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# taz.de -- Neue Verfassung in Ägypten: Tauziehen geht in die nächste Runde
> Ist das Gremium, das derzeit in Kairo die Verfassung erarbeitet,
> rechtens? Das muss nun das Verfassungsgericht entscheiden. Und Islamisten
> und Liberalen streiten weiter.
Bild: Protest gegen die neue Verfassung auf dem Tahrirplatz in Kairo.
KAIRO taz | Das Oberste Verwaltungsgericht in Kairo hat am Dienstag
entschieden, die Frage der Rechtmäßigkeit der Verfassunggebenden
Versammlung an das Verfassungsgericht zu überstellen. Damit hat die
Verfassunggebende Versammlung, die von einer konservativ-islamischen
Strömung dominiert wird, Zeit gewonnen.
„Jetzt geht es darum, dass das Verfassungsgericht schnell entscheidet,
bevor die Verfassunggebende Versammlung ihren Entwurf in einem Referendum
zu Abstimmung stellt und er damit nicht mehr anfechtbar ist“, erklärt
Khaled Ali, ehemaliger Präsidentschaftskandidat und einer der Kläger, nach
dem Prozess gegenüber der taz.
Im Kern geht der Streit darum, dass das Parlament, in dem Muslimbrüder und
Salafisten die Mehrheit hatten, die 100 Vertreter der Verfassunggebenden
Versammlung bestimmt hatte.
Kurz darauf wurde das Parlament wegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen
aufgelöst. Damit steht die Frage im Raum, ob das Gremium, das derzeit die
Verfassung erarbeitet, überhaupt rechtens ist.
## Streit um die Scharia
Dahinter steht eine Kontroverse über den Inhalt der Verfassung. Die
Muslimbrüder und Salafisten hatten gehofft, mit ihrer Mehrheit der
Verfassung ihren Stempel aufzudrücken. Aber Linke, Liberale und
Frauengruppen sind stark genug, den Prozess zu sabotieren.
Sie kritisieren, dass die Verfassung nicht von einer politischen Mehrheit
geschrieben werden, sondern aus einem breiten gesellschaftlichen Konsens
hervorgehen sollte.
Einer der Streitpunkte des derzeit diskutierten Verfassungsentwurfs ist die
Rolle von Religion und Staat. Nach dem bisherigen Artikel 2 der Verfassung
sind die „Prinzipien der Scharia“ die Grundlage der Gesetzgebung.
Ultrakonservative Salafisten wollen den vagen Begriff durch die
spezifischere Formulierung „Regeln der Scharia“ ersetzen. Sie schlagen auch
vor, dass die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo als oberster
Interpret der Scharia festgeschrieben wird.
Damit wäre für diese zentrale Aufgabe ein Gremium zuständig, das weder
gewählt noch rechenschaftspflichtig ist. Manche vergleichen die Rolle, die
die Al-Azhar dann hätte, sogar mit dem iranischen Wächterrat.
## Rechte der Frauen widersprüchlich
Umstritten ist auch Artikel 36, der dem an anderer Stelle formulierten
Verbot der Diskriminierung auf Geschlechterbasis widerspricht. In dem
Artikelentwurf werden Männern und Frauen gleiche Rechte zugesagt, solange
dies – so der entscheidende Zusatz – „nicht den Regeln der Scharia
widerspricht“.
Eine weitere Kontroverse dreht sich um einen Artikelentwurf, der den Handel
mit Frauen und Kindern untersagt. Auf Druck salafistischer Mitglieder der
Verfassunggebenden Versammlung wurde dieser Passus durch ein wesentlich
vageres Verbot der „Verletzung der Rechte von Frauen und Kindern“ ersetzt.
Salafisten fürchten, dass andernfalls mit diesem Artikel ein frühzeitiges
Heiratsalter per Verfassung untersagt ist. Yunis Makhyun, ein Vertreter der
salafistischen Al-Nur-Partei in der Verfassunggebenden Versammlung,
vertritt beispielsweise die Ansicht, dass das Heiratsalter für Mädchen auf
neun Jahre gesenkt werden sollte.
## Buchreligionen bevorzugt
Auch die Religionsfreiheit bleibt Stein des Anstoßes. Laut Entwurf des
Artikels 8 ist es nur den Buchreligionen – Islam, Christentum und Judentum
– erlaubt, Gebetshäuser in Ägypten zu bauen. Andere Religionen wie die
Bahais werden dadurch diskriminiert.
Laut Auftrag muss die Verfassunggebende Versammlung bis Anfang Dezember
einen fertigen Entwurf zur Abstimmung in einer Volksbefragung vorlegen.
Schafft sie das nicht, muss Präsident Mohammed Mursi, ein früherer
Muslimbruder, eine neue Versammlung einberufen.
Einmal von einer Volksabstimmung abgesegnet, gibt es keine rechtliche
Handhabe mehr. Dem Verfassungsgericht ist damit ein zeitlicher Rahmen für
die anstehende Entscheidung gesetzt.
23 Oct 2012
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
## TAGS
Ägypten
Regierung
Verfassung
Muslimbrüder
Ägypten
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