# taz.de -- Skateboard-Legende wird Unidozent : Titus, die Rampenlichtgestalt | |
> Titus Dittmann ist das Aushängeschild einer Szene, die keine | |
> Aushängeschilder mag. Jetzt bringt er Skateboarden an die Hochschule. | |
Bild: Gehört noch nicht zum alten Eisen: Mit 62 wird Titus Dozent für Skatebo… | |
MÜNSTER/HAMBURG taz | Ein 66er Ford Mustang, schwarz mit weißen | |
Rennstreifen, fährt auf den Parkplatz des Skaters Palace, einer | |
Skateboardhalle in Münster. Hinter dem Steuer sitzt Eberhard Dittmann. Ihm | |
gehört diese Skatehalle, sie ist aber nur ein kleiner Teil in seinem | |
Familienbetrieb, der seit drei Jahrzehnten das deutsche Skateboardgeschäft | |
bestimmt. | |
Die Presse nennt Dittmann "Vater des Deutschen Skateboarding", manchmal | |
auch den "Skateboardpapst". Wie ihn sonst jeder nennt, steht in roter | |
Graffitischrift auf der Motorhaube seines Sportwagens: "Titus." | |
Von Weitem sieht man ihm nicht an, dass er schon 62 Jahre alt ist. Er trägt | |
blaue Skatesneaker, ein bunt kariertes Hemd hängt offen über seinem | |
T-Shirt. Nur wenn man näher kommt, kann man an den Falten im Gesicht | |
erahnen, dass er die blaue Mütze nicht nur aus modischen Gründen trägt. | |
Seine Haare sind in den letzten Jahren immer lichter geworden. | |
Ein Lehrauftrag, den Titus in diesem Wintersemester für die Uni Münster | |
übernommen hat, führt ihn heute zum Skaters Palace. Er unterrichtet | |
angehende Sportlehrer im Skateboarding, damit die es irgendwann mal ihren | |
Schülern beibringen können. "Wir sind Pioniere für ganz Europa", sagt | |
Titus, der gern in Superlativen spricht. Seines Wissens habe noch niemand | |
zuvor an einer Hochschule Skateboarden gelehrt. | |
Die meisten Menschen kennen Titus wegen des gleichnamigen Katalogs, aus dem | |
fast alle deutschen Skateboarder schon mal etwas bestellt haben dürften. | |
Die 24/7-Distribution, die Produkte angesagter Skateboardfirmen in | |
Deutschland vertreibt, gehört auch zum Familienunternehmen. Den | |
Titus-Schriftzug hat sich Dittmann nicht nur auf die Motorhaube seines | |
Mustangs schreiben lassen, er prangt auch über 43 Skateshops, die sich auf | |
deutsche Fußgängerzonen von Rosenheim bis Hamburg verteilen. | |
"Heute bin ich einer von vielen", sagt Titus. Es gab Zeiten, da hielt er | |
einen Marktanteil von 95 Prozent am deutschen Skateboardgeschäft. Ende der | |
Siebziger Jahre sah er zum ersten Mal einen Skateboarder. Damals war er 29 | |
Jahre alt und Lehrer an einem Gymnasium in Westfalen. Bald schmuggelte er | |
für seine Schüler Skateboards aus Kalifornien am Zoll vorbei, ein paar | |
Jahre später kontrollierte er den deutschen Markt. | |
## Titus gilt vielen als der Inbegriff des Kommerzes | |
Kommerz ist im Skateboarding wie in jeder Jugendkultur ein Reizwort. Und in | |
der Skateboardszene gilt Titus vielen als der Inbegriff des Kommerzes. Vor | |
ein paar Jahren bildete sich in Düsseldorf und Umgebung ein loser | |
Zusammenschluss von Skateboardern, die sich in Anspielung auf Titus und | |
ihren eigenen Alkoholkonsum "Team Intus" nennen. "Wenn man in uns das | |
Gegenteil von Titus sieht, macht uns das stolz", sagt Lennart Efsing von | |
der Intus-Crew. Titus sei für ihn eine Geschichte wie Karstadt. In vielen | |
Städten machten dessen Läden den Skateshops das Leben schwer, die aus der | |
lokalen Szenen entstanden sind. "Das ist so, als ob ich ein kleines Café | |
hätte und daneben macht ein Starbucks auf." | |
"Titus hat ein schlechtes Image unter Skatern", sagt Arne Fiehl. Bis zur | |
Einstellung 2009 war er neun Jahre Chefredakteur des deutschlandweit | |
erscheinenden Magazins Boardstein und kennt daher fast jeden persönlich, | |
der in der deutschen Skateboardszene eine Rolle spielt. "Es ist garantiert | |
ein Eigentor, dass Titus überall seinen Namen draufschreibt", sagt er. | |
"Titus House Brand, Team Titus, Titus TV und so weiter." | |
Die Welt der Nicht-Skateboarder dagegen hat Titus schon einige Titel | |
verliehen. 2001 etwa kürte ihn die Unternehmensberatung Ernst & Young | |
zusammen mit dem Manager-Magazin zum Handels-Entrepreneur des Jahres, | |
Jürgen Rüttgers verlieh ihm 2009 den Verdienstorden des Landes | |
Nordrhein-Westfalen. Man kann diese Auszeichnungen alle auf der Rückseite | |
von Titus' Visitenkarte nachlesen. Er sagt, er lege seine Karte immer "aus | |
Versehen" falsch herum, weil man in unserer Gesellschaft mit Titeln ernster | |
genommen würde. Titus Geltungsdrang führte die selbsternannte "Rampensau" | |
