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# taz.de -- Proteste in Tunesien: Dissidenten formieren sich neu
> Vor knapp zwei Jahren begann der „arabische Frühling“. Jetzt machen die
> Gewerkschaften des Landes gegen die regierenden Islamisten mobil.
Bild: Solidaritätskundgebung mit Kerzen vor der Zentrale der Gewerkschaft UGTT…
MADRID taz | Betroffene Gesichter, Kerzen in der Hand: Hunderte
Gewerkschafter, Künstler, Intellektuelle und andere haben sich am
Dienstagabend vor dem Büro der größten Gewerkschaft Tunesiens, der UGTT,
auf dem Platz Mohammed Ali im Zentrum von Tunis versammelt.
Von hier ging die Demonstration aus, die am 14. Januar 2011 den Diktator
Ben Ali endgültig aus dem Land trieb. In den Reden, Parolen und Gesängen
war wieder viel von ihrem „Frühling der Revolution der Freiheit und Würde“
die Rede. Die Versammelten fürchten um ihre Errungenschaften und warnten
vor einem „islamistischer Winter“.
In den vergangenen Wochen und Monaten kam es immer wieder zu gewalttätigen
Übergriffen auf Büros der UGT. Müll wurde vor den Räumlichkeiten abgeladen,
mehrere Gewerkschaftseinrichtungen geplündert und in Brand gesteckt. Zum
schlimmsten Übergriff kam es am 4. Dezember auf ebenjenem Platz Mohammed
Ali.
Schläger griffen eine Gedenkveranstaltung für den vor 60 Jahren ermordeten
Gewerkschaftsgründer Farhat Hached an. Mehrere Personen wurden verletzt,
einige schwer. Die Gewaltaktionen gehen auf die Rechnung der „Liga zum
Schutz der Revolution“. Diese im Frühsommer gegründete und von der
Regierung zugelassene Vereinigung schreibt sich „die Verteidigung des
Geistes der Revolution“ auf die Fahnen. Doch weder ihre Führer noch ihre
Anhänger haben sich bei den Protesten gegen Ben Ali hervorgetan.
Der Liga wird auch die Verantwortung für einen Übergriff auf eine
Veranstaltung der nicht religiös orientierten Partei Nidaa Tounes des
einstigen Übergangspremiers Béji Caïd Essebsi im Oktober im südtunesischen
Tataouine vorgeworfen. Dabei kam ein örtlicher Politiker ums Leben. Nidaa
Tounes ist die einzige Kraft, die Ennahda bei den Wahlen im kommenden
Frühjahr besiegen kann.
## Erinnerungen an Iran
„Ennahda will das Land spalten“, lautet der Vorwurf des
UGTT-Vorstandsmitglieds Sami Tahri. Für ihn und für die vor dem
Gewerkschaftshaus Versammelten ist die Liga ein Kind Ennahdas. Indizien
dafür gibt es genug. So verteidigte der Ennahda-Vorsitzende Rachid
Ghannouchi die Gewalt seitens der Liga vor dem Gewerkschaftshaus in Tunis.
Die UGTT habe dort Waffen gebunkert und friedliche Bürger angegriffen,
lautet seine Interpretation der Vorfälle. Ein unabhängiger Islamist
verlangte im Übergangsparlament gar, die Liga als staatliche Institution in
der Verfassung festzuschreiben. Ein Vorschlag, der viele an den Iran
erinnert.
Für die Gewerkschafter und andere Aktivisten der Zivilgesellschaft sind die
Übergriffe die Rache der Islamisten für die führende Rolle der Gewerkschaft
bei sozialen Protesten. Die UGTT war in den Jahren der Diktatur der
wichtigste Zufluchtsort für Dissidenten. Dank der Unterstützung der
Revolution genießt die Gewerkschaft ein gutes Ansehen und wurde zum
Hauptakteur der Zivilgesellschaft.
Zuletzt unterstützte die Gewerkschaft Demonstrationen gegen die
Arbeitslosigkeit und Armut in der zentraltunesischen Stadt Siliana Ende
November, die zum Abzug des von Ennahda eingesetzten Gouverneurs führten.
Die Polizei schoss mit Schrotflinten auf Demonstranten.
„Ihr Ziel ist es, die UGTT zu schwächen, damit sie keine Rolle mehr
spielt“, beschwert sich Tahri über die Ennahda-Regierung und deren Umfeld.
Die Gewerkschaft fordert die strafrechtliche Verfolgung der Schläger und
ein Verbot der Liga. In vier großen Städten rief die UGTT deshalb in den
vergangenen Tagen zum regionalen Generalstreik auf. „Haut ab!“, erklang
einmal mehr die Parole, die einst zum Sturz Ben Alis führte, nur dass sie
sich nun an die Dreierkoalition unter Ennahda richtet.
Bei Reaktionsschluss beriet die UGTT-Führung darüber, ob ein Generalstreik
für den 13. Dezember aufrechterhalten wird oder nicht. Zuvor hatte eine
Gewerkschaftsdelegation in einem Verhandlungsmarathon mit der Regierung
über die angespannte Lage beraten.
13 Dec 2012
## AUTOREN
Reiner Wandler
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Tunesien
Zehn Jahre Arabischer Frühling
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