# taz.de -- Londons Skater kämpfen um Southbank: Heiliger Beton | |
> An der Themse befindet sich der älteste noch existierende | |
> Skateboarder-Spot der Welt. Doch die Undercroft soll weg. Eine Kampagne | |
> will das verhindern. | |
Bild: „Skateboarding lehrt dich, deine Grenzen zu erkennen und wie du sie St�… | |
LONDON taz | Die Undercroft ist das Wembley der Skateboarder. Ihr Name, zu | |
Deutsch Krypta, verweist auf die quasireligiöse Verehrung des Ortes wie | |
auch auf seine Lage unter der Terrasse des Southbank Centre – ein Komplex | |
aus Konzertsälen und Galerieräumen an Londons südlichem Themseufer. | |
Zwischen klobigen Stützpfeilern haben schon mehrere Generationen von | |
Rollbrettfahrern Ollies, Flips, Grabs, Slides und Grinds geübt. | |
Gleich nachdem 1973 die Skateboardingwelle aus den USA herübergeschwappt | |
war, entdeckten die ersten Londoner, dass die Architekten des in den 60er | |
Jahren errichteten Southbank Centre im zum Fluss hin offenen Parterre eine | |
ideale Spielwiese für den neuen Sport geschaffen hatten, bestehend aus | |
ebenen Flächen, zahlreichen Schrägen, Treppen, Geländern, Vorsprüngen und | |
Bänken. Ein Paradies aus Beton. | |
Die Skateboarder machten die Undercroft zu ihrer Homebase. In einem Land, | |
in dem es gefühlte 365 Tage regnet, hatte sie gegenüber anderen skatebaren | |
Orten den Vorteil einer Überdachung. Und sie lag zentral: Dorthin kamen | |
bald nicht nur die Rollbrettfahrer der ganzen Stadt, sondern Skater von | |
überall her aus dem Königreich. Im Laufe der Jahre komplettierten | |
Graffitisprayer, BMX-Fahrer sowie Breakdancer die Undercroft zum Hort | |
urbaner Straßenkultur. | |
Jetzt droht dieser Kultur die Vertreibung, denn in die Undercroft sollen | |
Restaurants und Läden ziehen. So sehen es Pläne für einen Umbau des | |
Southbank Centre vor, das sein pädagogisches und soziokulturelles Angebot | |
erweitern möchte. Und das benötigt mehr Raum, aber auch mehr Geld. Vom | |
Staat ist da nichts zu erwarten, deshalb setzt das Management auf | |
Mieteinnahmen durch neue Gewerbeflächen – ebendort, wo heute noch der Sound | |
der Rollen von den Wänden widerhallt. | |
Nachdem die Umbaupläne im März öffentlich wurden, riefen die Skateboarder | |
die [1][„Long Live Southbank“]-Kampagne ins Leben, um ihren | |
geschichtsträchtigen Treffpunkt zu retten. Denn mittlerweile gilt er als | |
die weltweit älteste noch existierende Skater-Location ihrer Art. Täglich | |
sitzen seitdem AktivistInnen an einem Infotisch vor der Undercroft, auf dem | |
Unterstützerlisten ausliegen. Sie verteilen Flyer und Aufkleber. Die | |
Kampagne finanziert sich durch Spenden und den Verkauf von T-Shirts und | |
Mützen mit dem „Long Live Southbank“-Logo. | |
## Über 65.000 Unterschriften | |
Henry Edwards-Wood ist Sprecher der Kampagne und in der Undercroft | |
praktisch aufgewachsen. Um die Jahrtausendwende kam er das erste Mal ans | |
Themseufer, nachdem er in Lewisham im Südosten Londons oft alleine auf | |
Parkplätzen und Schulhöfen seine Runden gedreht hatte. Zwölf oder 13 war er | |
da. „Ich fand Zuflucht in der Undercroft. Denn dort waren noch andere, die | |
nicht tun wollten, was man ihnen sagte. Die aber auch nicht randalieren | |
oder kriminell sein wollten.“ | |
Ohne Pathos zu scheuen, beschreibt Henry die Undercroft als alternative, | |
inkludierende Bildungsstätte, wo das Ausprobieren von Tricks auf dem Brett | |
schon immer das gleiche Gewicht hatte wie der respektvolle und fürsorgliche | |
Umgang miteinander. „Die Skater waren für mich wie eine Familie.“ Jetzt ist | |
Henry Mitte 20, Videoregisseur und produziert – Skateboardclips. | |
Er und seine MitstreiterInnen haben bisher mehr als [2][65.000 | |
Unterschriften] sammeln können. Sie reichten Anfang Juli 14.000 | |
individuelle Einsprüche gegen das Bauvorhaben beim zuständigen Londoner | |
Bezirk Lambeth ein. Damit schafften sie es, dass das Southbank Centre das | |
[3][Genehmigungsverfahren] vorübergehend stoppen ließ. Dabei waren immerhin | |
schon rund fünf Millionen Pfund für die [4][Entwürfe der Architekturfirma | |
Fielden Clegg Bradley] ausgegeben worden. „Da flossen teilweise | |
Steuergelder für einen mit Makeln behafteten Auftrag, dem keinerlei | |
