# taz.de -- Aufarbeitung Zweiter Weltkrieg: Moralische Wiedergutmachung | |
> Eine Historikerkommission hat die von deutschen Soldaten an Italienern | |
> verübten Verbrechen untersucht. Sie empfiehlt den Bau einer Gedenkstätte. | |
Bild: Sant’Anna di Stazzema, 12. 8. 1944: Deutsche Soldaten töten in drei S… | |
ROM taz | Bloß „linke Bazillen“ im Kampf gegen hinterhältige Partisanen | |
habe er ausgerottet, von Kriegsverbrechen könne da doch wohl keine Rede | |
sein: So erinnerte sich in einem TV-Interview im Jahr 2002 ein früherer | |
Waffen-SS-Mann an ein von seiner Truppe im Herbst 1944 verübtes Massaker an | |
italienischen Zivilisten mit hunderten Toten. | |
Der Kampf gegen die Partisanen vor allem in Norditalien, dazu oft genug ein | |
regelrechter, von zahlreichen grausamen Verbrechen geprägter Krieg gegen | |
die Zivilbevölkerung, geführt von der deutschen Besatzungsmacht in den | |
Jahren 1943–45, schließlich die Verschleppung von etwa 600.000 | |
italienischen Armeeangehörigen zur Zwangsarbeit nach Deutschland: Dies sind | |
die zentralen Kapitel des am Mittwoch in Rom von der deutsch-italienischen | |
Historikerkommission nach dreijähriger Arbeit vorgelegten Berichts. | |
Es war die deutsche Regierung, die im Jahr 2008 die Schaffung der | |
Kommission angeregt hatte, als Akt moralischer Wiedergutmachung, nachdem | |
das Verlangen zahlreicher italienischer Opfer nach materieller | |
Entschädigung von deutschen und internationalen Gerichten immer wieder | |
abgeschmettert worden war. Egal, ob es um die sogenannten italienischen | |
Militärinternierten oder Nachfahren von Toten der zahlreichen Wehrmachts- | |
und SS-Massaker ging: Die Bundesregierung zog sich juristisch erfolgreich | |
auf den Standpunkt zurück, das Nötige schon gezahlt zu haben und im Übrigen | |
durch die „Staatenimmunität“ vor individuellen Opferforderungen geschützt | |
zu sein. Zuletzt hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag im | |
Februar 2012 die deutsche Rechtsauffassung bestätigt. | |
Schon dieses Urteil hatte in der italienischen Öffentlichkeit großen Unmut | |
provoziert. Zu heftigen Protesten kam es dann wieder im Oktober 2012, | |
nachdem die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Verfahren gegen einige | |
deutsche Soldaten eingestellt hatte, denen vorgeworfen wurde, im Jahr 1944 | |
im toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema an jenem Massenmord beteiligt | |
gewesen zu sein, dem 560 Zivilisten zum Opfer fielen. „Bestürzend“ nannte | |
daraufhin Staatspräsident Giorgio Napolitano die Einstellungsverfügung. | |
## Beschönigung, Verdrängung und Verzerrung | |
Die Gründe dafür lassen sich jetzt im Bericht der Historikerkommission | |
nachlesen. Gezeichnet wird das Bild eines Deutschland, das per | |
Beschönigung, Verdrängung und Verzerrung der Tatsachen über Jahrzehnte | |
hinweg seiner Verantwortung für die auf dem italienischen Kriegsschauplatz | |
begangenen Verbrechen zu entkommen suchte. Die Italiener galten im | |
vorherrschenden deutschen Diskurs auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs | |
als die „Verräter“, die 1943 mit ihrem Frontwechsel zu den Alliierten ihren | |
deutschen Verbündeten in den Rücken gefallen seien und die dann einen | |
„schmutzigen“ Partisanenkrieg im eigenen Land geführt hätten, während die | |
Wehrmacht „sauber“ geblieben sei. | |
So bildete sich eine deutsche „biografisch bequeme und politisch genehme | |
kollektive Erinnerung“ heraus, die mit den individuellen Erfahrungen der | |
Kriegsteilnehmer und -opfer auf beiden Seiten recht wenig zu tun hatte und | |
die „die Wehrmacht reinzuwaschen versuchte und der Resistenza die | |
Verantwortung für die Eskalation der Gewalt in die Schuhe schob“. | |
Die Historikerkommission stellt dem eine Übersicht entgegen, die die | |
Dimension der deutschen Verbrechen umreißt. So wurden im Zeitraum September | |
1943 bis Mai 1945 allein zwischen 10.000 und 15.000 Zivilisten vom Baby bis | |
zum Greis bei sogenannten Straf- und Auskämmungsaktionen umgebracht, und | |
etwa 30.000 Partisanen fielen den deutschen Truppen und ihren | |
italienischen, Mussolini treu gebliebenen Verbündeten zum Opfer. | |
Ein bisher kaum erforschtes Kapitel ist das Schicksal der „IMIs“, der | |
„Italienischen Militärinternierten“. Nachdem Italien am 8. September 1943 | |
den Waffenstillstand mit den Alliierten verkündet hatte, entwaffneten | |
deutsche Truppen den größten Teil der italienischen Armee, in Italien, aber | |
auch in Griechenland oder auf dem Balkan. Mindestens 600.000 Soldaten, die | |
zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter Mussolini zu dienen bereit waren, | |
wurden daraufhin nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt, etwa 30.000 | |
überlebten die Haft unter erbärmlichsten Bedingungen nicht. | |
Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen aber haben ihre Leiden bisher nicht | |
die geringste Spur hinterlassen. Wenn es nach der Kommission geht, soll | |
sich das ändern: Sie fordert die Errichtung eines Mahnmals für die | |
italienischen Militärinternierten im weitgehend erhaltenen ehemaligen | |
Zwangsarbeiterlager Berlin-Niederschöneweide. | |
19 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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