2006 auch in die RTL2-Reality-Sendung "Das Experiment". | |
Dreißig Tage lang kehrte er in den Lehrerberuf zurück und versuchte, eine | |
renitente Hauptschulklasse zu unterrichten. Trotz betont jugendlicher | |
Skateboardklamotten schienen ihm die Schüler allerdings nur wenig | |
zuzuhören. Titus nennt die Aktion heute einen "PR-Gau". | |
Auch auf dem Höhepunkt seines wirtschaftlichen Erfolgs kam Titus sein | |
großes Ego in die Quere. Im Jahr 2002 beschäftigte er 500 Mitarbeiter, sein | |
Unternehmen erwirtschaftete einen Jahresumsatz von 75 Millionen Euro. Doch | |
als zwei damalige Partner beschlossen, an die Börse zu gehen, wollte Titus | |
dort auch unbedingt hin. Die Marktlage ließ das aber nicht zu, und die | |
Investoren, die Titus für den Börsengang an Bord geholt hatte, drängten ihn | |
aus dem operativen Geschäft. Als es dem Unternehmen immer schlechter ging, | |
nahm Titus das ganze Familienvermögen in die Hand und kaufte das Geschäft | |
zurück. 2007 schrieb es erstmals wieder schwarze Zahlen. | |
## Titus will eine Partnerschaft mit der afghanischen Uni Herat aufbauen | |
Das operative Geschäft hat Titus dann schließlich seinem Sohn und | |
Stammhalter übergeben - Julius. Heute kümmert sich der Senior | |
ausschließlich um die Arbeit seiner Stiftung skate-aid, die Skateparks in | |
Afghanistan und Afrika baut. Titus spricht begeistert von den Projekten, | |
davon, dass man damit Frieden stiften könne, weil unter Skateboardern weder | |
Religion noch Hautfarbe zähle. Er selbst war mittlerweile fünf Mal in | |
Afghanistan. Den Lehrauftrag an der Uni Münster, erzählt Titus, habe er | |
angenommen, um als Teil der Universität eine Partnerschaft mit der | |
afghanischen Uni Herat aufbauen zu können. | |
Auch wenn es nur Mittel zum Zweck ist, muss Titus nun zunächst versuchen, | |
aus Lehramtsstudenten, die mit Anfang, Mitte zwanzig schon recht alt sind | |
für den ersten Tag auf dem Brett, passable Skateboarder zu machen. Bevor | |
Anschieben, Rollen und Lenken geübt werden, erzählt Titus im theoretischen | |
Unterricht, wie sich einst kalifornische Surfer die Zeit an wellenarmen | |
Tagen vertrieben, indem sie Rollschuhrollen unter Holzbretter schraubten | |
und wie sie später trockengelegte Swimmingpools eroberten. | |
Damals war Skateboarden noch mit einem Charme von Rebellentum behaftet. In | |
den heutigen Tagen, in denen "Skater" zu einem Kleidungsstil geworden ist | |
und auch gut gekleidete Großstädter mit dem Longboard zum Bäcker rollen, | |
ist Skateboarding im Mainstream angekommen. | |
Nicht wenige in der Szene vermissen das Skate-and-Destroy-Feeling | |
vergangener Jahrzehnte. Ex-Boardstein-Chefredakteur Arne Fiehl ist so | |
einer. Die Haut des 36-Jährigen ist mit Tätowierungen gepflastert, an den | |
Wänden seines WG-Zimmers hängen Bretter verschiedener Epochen. Er ist ein | |
typischer Vertreter einer Szene, die sich seit Urzeiten streitet, ob | |
Skateboarden überhaupt ein Sport ist oder doch eher ein Lifestyle. | |
Es gibt keine Landesverbände. Der Puls der Szene schlägt auf der Straße. | |
Skateboarden ist nicht nur deshalb nicht olympisch, weil viele | |
Top-Skateboarder auch ohne leistungssteigernde Absicht den Dopingtest nicht | |
bestehen würden, sondern auch weil Titel und Ränge im Skateboarding noch | |
nie viel gezählt haben. Stattdessen fordern Firmen mit Totenkopflogos "Keep | |
Skateboarding Illegal". | |
Kein Wunder also, dass sich viele in der Szene nicht mit dem Gedanken | |
anfreunden können, dass Titus jetzt Unterricht im Skateboarden gibt. "Stell | |
dir vor, Kinder würden vor dem Schulsport denken: ,Oh nein, heute müssen | |
wir wieder Skateboard fahren!' Das wäre das Schlimmste, was Skateboarding | |
passieren könnte", sagt Arne Fiehl. | |
Doch schon lange bevor Titus das Skateboarden an die Uni brachte, | |
reagierten alteingesessene Hardcore-Skateboarder sehr konservativ auf neue | |
Entwicklungen. Seit Jahren erzählt man sich in Skateparks einen Witz: Wie | |
viele Skateboarder braucht man heute, um eine Glühbirne einzuschrauben? | |
Drei. Einen, der sie einschraubt, einen, der ihn dabei filmt und einen, der | |
die Szene fotografiert. Und wie viele Old-School-Skateboarder braucht man, | |
um eine Glühbirne einzuschrauben? Auch drei. Einen, der sie einschraubt, | |
und zwei, die sich gegenseitig darin bestätigen, dass die alte Birne viel | |
schöner war. | |
8 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Fischer | |
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