Bürgerbeteiligung vorausging“, ärgert sich Henry im Gespräch mit der taz. | |
Das Southbank Centre versucht nun mit einer PR-Offensive für sein | |
Umbauvorhaben zu werben. In einer Art [5][Selbstverpflichtung] erklärt sein | |
Management, das Skateboarding am südlichen Themseufer dauerhaft | |
gewährleisten zu wollen. Dabei hatte es nicht immer ein Herz für den Sport. | |
Mitte der 80er Jahre wollte es die Skater schon mal loswerden – auf die | |
rabiate Art. | |
Abends ließ es das Licht in der Undercroft ausschalten, Wachmänner sollten | |
den Skatern den Zugang versperren. Und der Beton wurde mit Kieseln | |
bestreut. Als die Rollbrettfahrer wegblieben, kamen Obdachlose, Junkies und | |
Dealer. Das schreckte Konzert- und Ausstellungsbesucher ab, weshalb man die | |
Skater wieder gewähren ließ. Mitte der nuller Jahre schrumpfte die | |
befahrbare Fläche der Undercroft dann durch den Einbau erster Restaurants | |
und Läden auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe. | |
## Urbane Simulation | |
Als Alternative zur Undercroft soll nun für eine Million Pfund unter der | |
nahen Hungerford Bridge ein nagelneuer, viel größerer Skatepark | |
eingerichtet werden. Doch das lehnen viele Skater ab. „Früher bestanden | |
Skateparks aus Wellen und Halfpipes. Heute sind sie Imitate des | |
Straßenraums – akzeptabel für Mittelklassemütter, die ihre Kinder sicher | |
bewahrt wissen wollen“, spottet Henry. | |
Die „Long Live Southbank“-Kampagne will sich die Undercroft nicht durch | |
eine urbane Simulation ersetzen lassen. Ihr Motto ist: Schutz statt | |
Umsiedlung. Gerne verweisen die Skater auf einen erst vor sieben Jahren | |
nahe der Tower Bridge installierten Skatepark, der unbefahren, weil | |
ungeliebt, vor sich hin rottet. | |
„Skateboarding lehrt dich, deine Grenzen zu erkennen und wie du sie Stück | |
für Stück verrücken kannst“, erklärt Henry. „Klar kannst du deine Tricks | |
auch in Skateparks vollführen, aber dort wirst du zu einem Roboter. Auf der | |
Straße ist das anders. Der Grund hat Risse.“ Die Sprache ihrer Tricks, | |
sagen die Skater, sei es, städtische Texturen in etwas von ihrem | |
ursprünglichen Zweck Entferntes zu verwandeln. Wie keine andere Location | |
verkörpere die Undercroft die Essenz ihres Sports: die organische | |
Selbstaneignung vorgefundener Orte. | |
Während sich [6][prominente Profiskateboarder] mit der „Long Live | |
Southbank“-Kampagne solidarisieren, hat sich Designer und | |
Ex-Southbank-Skater Richard Holland für den geplanten Skatepark | |
starkgemacht und das Southbank Centre im Gestaltungswettbewerb beraten, den | |
ein auf solche Anlagen spezialisiertes [7][dänisches Architekturbüro] | |
gewinnen konnte.. „Während meiner 27 Jahre als Skateboarder hat sich die | |
Szene dramatisch verändert. Viele meiner Freunde arbeiten nun in dieser | |
Milliardenindustrie, zu der sie geworden ist“, sagte Holland der | |
[8][Tageszeitung] [9][The Guardian]. Die Undercroft sei dagegen immer | |
kleiner und weniger skatebar geworden. „Sie ist nur noch ein Schatten ihrer | |
selbst.“ | |
Das lässt sich auch als Vorwurf an die AktivistInnen der „Long Live | |
Southbank“-Kampagne lesen, sie seien Nostalgiker, deren Wunsch nach | |
Konservierung der Undercroft kaum noch etwas mit dem von ihnen selbst | |
bemühten, rebellischen Street-Skateboarding-Ethos zu tun habe. | |
## Bleiben kostet 17 Millionen Pfund | |
Die Kampagne hat versucht, die Undercroft als Village Green schützen zu | |
lassen. Einem entsprechenden Antrag erteilte der Bezirk aber eine Absage, | |
die derzeit vor Gericht angefochten wird. Zudem hoffen die AktivistInnen | |
darauf, dass der Entwurf der Planer bei den Behörden nicht durchkommt, weil | |
auch Southbank-Nachbarn wie das National Theatre oder das British Film | |
Institute Einspruch erhoben haben. Diese fürchten Betriebseinschränkungen | |
durch den Umbau. | |
Ende September schlug das Southbank Centre den Skatern überraschend vor, | |
sie könnten in der Undercroft bleiben, wenn sie innerhalb von sechs Monaten | |
17 Millionen Pfund aufbringen würden, sie müssten aber eine dreijährige | |
Schließung während der Umbauarbeiten hinnehmen. „Jetzt sollen wir in | |
