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# taz.de -- Kommentar Stuttgart als grüne Zukunft: Sozialökologisches Vorbild…
> Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn haben den Begriff „bürgerlich“ neu
> besetzt. Sie haben das Bürgertum mit sozialökologischen Werten
> infiltriert.
Bild: Braver Dank an die Wähler von einem, der sich nicht nur opportunistisch …
Im Grunde gibt es zwei Arten, die Welt zu betrachten. Erstens: So kann es
nicht weitergehen. Zweitens: So könnte es weitergehen. Ein Teil der
Gesellschaft in der Nachkriegsbundesrepublik wurde kulturell-politisch
geprägt von ersterem Gefühl. Dementsprechend fungierten und funktionierten
die Grünen in ihrer ersten Phase als Orientierungspartei des
politisch-moralischen Imperativs: So nicht! War auch wichtig und ist es
immer noch, die Gesellschaft herauszufordern. Hat aber auch etwas
Unpolitisches, zu sagen: Wir warten, bis es endlich alle begriffen haben.
Und wer sich von uns rührt, verrät die gute Sache.
Wenn man tatsächlich in die Lage kommen will, gestaltend und führend etwas
zu verändern, eine Landeshauptstadt, eine Industrieregion, eine Art des
Regierens und vielleicht sogar zu eigenen Lebzeiten dieses Land, dann
könnte man diejenigen, die es vormachen, nicht nur am Wahlabend umarmen –
sondern ernst nehmen. Und vor allem jene gesellschaftliche Veränderung, die
diese Politiker mit initiiert haben und auf deren Grundlage sie nun Politik
machen.
Die Grünen in Baden-Württemberg haben sich eben nicht nur opportunistisch
dem Bürgertum angepasst. Sie haben auch das sich biologisch und kulturell
verändernde Bürgertum des Landes sozialökologischen Werten angepasst. Das
ist ein feiner und doch fundamentaler Unterschied.
Nun gibt es Leute, die sich die Protagonisten anschauen, also
Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Stuttgarts neuen OB Fritz Kuhn,
Tübingens OB Boris Palmer, Freiburgs OB Dieter Salomon oder den
Umweltminister und Energiewendemanager Franz Untersteller, und dann sagen:
Alles angepasste, bürgerliche Spießer, die auch in der CDU sein könnten.
Und noch dazu keine Frauen. Wo soll da der Fortschritt sein?
## Vertrauen ist der Schlüssel
Nun, es hilft, das Personal von CDU und SPD im Land zu kennen. Und vom
Fehlen der Protagonistinnen abgesehen: Vielleicht ist dieses Denken auch in
Begrifflichkeiten und Schablonen aus der bundesrepublikanischen Steinzeit
gefangen. Vor allem verpasst es einen entscheidenden Punkt: Vertrauen. Die
Leute vertrauen Kretschmann. Nicht weil er ein Grüner ist, sondern weil er
Kretschmann ist. Man nimmt ihm seine biografisch-politische Entwicklung vom
KBW in die Villa Reitzenstein genauso ab wie seine Frömmelei und manche
durchaus ungewöhnlich progressive politische Position. Kretschmann ist
nicht der grüne Ministerpräsident, er ist der Ministerpräsident. Und Kuhn
wird nicht der grüne Oberbürgermeister sein, sondern der Stuttgarter OB.
Beide sind Vertreter eines sanften Wegs. Diese Normalisierung von grüner
Führung ging deshalb so schnell, weil die baden-württembergischen Pioniere
Hasenclever, Schlauch, Kuhn und Kretschmann das klassisch-konservative
Bürgertum des Landes eben nicht durch Säuberungsaktionen loswerden wollten
wie richtige Linke, sondern durch Infiltration des Bürgertums mit grünen
Werten die Hegemonie übernahmen. Auch am rückständigsten Stammtisch, von
dem der Landes-CDU jetzt mal abgesehen, sind die alten Phobien passé.
## Die altbürgerliche Macht zerlegt sich selber
Geholfen hat auch, dass Salomon und Palmer seit Jahren ihre Städte
ordentlich regieren. Und selbstverständlich, dass die altbürgerliche Macht
sich weiter selbst zerlegt. In den „urbanen“ Stadtteilen Stuttgarts holte
der nach eigenen Worten „wertkonservative“ Kuhn zwei Drittel der Stimmen.
Hätte der CDU-Kandidat in den beiden Arbeiterbezirken nicht noch Teile der
antigrünen SPD-Wähler mobilisiert, wäre er noch weiter abgehängt worden.
Das zeigt auch, dass es sich um alles andere als einen grün-roten
„Lager“-Sieg handelt. Nun folgt aber die Parteilogik nicht der
gesellschaftlichen Realität. Sonst würden die Grünen-Partei-Mitglieder bei
der Urwahl der Spitzenkandidaten womöglich Cem Özdemir und Katrin
Göring-Eckardt wählen. Aber Özdemir tritt bei dieser Wahl wohlweislich gar
nicht erst an. Dafür will er baden-württembergischer Spitzenkandidat im
Bundestagswahlkampf werden. Der linke Flügel der Landes-Grünen will
allerdings Kampfkandidaturen um beide Spitzenpositionen.
Das klingt nicht danach, als würde man das eigene Erfolgsrezept anerkennen,
um mit dem möglichen Superergebnis im Land der CDU-Kanzlerin Angela Merkel
die Macht im Bund abzujagen. Man könnte auch Schlüsse aus dem Konstanzer
Debakel ziehen, als eine linke Grüne das Erfolgsmodell Öko plus Bürger
einem CDUler überließ – und damit auch den OB-Posten. Doch dafür darf man
den Begriff „bürgerlich“ nicht als etwas aus der Niedergangskategorie „So
nicht!“ ablehnen. Sondern muss ihn selbstbewusst neu besetzen.
22 Oct 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
Peter Unfried
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Fritz Kuhn
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