| # taz.de -- Skaten in Afghanistan: Helfer mit Brett | |
| > Ein Australier hat eine Skateboardschule in Kabul aufgebaut, um | |
| > Jugendliche auszubilden. Jetzt ziehen die Truppen ab. Seine Organisation | |
| > macht weiter. | |
| Bild: Skateistan-Skatepark in Kabul: Dem Gründer ging es von Anfang an darum, … | |
| Die Soldaten verschwinden jetzt nach und nach aus Afghanistan, aber die | |
| Skateboarder bleiben. Oliver Percovich hofft, dass sich für sie nicht allzu | |
| viel ändern wird. Seine Skateschule für afghanische Kinder, geleitet von | |
| Afghaninnen und Afghanen, sie kommt ihm nicht wie ein Anschlagsziel vor. | |
| Trotzdem, man kann es nicht wissen. „Afghanistan ist kein sicheres Land und | |
| wird nach dem Abzug der Isaf wahrscheinlich auch nicht sicherer werden“, | |
| sagt Percovich, 38 Jahre alt, ein zurückhaltender Typ mit dunklem Cap. | |
| Die Lage bleibt schwer durchschaubar. Die Schutztruppen haben keinen | |
| Frieden gebracht. Ende 2014 endet der Isaf-Einsatz offiziell. Wie viel | |
| Sorgen müssen sich die Entwicklungshelfer mit den Skateboards dann machen? | |
| 2008 hat Oliver Percovich in Kabul seine Organisation gegründet: | |
| Skateistan. Er hat schnell angefangen, sehr weit in die Zukunft zu denken. | |
| „Als ich merkte, dass unser Projekt funktionieren könnte, habe ich es für | |
| mindestens zehn Jahre angelegt“, sagt Percovich. Er wollte verhindern, dass | |
| es ihnen geht wie anderen Hilfsprojekten. Wenn von außen kein Geld mehr | |
| kommt, ist oft Schluss. Nicht selten gibt es Geld nur für einige Monate. | |
| ## Drei Skateboards im Gepäck | |
| Im Winter 2007 landet Oliver Percovich mit drei Skateboards im Gepäck in | |
| Kabul. Er ist da 33, hat als Sozialarbeiter mit straffälligen Aborigines | |
| gearbeitet oder als Katastrophenschutzforscher. Er reiste um die Welt. | |
| Jetzt fährt er mit seinem Brett durch die afghanische Hauptstadt. | |
| Die Kinder schauen staunend zu. In einem stillgelegten Brunnen im Stadtteil | |
| Mekroyan fängt er 2008 an, ihnen das Skaten beizubringen. Mit der Zeit | |
| trauen sich auch Mädchen. Eigentlich dürfen sie in dem Land keinen Sport | |
| machen. Nicht Fahrrad fahren, nicht über Zäune klettern. Skateboarden wirkt | |
| auf Afghanen eher wie ein Spiel, nicht wie Sport. Das dürfen sie auch. | |
| „Trotzdem musste ich den Jungs beibringen, dass sie Mädchen nicht vom Brett | |
| stoßen dürfen. Dass Mädchen das gleiche Recht haben, am gleichen Ort | |
| dasselbe zu tun“, erinnert sich Percovich. Manche Männer brüllen, wenn sie | |
| Mädchen auf Skateboards sehen oder werfen Steine. | |
| ## Mehr als 40 Prozent unter 15 | |
| Percovich merkt, wie viel er mit den Skateboards bewegen kann. Er erreicht | |
| die Kinder direkt. Die wenigsten Hilfsprojekte kümmerten sich um sie, | |
| beklagt er, obwohl Hunderte Millionen für Entwicklungshilfe ausgegeben | |
| würden. Und Kinder seien doch die Zukunft des Landes. | |
| Mehr als vierzig Prozent der afghanischen Bevölkerung sind laut Auswärtigem | |
| Amt jünger als fünfzehn. In Kabul arbeiten Zehntausende Kinder auf der | |
| Straße, um ihre Familie zu ernähren. Zur Schule können sie nicht gehen. | |
| Ihre Väter sind im Krieg gefallen, verkrüppelt; viele sind von Opium | |
| abhängig und arbeiten nicht. Die Kinder waschen Autos, verkaufen | |
| Plastiktüten, Kaugummis, erbetteln wenige Euro am Tag. Wenn sie neben der | |
| Arbeit etwas Zeit haben, kommen sie zu Percovich zum Skaten. Sie finden in | |
| dem ausgetrockneten Brunnen in Mekroyan ein bisschen Kindheit wieder. | |
