| # taz.de -- Kommentar Stuttgart als grüne Zukunft: Kein Exportschlager aus BaW… | |
| > Fritz Kuhn und Winfried Kretschmann haben mit altmodischen und | |
| > wirtschaftsnahen Positionen gewonnen. Sie stehen nicht für die soziale | |
| > Mehrheit der Grünen. | |
| Bild: Die beiden Grünen, die als Avantgarde bejubelt werden, vertreten erstaun… | |
| Nein, Stuttgart ist nicht die grüne Zukunft. Niemand wird bestreiten, dass | |
| Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn in Baden-Württemberg und der | |
| Landeshauptstadt grandiose Erfolge errungen haben. Doch weder ist ihr | |
| politisches Angebot an die Gesellschaft ein kluges Modell für die ganze | |
| Republik, noch ist es geeignet, als Zukunftsentwurf für die grüne Partei zu | |
| dienen. | |
| Der wichtigste Grund dafür ist ein sehr schlichter: Baden-Württemberg ist | |
| nicht Deutschland. Auch wenn das Klischee vom Musterländle überstrapaziert | |
| wurde, so ist doch nicht zu übersehen, wie glänzend das Bundesland im | |
| Vergleich zu anderen da steht. Eine Wirtschaft, die mit Exporten Milliarden | |
| verdient. Kommunen, die vor Geld nicht wissen, welchen Kreisverkehr sie | |
| noch ausbauen sollen. Eine Arbeitslosenquote, die diesen Namen nicht | |
| verdient. In Baden-Württemberg sind ernsthafte soziale Verwerfungen | |
| weitgehend unbekannt. | |
| Die regionalen Grünen können sich deshalb, unbehelligt von schmerzhaften | |
| Verteilungskämpfen, voll auf die Erneuerung einer gut gestellten | |
| Gesellschaft konzentrieren. Und auf das, was in der gutbürgerlichen Mitte | |
| Mehrheiten sichert: Sie versprechen, den Daimler – und damit die | |
| Arbeitsplätze – zu hegen, wenn er ein paar Elektroautos baut. Und bieten | |
| ansonsten, etwa in der Stadt-, Ökologie- oder Energiepolitik, moderat | |
| progressive Positionen an, die keinem Gutverdiener wehtun. | |
| Ernsthaft anzunehmen, eine solche Strategie ließe sich bruchlos auf die | |
| Republik übertragen, wäre naiv. Und ist eher Ausdruck einer schwäbischen | |
| Hybris denn einer realpolitischen Analyse. | |
| ## Keine Solarpaneele auf dem Carport | |
| Im Ruhrgebiet, in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands, in den | |
| ländlichen Räumen Niedersachsens haben die Menschen andere Probleme als die | |
| Baden-Württemberger. Sie interessiert weniger, ob sich eine Solarpaneele | |
| auf dem Carport rechnet, schon oft in Ermangelung eines solchen. | |
| Stattdessen wollen sie wissen, ob sich die Grünen mal wieder trauen, für | |
| Gesamtschulen zu kämpfen. Oder wie sie die durch die Banken- und | |
| Finanzkrise verursachte horrende Staatsverschuldung zu bewältigen gedenken. | |
| Ist niemandem aufgefallen, dass Kretschmann eine Vermögensabgabe ablehnt, | |
| die im Grünen-Programm steht? Kuhn, der Wirtschaftspolitiker, fiel in den | |
| Debatten über Spitzensteuersätze dadurch auf, dass er gegen allzu hohe | |
| Belastungen kämpfte. Reiche müssen mehr zahlen? Ach was. | |
| Die beiden Grünen, die im Moment als Avantgarde bejubelt werden, vertreten | |
| also erstaunlich anachronistische Positionen. Selbst marktliberale Ökonomen | |
| sehen inzwischen ein, dass sich das hoch verschuldete Staatswesen ohne mehr | |
| Solidarität der Gutverdiener nicht retten lässt. Und ja: Politik muss im | |
| Zweifel Solidarität erzwingen, anders geht es nicht. | |
| ## Abseits des sozialpolitischen Kurswechsels | |
| Die grüne Partei hat sich entschieden, die Machtfrage anders zu stellen, | |
| als es Kretschmann oder Kuhn tun. Seit dem Ende der Regierungszeit im Bund | |
| 2005 ist die Partei programmatisch erkennbar nach links gerückt. Die Basis | |
| beschloss nicht nur die Vermögensabgabe oder einen höheren | |
| Spitzensteuersatz. Sie fordert – mit Mindestlohn, Garantierente oder | |
| Kindergrundsicherung – auch einen sozialpolitischen Kurswechsel. | |
| Kretschmann und Kuhn stehen nicht für diese Mehrheitsströmung innerhalb der | |
| Grünen. Sie sind vielleicht in Baden-Württemberg hegemoniefähig, innerhalb | |
| der Grünen sind sie es nicht. | |
| Grünen-Chef Cem Özdemir erklärt den Erfolg der Grünen im Südwesten mit | |
