# taz.de -- Buch „Honecker privat“: Das Pistölchen in der Serviette | |
> Lothar Herzog war bis 1984 der Kellner von Erich Honecker. Über dessen | |
> Trinkgewohnheiten wunderte er sich, reden durfte er mit dem Staatschef | |
> nicht. | |
Bild: Und Breschnew bekam dann die Alkoholfahne zu schmecken. | |
„Der Tag begann mit einer Zitrone.“ So lautet der erste Satz des Buches, | |
das der ehemalige Kellner und Steward von Erich Honecker über den Ersten | |
Sekretär des Zentralkomitees der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR | |
schreibt. Jeden Morgen trank Honecker den Saft einer frisch gepressten | |
Zitrone. „Er absolvierte diese Übung so diszipliniert und konzentriert wie | |
einen Staatsbesuch“, erinnert sich Lothar Herzog. | |
Überhaupt achtete Honecker sehr auf seine Gesundheit: „Als Beleg dafür ließ | |
sich selbst die beiläufige Bemerkung von Egon Krenz anführen, der | |
Generalsekretär habe sich nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 einen | |
Geigerzähler besorgen lassen, weil er offenkundig den verharmlosenden | |
Meldungen aus der Sowjetunion nicht glaubte und sich in der Schorfheide | |
bezüglich der Radioaktivität selbst eine Meinung bilden wollte.“ | |
Der gelernte Kellner Lothar Herzog ging 1962 zum Personenschutz des | |
Ministeriums für Staatssicherheit, von 1972 bis 1984 wurde er in die | |
Waldsiedlung in Wandlitz abkommandiert, um Honecker jeden Wunsch von den | |
Lippen abzulesen. Er war dem Staatschef zwar sehr nah, aber gesprochen hat | |
er nicht mit ihm. „Ich servierte nur und schwieg.“ Herzog hatte die | |
Weisung, nur zu antworten, wenn er gefragt wurde. „Und da er mich nie | |
fragte, gab es auch keinen Anlass, dass wir uns unterhielten.“ | |
Herzog begleitete Honecker auf Dutzenden Staatsreisen in 30 Staaten auf | |
vier Kontinenten und war ihm im Urlaub zu Diensten. Doch der livrierte | |
Zaungast der Geschichte, dessen Rückblick milde ausfällt und der es heute | |
„merkwürdig“ findet, nicht mit Honecker reden zu dürfen, kann allenfalls | |
Anekdoten erzählen. | |
Honeckers Essgewohnheiten beschreibt er so: „Die Speisen hatten drei | |
Bedingungen zu erfüllen: Sie mussten einfach sein, sie mussten heiß sein, | |
und sie mussten vertraut, also irgendwie deutsch sein.“ Die von Honecker | |
bevorzugten Getränke erstaunten ihn bisweilen. „Im Urlaub und auch sonst | |
trank der Chef DAB aus der Büchse.“ Nur mit Gästen oder bei offiziellen | |
Anlässen habe Honecker Radeberger getrunken. „Was er an dem Billigbier aus | |
Dortmund mochte, wussten die Götter.“ Auch Honeckers Vorliebe für | |
Instant-Nescafé konnte er nicht nachvollziehen. „Auch dies eines der großen | |
Welträtsel, warum Honecker auf löslichen Kaffee so abfuhr.“ | |
## Waffe im Zug vergessen | |
„Honecker privat“ beschreibt in großen Teilen den bekannten privilegierten | |
Alltag der Genossen in Wandlitz und ist bisweilen unfreiwillig komisch. So | |
heißt es in einer Unterzeile zu einem Foto, auf dem Herzog Honecker auf dem | |
VIII. Parteitag Wasser einschenkt: „Der Kellner und sein Chef: Lothar | |
Herzog reicht ihm das Wasser.“ Oder die Geschichte mit der Pistole, die | |
Herzog beim Servieren tragen musste, ein tschechisches Modell, Kaliber 6,35 | |
Millimeter, als „Pistölchen“ verspottet. | |
„Ehe ich den Teller fallengelassen und sie aus dem Taschentuch gewickelt | |
hätte, wäre ich schon längst mausetot. Und Honecker gewiss auch.“ Auf einer | |
Reise im Regierungszug legte er sie in den Kühlschrank und vergaß sie beim | |
Aussteigen. Herzog wurde weder gemaßregelt noch degradiert. Er konnte die | |
Waffe einfach abgeben. | |
Ein einziges Mal hat Herzog das Wort an den Staatsratsvorsitzenden | |
gerichtet. Es ging um den Cockerspaniel „Flex“, den er für den von ihm | |
vergötterten Enkelsohn angeschafft hatte. Der Hund war so verzogen, dass | |
Herzog begann, „das Vieh zu hassen“. Während eines Essens 1984 bat er | |
„höflich, aber doch sehr bestimmt“, dass man den Hund während des Essens | |
aus dem Zimmer verbannen möge. Während Honecker der Bitte nachkommen | |
wollte, fing der Enkelsohn zu toben an, und Honecker „knickte ein“. Am | |
nächsten Tag erfuhr Herzog von seinem Vorgesetzten, dass seine Tätigkeit im | |
Hause Honecker zu Ende sei. Ohne ein Wort des Dankes oder der Anerkennung | |
wurde er in den Rückwärtigen Dienst versetzt. | |
Erst einige Zeit später erfuhr er den Hintergrund. Seine Tochter und deren | |
Freundinnen hatten junge Männer „von drüben“ kennengelernt, die sie von | |
Herzogs Telefonanschluss aus in Westberlin angerufen hatten. Ende Dezember | |
1989 schied er aus dem Dienst des MfS aus und arbeitete als normaler | |
Kellner, erst im Palast der Republik, später, bis zur Rente 2005, im | |
Internationalen Congress Centrum im Westteil der Stadt. Am 25. August wäre | |
Honecker 100 Jahre alt geworden. Am selben Tag feiert Herzog seinen 45. | |
Hochzeitstag. | |
Lothar Herzog: „Honecker privat. Ein Personenschützer berichtet“. Das Neue | |
Berlin 2012, 192 Seiten, 12,95 Euro | |
8 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bollwahn | |
Barbara Bollwahn | |
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