anzugreifen?“ fragt Richter Hettich. | |
| „In 2009 war Busurungi wohl der größte Angriff“, antwortet Brubacher. | |
| ## Befehl zur „humanitären Katastrophe“ | |
| Wieder und wieder kehren die Befragungen auf dieses FDLR-Massaker zurück, | |
| bei dem in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2009 laut Ankageschrift in | |
| Busurungi mindestens 96 Zivilisten getötet wurden – als Rache für einen | |
| vorhergegangen Angriff auf ruandische Hutu-Flüchtlinge im Nachbarort Shario | |
| durch Kongos Armee. | |
| „Die FDLR plante zwei bis drei Wochen lang den Racheangriff“, so Brubacher. | |
| „Wir haben Interviews mit acht bis neun Kämpfern“. Diese hätten allerdings | |
| alle gesagt, dass sie nur die FARDC-Soldaten angegriffen hätten, keine | |
| Zivilisten. | |
| „Waren auch in Busurungi Zivilisten?“ fragt Richter Hettich. | |
| „Es ist ein Dorf“, sagt Brubacher. | |
| „Wusste die FDLR das?“ | |
| „Natürlich.“ | |
| Die zentrale Frage, ob es einen Befehl der FDLR-Spitze gab, eine humanitäre | |
| Katastrophe unter der kongolesischen Zivilbevölkerung anzurichten, wird in | |
| der Folge weiter erörtert. Brubacher nennt die Namen dreier FDLR-Kämpfer, | |
| die davon direkte Kenntnis hatten. | |
| Zu einem sagt er: „Er war im März 2009 dabei, als das Oberkommando den | |
| Befehl gab, niederzubrennen, zu plündern und die Zivilbevölkerung zu | |
| vertreiben, und er sagte, dass das Motiv für Busurungi der Verrat der Tembo | |
| war“. | |
| Unter den FDLR-Kämpfern, die zur DDRRR kamen, waren auch Kinder - „jede | |
| Woche kamen ca 20 Kindersoldaten in unsere Lager“, zumeist von der FDLR, | |
| sagt Brubacher. „Das jüngste Kind war ca 12 Jahre alt“. Die meisten Kinder | |
| bei der FDLR seien allerdings Kongolesen gewesen, keine Ruander. | |
| ## Schaubilder und Organigramme | |
| Große Teile der Befragung sind sehr technisch, behandeln im Detail die | |
| innere Struktur der FDLR anhand von DDRRR-Schaubildern und Organigrammen, | |
| es wird nach einzelnen Namen und Rängen, nach Einheiten, Standorten und | |
| Zeitpunkten gefragt. Das dient wohl vor allem dazu, die Angaben anderer | |
| Zeugen überprüfen zu können. | |
| Ein weiterer ausführlicher Fragenkomplex behandelt mutmaßliche Entführungen | |
| von Zivilisten durch die FDLR. Es ist bei manchen dieser Fragerunden nicht | |
| klar, ob die Verteidigung Informationen möchte oder Widersprüche und | |
| mangelnde Quellensicherheit in den DDRRR-Materialien herauslocken will. | |
| So geht es zum Beispiel um das allererste Interview, das Brubacher seinen | |
| Angaben zufolge führte: mit Major Jean de Dieu Rommel, am 23. April 2009. | |
| Später taucht ein weiteres Interview mit derselben Person vom 28. März auf. | |
| Die Verteidigung versucht, Brubacher einen Strick daraus zu drehen, dass er | |
| sich an solche Einzelheiten - und auch daran, was genau in welchem | |
| Interview vorkam - erst nach Nachschauen in seinen Notizen erinnert. | |
| Als Brubacher im Zusammenhang mit diesem ersten Interview auch Busurungi | |
| erwähnt - obwohl das Massaker aber erst am 9. Mai 2009 stattfand - schimpft | |
| Rechtsanwältin Ricarda Lang, das sei „ein Skandal“, noch dazu „in einem | |
| deutschen Gerichtssaal“. | |
| Brubacher kann das Missverständnis auflösen. Er erklärt, dass er aus seiner | |
| Erinnerung heraus zunächst dachte, mit Rommel über Busurungi gesprochen zu | |
| haben, aber nachdem er in seinen Notizen nachgesehen hat, sei ihm klar | |
| geworden, dass er mit ihm nur über die neue Strategie der FDLR im Zuge von | |
| Umoja Wetu sprach, zu der in der Folge Angriffe wie in Busurungi gehörten. | |
| Es ist nicht das erste Mal, dass Murwanashyakas Verteidigerin einen | |
| Deutschlandbezug betont, um ausländische Zeugen herunterzuputzen. | |
| ## Interviews mit Offizieren | |
| Sehr langatmig wird im weiteren Verlauf die Liste von Brubachers | |
| gesammelten Interviews mit hohen Offizieren durchgegangen. Hätte Brubacher | |
| damals gewusst, dass seine ganzen Interviews mit demobilisierungswilligen | |
| oder demobilisierten FDLR-Kämpfern später einmal Beweiswert „in einem | |
| deutschen Gerichtssaal“ haben könnten - möglicherweise hätte er genauer | |
| mitgeschrieben und nicht hier und da das Datum vergessen oder bestimmte | |
| Nachfragen nicht gestellt, die jetzt interessant werden. | |
| Wieder einmal zeigt sich die Schwierigkeit, Recherchematerialien der UNO | |
| aus ganz anderen Zusammenhängen in einem Kriegsverbrecherprozess zu | |
| benutzen. | |
| Vor allem, weil der Senat immer wieder - nicht nur bei diesem Zeugen - | |
| darauf besteht, der Zeuge möge aus seiner Erinnerung heraus sprechen und | |
| nicht aus seinen Notizen und sonstigen Materialien vorlesen. Warum | |
| letzteres weniger Beweiswert haben sollte als ersteres, bleibt offen. | |
| ## 2011 wurden Verhandlungen abgelehnt | |
| Die Verteidigung fragt auch ausführlich nach einem Treffen des | |
| FDLR-Oberkommandos unter Leitung von General Mudacumura am 28. Juni 2011, | |
| bei dem ein neuer Vorschlag von Kongos Regierung für Verhandlungen mit der | |
| FDLR abgelehnt wurde. | |
| „Der Grundgedanke war: die kongolesische Regierung erlaubt der FDLR einen | |
| neuen Ort in der Provinz Maniema unter der Bedingung der Eskortierung und | |
| Entwaffnung“, schildert Brubacher die Diskussion, von der ihm ein | |
| Teilnehmer nach seiner Desertion am 1. September 2011 berichtet habe. | |
| „Die Meinung des FDLR-Oberkommandos war jedoch: Wenn man die Waffen | |
| niederlegen würde, würde man den Einfluss auf die kongolesische Regierung | |
| verlieren. Daher wurde das Angebot abgelehnt“. | |
| Redaktion: Dominic Johnson | |
| 1 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bianca Schmolze | |
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