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# taz.de -- Juristin über Klage wegen SS-Massaker: „Vorsätzliche Vernichtun…
> Der einstige Kompanieführer Gerhard Sommer kann nach einem
> Gerichtsbeschluss wegen des SS-Massakers vor 70 Jahren in Italien
> angeklagt werden.
Bild: Auf dem Kirchplatz von SantAnna erinnern Holz-Figuren an die Ermordeten.
taz: Frau Heinecke, das Karlsruher Oberlandesgericht hat jetzt auf Ihr
Klageerzwingungsverfahren hin entschieden, dass gegen den Hamburger Gerhard
Sommer doch Anklage erhoben werden kann. Er war als Kompanieführer wohl
verantwortlich für das Massaker der SS im italienischen Sant’Anna. Stellt
sich Deutschland endlich dieser Schuld?
Gabriele Heinecke: Unfreiwillig auf der juristischen Ebene. Auf der
politischen Ebene eher nicht. Die Krokodilstränen von Politikern hatten
keine Folgen. Baden-Württembergs Justizminister Stickelberger fand im Jahr
2012 die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart juristisch nicht zu
beanstanden. Bundespräsident Gauck bedauerte bei seinem Besuch in
Sant’Anna, dass die Instrumente des Rechtsstaats nicht ausreichten, um
Gerechtigkeit zu schaffen. Beide haben Unwillen gezeigt, sich ernsthaft mit
der Sache auseinanderzusetzen.
Warum lagen auch in Italien die Akten zu den Massakern lange unter
Verschluss?
Italien war aufgrund der eigenen Geschichte an der Verfolgung kaum
interessiert. Außerdem wurde Anfang der 1950er Jahre die Bundesrepublik
Deutschland mit der Wiederbewaffnung Nato-Mitglied, und man fand es
allgemein nicht opportun, deutsche NS-Kriegsverbrechen zu verfolgen. Darum
landeten die Akten mit den durch die Alliierten erhobenen Beweisen im
Keller der Militärstaatsanwaltschaft in Rom, dem sogenannten „Schrank der
Schande“ und kamen erst 1994 bei einem Verfahren gegen den Kriegsverbrecher
Priebke wieder zum Vorschein.
Wurden wenigstens die Leiden der Überlebenden im Nachkriegs-Italien
anerkannt?
Kaum. Oft wurde den Betroffenen die Zusammenarbeit mit den Partisanen
unterstellt und geschlussfolgert, sie seien selbst Schuld an ihrem
Schicksal. Auch die Tatsache, dass die mordenden Einheiten ihre Ziele nicht
selten mit Hilfe italienischer Faschisten fanden, führte dazu, dass man das
Thema nicht anfassen wollte. Die Massaker wurden lange Zeit beschwiegen,
und in Italien gab es in den 1950er Jahren eine Generalamnestie für
Partisanen und die italienischen Faschisten.
Warum traf das Massaker – neben anderen Dörfern – überhaupt Sant’Anna di
Stazzema?
Einige Kilometer von Sant’Anna entfernt hatte es vier Tage zuvor eine
bewaffnete Auseinandersetzung mit Partisanen gegeben, bei der deutsche
Soldaten umgekommen waren. Nach der einschlägigen Befehlslage des
Oberbefehlshabers Kesselring war jegliche Unterstützung der Partisanen mit
flächendeckender Vernichtung zu beantworten. Eine Unterstützung aus
Sant’Anna konnte nie nachgewiesen werden. Gleichwohl wurden alle Menschen
abgeschlachtet, auch Frauen und Kinder.
Während des Massakers waren keine Männer im wehrfähigen Alter im Dorf,
sondern nur Frauen, Greise, Kinder. Wieso?
Männer im arbeitsfähigen Alter wurden massenhaft willkürlich festgenommen
und als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Darum flohen sie beim
Anrücken der Deutschen aus den Ortschaften. Mit dem Niederbrennen des
Dorfes und der Vernichtung der Einwohner hatte in Sant’Anna niemand
gerechnet.
War das Massaker eine geplante Vernichtung von Zivilisten?
Hierzu hat insbesondere der Historiker Carlo Gentile geforscht und
festgestellt, dass die 16. SS-Einheit in Sant’Anna vorsätzlich und geplant
eine Dorf und Menschenvernichtungsaktion vorgenommen hat. Später vernommene
Einheitsangehörige haben das bestätigt.
Warum hat Stuttgart das Verfahren gegen den damaligen Kompanieführer Sommer
dann 2012 – nach zehnjährigen Ermittlungen – eingestellt?
Es gibt in den Ermittlungsunterlagen keinen schriftlichen
Vernichtungsbefehl. Daraus schloss die Staatsanwaltschaft, dass die
SS-Angehörigen möglicherweise nicht gewusst hätten, dass es um die
massenhafte Tötung von Menschen gehen sollte. Es wurde gemutmaßt, das
Massaker könne spontan passiert sein.
Halten Sie das für möglich?
Angesichts der Ermittlungsergebnisse ist das abwegig. Entsprechend
militärtaktischen Vorgaben zur Partisanenbekämpfung wurde gegen das Dorf
vorgegangen. Kompanie-Angehörige haben später bestätigt, dass am Vorabend
der Befehl ausgegeben wurde, alle Personen zu erschießen, die angetroffen
werden, ein klarer Bruch des Kriegsvölkerrechts.
Und warum hat das Oberlandesgericht Karlsruhe kürzlich entschieden, dass
man Sommer sehr wohl anklagen kann?
Der Stuttgarter Einstellungsbescheid argumentiert, dass die
Tötungshandlungen den Beschuldigten nicht individuell zuzuordnen seien,
auch nicht dem Kompaniechef Sommer. Das Karlsruher Oberlandesgericht hat
die Beweislage anders beurteilt und ist von einem hinreichenden Tatverdacht
ausgegangen.
Wie wahrscheinlich ist ein baldiges Verfahren gegen den 93-jährigen Sommer,
der in einem Hamburg Seniorenheim lebt?
Die Akten werden jetzt nach Hamburg geschickt, die hiesige
Staatsanwaltschaft muss über die Anklageerhebung entscheiden. Die
Beweislage ist dicht, so dass ich noch 2014 mit einer Entscheidung darüber
rechne.
11 Aug 2014
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
SS-Massaker
Schwerpunkt Nationalsozialismus
NS-Verbrechen
Holocaust
NS-Verbrechen
Joachim Gauck
Gauck
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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