# taz.de -- Die Pleite von Alemannia Aachen: Ganz schön verrechnet | |
> Tiefer Fall in ein plötzliches Finanzloch: Der Drittligist Alemannia | |
> Aachen hat Insolvenz angemeldet. Schuld sind geschönte Bilanzen und teure | |
> Kredite. | |
Bild: Insolvente Alemannia: „Wir, äh, stehen vor einem Scherbenhaufen.“ | |
Fußballfreunde in Aachen lernen derzeit neues Fachvokabular jenseits von | |
Doppelpass und Doppelsechs: „Restrukturierungsbeauftragter“ wäre ein | |
Beispiel. „Planinsolvenzverfahren mit Eigenverwaltung“ ein anderes. Der | |
Traditionsverein Alemannia, 2007 noch Bundesligist und 2011 im | |
Pokal-Viertelfinale vertreten, ist pleite. | |
Im Oktober hatte sich plötzlich ein Finanzloch von 4,5 Millionen Euro | |
aufgetan. Bis Juni 2013, so die zerknirschten Klubchefs, werde es auf 12 | |
Millionen anwachsen. Das lässt einen staunen. Denn war nicht mit dem | |
Zweitliga-Abstieg im Sommer der Etat zusammengestrichen worden, die | |
Stadionmiete halbiert? Hat Aachen nicht mit beneidenswerten 13.500 | |
Zuschauern die mit Abstand meisten Besucher aller Drittligisten? | |
Noch im Mai segneten die Wirtschaftsprüfer der Alemannia diverse | |
Umschuldungen ab, Stadt und Land übernahmen Bürgschaften in zweistelliger | |
Millionenhöhe. Alles im Lot, rief Geschäftsführer Frithjof Kraemer und ließ | |
sich vom Aufsichtsrat im September seinen Vertrag verlängern. | |
Am 31. Oktober wurde er von denselben Räten, die entweder im Amt versagt | |
haben oder aber Mitwisser sind, zu Fuß vom Hof gejagt. Und | |
Aufsichtsratschef Meino Heyen stotterte wie ein Erstklässler, der beim | |
Schummeln erwischt wurde: „Wir, äh, stehen vor einem Scherbenhaufen.“ | |
## „Belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“ | |
Die Alemannia Aachen GmbH hat nun Insolvenz angemeldet. Die Stadt fühlt | |
sich „belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“ und erstattete | |
Strafanzeige gegen Kraemer, die Aufsichtsräte und die Wirtschaftsprüfer. | |
Offenbar wurden Altlasten kreativ versteckt. Der Oberbürgermeister spricht | |
von „krimineller Energie“. Fans weinen öffentlich. Im Stadion weht das | |
Plakat „Totenkraemer“. | |
Wegen der „Komplexität und Größe des Falles“ hat die | |
Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Köln das Verfahren | |
an sich gezogen. Es geht um Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung und | |
Insolvenzverschleppung. Haft droht, und Haftung mit dem Privatvermögen. | |
Intern lagen die Probleme schon im April auf dem Tisch. Aufsichtsrat Horst | |
Rambau, als Steuerberater ein offenbar kundiger Zahlenmensch, hatte exakt | |
jene 4,5 Millionen Miese für den Herbst prognostiziert. Es drohe „ein | |
Desaster“, ein Minus von bis zu 12 Millionen Euro im Jahr 2013. Heyen und | |
Miträte mobbten den Querulanten aus dem Amt. Auch die Stadt kannte Rambaus | |
Warnungen, verließ sich aber blauäugig auf das Testat der | |
Wirtschaftsprüfer. | |
Vordergründig ist der Stadionbau schuld. Mit dem 2009 eröffneten | |
grellgelben „Neuen Tivoli“ – 50 Millionen Euro Kosten, Platz für 33.000 | |
Zuschauer – wollte man wettbewerbsfähig bleiben. Das Ziel: dauerhaft Erste | |
Liga. Man baute sich sein eigenes Mausoleum. Doch entscheidender als das | |
Stadion waren Kredite mit bis zu 14 Prozent Zinsen. | |
## Zwangsabstieg | |
Insolvenzantrag bedeutet laut DFB-Statuten automatisch Zwangsabstieg in die | |
Regionalliga. Die Alemannia-Fans sind fassungslos, wütend – und spenden | |
(„Liebe kennt keine Liga“) ihre letzten Sparcents auf ein „Rettungskonto�… | |
Einer schickte dem Insolvenzverwalter jetzt 5.000 Euro: „Ich vertraue | |
Ihnen. Kaufen Sie nen Knipser.“ Wie surreal Vereinshingabe sein kann, zeigt | |
sich am Beispiel eines Aachener Malermeisters. | |
Er sagt, Bauunternehmer Hellmich schulde ihm noch 320.000 Euro, Alemannia | |
habe sich an Zusagen von 5-stelligen Beträgen nicht gehalten, der | |
Stadionbau sei „ein Wust aus Lug, Trug und Intrigen“. Dennoch pilgert er | |