| einem Dreiklang. Die Partei würde dort als links, als liberal im Sinne von | |
| bürgerrechtlich und gleichzeitig als wertkonservativ wahrgenommen. | |
| Konturlosigkeit, die irgendwie für alles stehen will, siegt? Diese | |
| Definition scheitert spätestens dann, wenn man versucht, sie auf Sachthemen | |
| zu übertragen. Es gibt ihn eben, den Unterschied zwischen linker und | |
| wertkonservativer Politik. Und die Grünen begingen einen großen Fehler, | |
| wenn sie im Kampf um die Mitte, in der sich Merkels schwammige CDU tummelt, | |
| ebenfalls auf Schwammigkeit setzen würden. | |
| Wie wankelmütig Teile des Bürgertums ihre Gunst verteilen, hat sich in | |
| Hamburg gezeigt. Kaum machte sich die schwarz-grüne Koalition auf, mit der | |
| Schulreform eines ihrer wenigen progressiven Projekte umzusetzen, gingen | |
| die Professoren und Ärzte auf die Straße, um ihre Kinder vor den | |
| Unterschichtskindern zu schützen. Schwarz-Grün, dieses bürgerliche Bündnis | |
| par excellence, platzte – weil ein Sachverhalt den Interessen der | |
| Bürgermitte widersprach. Doch genau solche harten, inhaltlichen Konflikte | |
| müssen die Grünen der bürgerlichen Mitte zumuten. Alles andere hieße, die | |
| Bürger nicht ernst zu nehmen. | |
| 22 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| Ulrich Schulte | |
| ## TAGS | |
| Kretschmann | |
| Stuttgart | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Schwerpunkt Korruption | |
| Wiesbaden | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| CDU | |
| Kretschmann | |
| Fritz Kuhn | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klinikskandal in Stuttgart: Kein Geld aus Kuwait | |
| Dubiose Deals haben drei Grüne geschlossen, um eine Klinik zu retten. Ihr | |
| Plan: Patienten aus dem Nahen Osten nach Stuttgart holen. | |
| Oberbürgermeisterwahl in Wiesbaden: Überraschungssieger SPD | |
| Die nächste Landeshauptstadt, die an die SPD geht: Ausgerechnet ein | |
| moderner CDU-Mann verliert das Oberbürgermeisteramt in Wiesbaden. | |
| CDU debattiert über Schwarz-Grün: Merkel steht auf die FDP | |
| Mit Norbert Röttgen und Armin Laschet outen sich zwei weitere | |
| CDU-Spitzenpolitiker als Schwarz-Grün-Fans. Doch dann kommt Angela Merkels | |
| Auftritt beim Parteitag in Sachsen. | |
| Die Union und die Großstädte: Offen, liberal, klare Kante | |
| Die Union verliert Wähler in den Großstädten – und sucht nach Strategien. | |
| CDUler aus Berlin empfehlen einen Mix aus Liberalität und klarer Kante. | |
| Kommentar CDU und urbane Milieus: Die wankelmütige Mitte | |
| Die CDU diskutiert darüber, ob sie ein Problem in den Großstädten hat. Doch | |
| Bürgermeisterwahlen sind immer auch Abstimmungen über Persönlichkeiten. | |
| Union streitet über Stuttgart-Schlappe: „Zu viele altmodische Positionen“ | |
| Nach der Stuttgart-Wahl diskutiert die Union über die Modernisierung der | |
| Partei. Es gebe „zu viele konservativ-neoliberale Kräfte“ kritisiert | |
| Ex-Generalsekretär Geißler. | |
| Kommentar Stuttgart als grüne Zukunft: Sozialökologisches Vorbild für Berlin | |
| Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn haben den Begriff „bürgerlich“ neu | |
| besetzt. Sie haben das Bürgertum mit sozialökologischen Werten infiltriert. | |
| Kommentar Stuttgart: Der schwäbische Traum | |
| Die Grünen können das Stuttgarter Erfolgsmodell nicht einfach kopieren. In | |
| anderen Städten müssen sie stärker auf Sozialpolitik setzen. | |
| Fritz Kuhns Pläne für Stuttgart: „Da muss mehr Tempo ran“ | |
| Während die CDU im Südwesten eine weitere Niederlage verkraften muss, | |
| präsentiert der neue Stuttgarter OBM seine Pläne. Es geht vor allem um | |
| Krippen und Feinstaub. | |
| Oberbürgermeister-Wahl in Stuttgart: Einer für alle | |
| Fritz Kuhn ist am Ziel: Der Kandidat der Grünen gewinnt den zweiten | |
| Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart mit sieben Prozentpunkten | |
| Vorsprung. | |
| Bürgermeisterwahl in Stuttgart: Der große Fritz | |
| Wenn der Grüne Fritz Kuhn in Stuttgart Bürgermeister wird dann ist das von | |
| langer Hand vorbereitet. Sein Wahlkampf begann bereits in den 80ern. |