kürzester Zeit ihre Finanzierungslücke füllen“, empört sich Henry. Auf | |
welchen Berechnungen diese Summe beruhe, sei völlig intransparent. Die | |
AktivistInnen hätten keine Einsicht in die Planungsunterlagen erhalten. | |
„Denen geht es doch nur darum, so viel Profit wie möglich aus der Gegend | |
herauszuholen“, meint Henry. Der in den vergangenen Monaten lauter | |
gewordenen Kritik an der Privatisierung öffentlicher Räume und den | |
Verdrängungsprozessen in ihrer Stadt folgend, beklagt er die | |
Gentrifizierung des südlichen Themseufers. | |
Tatsächlich erfährt es seit rund 15 Jahren eine massive Aufwertung als | |
touristischer Anziehungspunkt – davon zeugt das London-Eye-Riesenrad | |
genauso wie die Konversion des alten Bankside-Kraftwerks zur Tate Modern. | |
Weitere Großprojekte sollen folgen. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist | |
die Southbank Employers Group, ein Interessenverband aus Anrainern, zu dem | |
neben dem Kulturzentrum auch der Shell-Konzern gehört, ein wichtiger | |
Sponsor des Southbank Centre. | |
## Fenster zur Subkultur | |
Allein die Undercroft vermag dem Kommerz noch zu trotzen, meint Henry – | |
obwohl die Skater längst selbst zur Publikumsattraktion geworden sind. „Wir | |
öffnen den Leuten ein Fenster zu einer Subkultur, in der man zusammen mit | |
anderen und praktisch ohne Geld die Stadt nach eigenem Sinn umgestalten | |
kann.“ | |
Mit dem Verlust ihres letzten großen Habitats würden auch die Skateboarder | |
aus den Straßen Londons verschwinden, prophezeit er. „In zehn oder 15 | |
Jahren gibt es womöglich nur noch Skateparks. Street-Skateboarding ist dann | |
komplett ausgestorben, weil es sowieso überall Skatestopper gibt.“ | |
Die City of London, der Finanzdistrikt der Metropole, hat längst eine | |
Regelung erlassen, die das Rollbrettfahren dort vollständig verbietet. „Das | |
Image der Skateboarder ist Mainstream geworden, aber indem man sie in Parks | |
drängt, nimmt man ihnen das Element ihres Ausdrucks.“ | |
6 Dec 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.llsb.com/ | |
[2] http://www.change.org/en-GB/petitions/lambeth-council-southbank-centre-bori… | |
[3] http://www.lambeth.gov.uk/Services/HousingPlanning/Planning/SouthbankCentre… | |
[4] http://www.fcbstudios.com/projects.asp?s=2&ss=&proj=1679 | |
[5] http://www.thefestivalwing.co.uk/news-events/southbank-centre-makes-legal-g… | |
[6] http://kingpin.mpora.com/blog/tony-hawk-supporting-the-long-live-southbank-… | |
[7] http://www.bdonline.co.uk/sne-architects-submits-plans-for-alternative-sout… | |
[8] http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/sep/15/skateboard-south-bank-… | |
[9] http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/sep/15/skateboard-south-bank-… | |
## AUTOREN | |
Oliver Pohlisch | |
## TAGS | |
London | |
London | |
Las Vegas | |
Afghanistan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sozialer Wohnungsbau in London: Streit um Broadwater Farm | |
In Tottenham droht der Abriss von Siedlungen aus den 60er-Jahren. Sie | |
gelten als soziale Brennpunkte. Die Einwohner fürchten Verdrängung. | |
Berliner Breakdance-Crew Flying Steps: Tanz nach oben | |
B-Boying im Bundestag: Wie eine Berliner Breakdance-Crew sich in ein | |
internationales, erfolgreiches Unternehmen verwandelt hat. | |
Skaten in Afghanistan: Helfer mit Brett | |
Ein Australier hat eine Skateboardschule in Kabul aufgebaut, um Jugendliche | |
auszubilden. Jetzt ziehen die Truppen ab. Seine Organisation macht weiter. | |
DDR-Skaterfilm „This ain't California“: Denis gab es überall | |
Der Film „This ain't California“ von Marten Persiel will eine | |
„dokumentarische Erzählung“ über Skater in der DDR sein. In Wirklichkeit | |
wurde viel nostalgisch nachgestellt. | |
Kleine Geschichte der BMX-Subkultur: Es war einmal in Amerika | |
Motocross war groß, vielen Jugendlichen fehlte aber das Geld. Sie bauten | |
ihre Fahrräder um und messen sich heute weltweit in Stilen wie Vert, Park, | |
Dirt oder Flatland. | |
Skateboard-Legende wird Unidozent: Titus, die Rampenlichtgestalt | |
Titus Dittmann ist das Aushängeschild einer Szene, die keine | |
Aushängeschilder mag. Jetzt bringt er Skateboarden an die Hochschule. |