brav zu den Spielen. | |
Vater des Stadions ist Jürgen Linden. Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister | |
und damalige Aufsichtsratschef der Alemannia hatte den Neubau forciert. Er | |
gilt vielen jetzt als Pate des Untergangs. Vor Jahresfrist kündigte er „bis | |
zum Sommer eine ausführliche Dokumentation des Stadionbaus“ an. Sie kam | |
nie. Heute will sich Linden nicht mehr äußern. | |
Linden hatte stadionwerbend immer wieder vom „Herzblut für die Alemannia“ | |
gesprochen. Solche lokalkolorierten emotionalen Argumente sind | |
szenetypisch. Alle sollen als Mitspieler ins Boot, auch die öffentliche | |
Hand. Bürgt die Stadt einmal für das Werbevehikel Fußball, geht es immer | |
weiter mit Begehrlichkeiten. Hilft man nicht, macht man sich mitschuldig. | |
Der Aachener Landtags-Grüne Rainer Priggen klagt, als Politiker habe man | |
„immer die Arschkarte“. | |
## Landesbürgschaft über 23 Millionen | |
Die Summen sind gigantisch. Das Land NRW ist bei der Alemannia mit 23 | |
Millionen Euro Bürgschaft in der Pflicht, die Stadt mit fast 19 Millionen | |
Euro. Die Fananleihe über 6 Millionen Euro inklusive Zinsen, rückzahlbar | |
bis 2013, dürfte verloren sein. Fananleihen, vielerorts sehr beliebt als | |
„Herzblutgabe“, dienen dazu, akute Liquiditätslöcher in die Zukunft zu | |
verschieben. | |
Alemannia muss die Saison irgendwie zu Ende spielen. Denn wird das | |
Insolvenzverfahren noch während der laufenden Spielzeit eröffnet, steht das | |
sportliche Todesurteil fest: Absturz in die Kreisliga D. Also geht das | |
Millionenspiel mitten in der Pleite wieder von vorne los: Gebt uns Geld, | |
bettelt die Alemannia. 2 Millionen fehlen, um den Lokalderbys zu entgehen. | |
Doch nicht nur Aachen ist ausgeblutet. Das Eigenkapital der Klubs unterhalb | |
der Bundesliga schrumpft. Derzeit stehen Zweitligist MSV Duisburg und der | |
Drittliga-Herbstmeister VfL Osnabrück überschuldet auf der Kippe. Fußball | |
ist ein gefährlich unsoziales Geschäft. | |
Die Erste Liga ist über Fernsehgelder üppig alimentiert. Die Großen in der | |
Champions League freuen sich über hohe Garantieprämien der Uefa. Der | |
Unterbau ist Fußballprekariat. Er wird mit einer Art Hartz-IV-Satz an | |
TV-Geldern abgespeist. | |
## Weitermachen ist eine Farce | |
In Aachen helfen jetzt, ganz wie im richtigen Leben, die Superreichen den | |
Gescheiterten mit Almosen: Am 20. Januar kommt der FC Bayern unentgeltlich | |
zum Rettungsspiel. Klubchef Heyen übrigens hat jetzt, überfordert im | |
Chaosklub, abgedankt. Er wartet auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen. | |
Sportlich ist Weitermachen eine Farce. In der Winterpause werden viele | |
Spieler weiterziehen, weil es nur für drei Monate Insolvenzgeld gibt | |
(maximal 5.600 Euro) und Löhne gespart werden müssen. Amateure und | |
A-Jugendliche werden die Profis ersetzen. Dennoch gibt der mit der | |
Restrukturierung beauftrage Michael Mönig als Interimsklubchef den | |
Klassenerhalt als Ziel aus. | |
„Wenn wir die Insolvenz gut meistern und es sportlich schaffen, darf man | |
doch nicht durch Zwangsabstieg bestraft werden.“ Statut ist Statut, wird | |
wohl der DFB kühl lächelnd sagen, und die gesündere Konkurrenz wird | |
rebellieren. Zudem ermittelt der Verband wegen Lizenzerschleichung, die | |
schönen Zahlen und Rechenspiele aus dem Frühjahr erscheinen im Nachhinein | |
unglaubwürdig. | |
Egal: Im schwarz-gelb besoffenen Aachen soll die vage Hoffnung auf | |
Klassenerhalt Gebefreudigkeit bewirken. Spendet! Auch die Stadt bittet | |
Mönig, „durch Forderungsverzicht zu helfen“. Den Steuerzahler wird es | |
freuen. Und was wird aus dem Stadion? Eine Zwangsversteigerung steht im | |
Raum. Und auf lange Sicht vielleicht auch ein Abriss des Neubaus. Aus dem | |
Scherbenhaufen würde ein Schutthaufen, herzblutrot. | |
10 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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