| Fünf Jahre später. Es riecht nach Mittagessen im Berliner Headquarter von | |
| Skateistan. Die Wände sind übersät mit gelben Klebezetteln, Projekte in | |
| aller Welt. Drei junge Leute sitzen vor ihren Computern. Oliver Percovich | |
| kommt mit zwei Tüten Milch vom Einkaufen zurück. Er ist zufrieden. Morgen | |
| fliegt er nach Kambodscha, wo in Phnom Penh gerade ein neues Skate-Projekt | |
| entsteht. Skateistan ist ein globales Netzwerk geworden. | |
| ## Wichtigste NGOs weltweit | |
| Im Januar 2013 wurde die Skateschule vom Genfer Global Journal auf Platz 86 | |
| der hundert wichtigsten Nichtregierungsorganisationen weltweit gewählt. | |
| Skateistan funktioniert. Und wächst: Auch in Pakistan plant der Australier | |
| ein Projekt. | |
| „Es kommt vor allem darauf an, die Einheimischen das Projekt gestalten zu | |
| lassen“, sagt er. Das mache es auch sicherer. Nur deshalb funktioniere | |
| Skateistan, sagt Percovich. Dahinter steht eine etwas ernüchternde | |
| Einsicht: „Kein Ausländer kann wirklich etwas bewirken in diesem Land.“ | |
| 2008 überbieten sich die Botschaften in Kabul gegenseitig: Der Australier | |
| bekommt Fördergelder von der kanadischen, norwegischen, der deutschen und | |
| der dänischen Botschaft. Mit dem Startkapital und vielen Helfern baut | |
| Percovich auf dem Gelände des afghanischen olympischen Komitees eine | |
| riesige Skatehalle, 1.750 Quadratmeter. | |
| Dazu gehören Klassenräume, in denen jede Woche etwa 350 Kinder unterrichtet | |
| werden. Skateboarding sei mehr ein „Lockmittel“, sagt Percovich. Sie sollen | |
| vor allem eine Ausbildung bekommen. Das Geld stammt aus Spenden, von der | |
| Skate-Industrie, von Fundraising-Projekte im Internet und aus den Verkäufen | |
| eines Skateistan-Buches. | |
| Vor dem Skaten gehen die Kinder in die Klassenräume: Unterrichtet werden | |
| Dari, eine der 49 Landessprachen, und Englisch. Afghanische Kultur, | |
| Umweltschutz, Holzschnitzen. Die Schülerinnen basteln Fantasiefiguren aus | |
| altem Schrott. In Workshops lernen sie mit Computern umzugehen und wie sie | |
| sich per Skype mit Kindern vom Skateistan-Projekt in Kambodscha unterhalten | |
| können. All das in sicherer Umgebung zu tun, ist für sie nicht | |
| selbstverständlich. | |
| ## „Nur Tag für Tag“ | |
| Bei einem Bombenanschlag im September 2012 werden vier Kinder, die auch | |
| regelmäßig zu Skateistan kamen, getötet. Sie hatten auf der Straße in der | |
| Nähe des Isaf-Hauptquartiers gearbeitet, als der Selbstmordattentäter sie | |
| mit in den Tod riss. Er war nicht viel älter als sie. | |
| Kinder, die auf der Straße arbeiten, werden von Skateistan im „Back to | |
| School“-Programm betreut. Gelehrt wird auch Mathematik und islamische | |
| Religion. Um sie gezielt darauf vorzubereiten, wieder eine öffentliche | |
| Schule zu besuchen. | |
| Vierzig Prozent der Schüler sind Mädchen. Damit ist Skateistan die größte | |
| Sportvereinigung für Mädchen in Afghanistan. Es habe sie selbstbewusst | |
| gemacht, sagt die 23 Jahre alte Studentin Benafsha Tasmim. „Das ist | |
| ungewöhnlich für Mädchen in Afghanistan.“ Tasmim hat bei Skateistan | |
| mitgearbeitet, bevor sie begann, Psychologie zu studieren. Percovich wollte | |
| von Anfang an gezielt Mädchen fördern. | |
| Er muss jetzt sehen, was sich nach dem Truppenabzug ändern wird. Eine | |
| genaue Prognose wagt er nicht: „Du kannst nur Tag für Tag gucken, wie sich | |
| die Dinge entwickeln.“ | |
| 9 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Oellig | |
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