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# taz.de -- DDR-Skaterfilm „This ain't California“: Denis gab es überall
> Der Film „This ain't California“ von Marten Persiel will eine
> „dokumentarische Erzählung“ über Skater in der DDR sein. In Wirklichkeit
> wurde viel nostalgisch nachgestellt.
Bild: Unorganisierte Rollbrettfahrer am Alexanderplatz.
„Die Geschichte von Denis beginnt mit einer Legende“, erzählt einer der
Protagonisten in „This ain’t California“ aus dem Off. Genau genommen
handelt Marten Persiels Film von einer Legende: der Skater-Szene im
ehemaligen Ostdeutschland, den coolen Kids vom Alexanderplatz. Skaten und
real existierender Sozialismus, das schien ein Widerspruch zu sein, heißt
es im Film einmal. Ob so eine Szene damals allerdings wirklich existierte,
darüber gibt auch „This ain’t California“ nicht eindeutig Aufschluss.
„Eine dokumentarische Erzählung“ nennt Persiel seinen Film. Es gibt darin
großartige Archivaufnahmen zu sehen; Bilder, deren historischer Status
bereits durch ihre Grobkörnigkeit und die bläulichen Laufschrammen
gekennzeichnet ist: Skater rollen zwischen Passanten durch die
Betonarchitektur des Alex, in der DDR der Mittelpunkt des öffentlichen
Lebens. Ein paar Fahrer üben vor dem Fernsehturm Tricks, albern mit der
Kamera herum. Erstaunliche Einblicke in ein bislang unbekanntes Stück
DDR-Alltagsgeschichte.
Inzwischen ist erwiesen, dass viele der Aufnahmen für den Film nachgestellt
wurden. „This ain’t California“ wirkt deswegen nicht weniger lebensnah,
aber die Frage bleibt, ob ein Gefühl – und sei es ein Lebensgefühl –
reicht, um eine Geschichte dokumentarisch zu nennen. Man wird zunächst also
mit seinen Gefühlen allein gelassen. Der Zuschauer soll eine vergangene Ära
nachempfinden, ohne dabei gewesen zu sein. Die dabei waren, behaupten, dass
es sich damals genau so zugetragen habe. Geschenkt, dass viele der im Film
auftauchenden Figuren fiktiv oder ihre Biografien patchworkartig
zusammengeschustert sind. Es zählt allein das Gefühl, das sich bei der
Musik von Feeling B und (ebenfalls erfundenen) Werbespots für das
Sperrholz-Rollbrett Germina Speeder einstellt. Was aber, wenn sich dieses
Gefühl, von dem „This ain’t California“ so beredt erzählt, in bloßer
Nostalgie erschöpft?
Nirgendwo wird das so spürbar wie in der Rahmenhandlung des Films. Da
sitzen ein paar Männer und Frauen von Anfang vierzig um ein Lagerfeuer
herum und erinnern sich. Der Grund ihres Zusammenkommens ist der Tod eines
alten Kumpels, der für einige ein offenes Kapitel ihrer Jugend abschließt.
Eine Jugend, die mit dem Fall der Mauer ein jähes Ende nahm. Denis Panicek,
genannt „Panik“ ist tot, erschossen bei einem Bundeswehreinsatz in
Afghanistan.
## Denis - ein charismatischer, unkontrollierbarer Teenager
Auch Denis hat es nicht gegeben, oder vielleicht gab es ihn, wie im Film
angedeutet, überall. Ein charismatischer, unkontrollierbarer Teenager, der
den Kids zeigte, dass man im Osten doch anders sein, sich selbst
verwirklichen konnte – ohne den rigiden Vorgaben des Staates (Arbeit, damit
Essen auf den Tisch kommt; Sport, um fit zu bleiben) zu entsprechen.
Anzunehmen, dass Bruchstücke der Biografie von René Falk Thomasius, dem
erfolgreichsten Skater der DDR, der in „This ain’t California“ lediglich
erwähnt wird, in die Figur Panik eingeflossen sind. Wie auch in die Figur
des finnischen Diplomatensohns, der die ersten Westbretter über die Grenze
nach Ost-Berlin geschmuggelt haben soll.
Die Lagerfeuer-Szenen gehören zu den schwächsten Momenten des Films, weil
sie sich, ganz im Gegensatz zu den mitreißend nachempfundenen
Archivbildern, tatsächlich inszeniert anfühlen. Sie sind lediglich ein
erzählerisches Mittel. Doch wenn ein Großteil der Geschichte ohnehin
erfunden ist, hätte man dann nicht einen interessanteren Zugang zur
Rollbrettfahrer-Szene im Osten finden können als diese Nostalgie?
Aber „This ain’t California“ ist auch keine Mockumentary, obwohl es einige
wirklich komische Einschübe gibt – wie einen Bericht aus dem DDR-Fernsehen,
der das Skateboarden eine Erfindung des Westens nennt, die „Unmoral,
Skeptizismus und einzelgängerischen Individualismus“ befördere. Oder das
Interview mit dem ehemaligen Sportbeauftragten der DDR, der von den
vergeblichen Versuchen der Stasi, den „unorganisierten Rollsport“ zu
unterwandern, erzählt.
Einige Pioniere der DDR-Skateboardszene haben Persiel als Berater zur Seite
gestanden, darum darf man annehmen, dass dieses Gefühl von Freiheit und
Grenzenlosigkeit in „This ain’t California“ tatsächlich einmal gelebt
wurde. Der Rest ist, bis auf Weiteres, Legende.
## „This aint California“. Regie: Marten Persiel. Deutschland 2012, 90 Min.
19 Aug 2012
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Deutscher Film
Neu-Berlinern
London
DDR
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