# taz.de -- Ermittlungen gegen NS-Verbecher: Jagd auf Nazi-Greise | |
> Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm bestätigt der taz: Nach fast 70 Jahren | |
> könnten mutmaßliche NS-Täter jetzt vor Gericht gestellt werden. | |
Bild: Symbol für Massenmord: Das Einfahrtstor des Vernichtungslagers Auschwitz… | |
BERLIN taz | Sie haben den Massenmord an Millionen Menschen erst | |
ermöglicht: Die Wachleute in den Vernichtungslagern Nazideutschlands. Jetzt | |
hat die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen | |
in Ludwigsburg ihre Vorermittlungen gegen Dutzende frühere Wachmänner | |
abgeschlossen. | |
Nächsten Monat werden die Fälle den jeweils zuständigen | |
Staatsanwaltschaften übergeben. Das sagte Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm von | |
der Zentralen Stelle der taz. Zudem plant die Staatsanwaltschaft Stuttgart | |
nach Angaben eines Sprechers noch im September die Anklageerhebung gegen | |
Hans L., der ebenfalls als Wachmann in Auschwitz tätig gewesen sein soll. | |
Schließlich will die Staatsanwaltschaft in Dortmund bis zum Jahresende | |
darüber entscheiden, ob gegen drei Beteiligte eines SS-Massakers an | |
Zivilisten im französischen Oradour Anklage erhoben wird. | |
Die in Ludwigsburg abgeschlossenen Vorermittlungen wegen Beihilfe zum Mord | |
betreffen nach Angaben von Schrimm über 40 ehemalige Auschwitz-Bedienstete. | |
Ursprünglich waren es exakt 50 Personen, gegen die die Zentrale Stelle | |
aufgrund einer Liste aller Wachmänner des Konzentrations- und | |
Vernichtungslagers ermittelt hatte, doch einige von ihnen seien | |
zwischenzeitlich verstorben. Die Beschuldigten leben in allen Teilen der | |
Bundesrepublik einschließlich der früheren DDR. „Die meisten entstammen den | |
Jahrgängen 1920 bis 1925“, sagte Schrimm. | |
## Schwierige Ermittlungen | |
Mehr als 60 Jahre lang, so Schrimm, seien Strafverfahren gegen die Männer | |
nicht möglich gewesen, weil die deutsche Justiz für eine Verurteilung | |
individuelle Beweise für eine Täterschaft verlangte. Das hat sich erst seit | |
dem Urteil gegen John Demjanjuk verändert. Das Landgericht München | |
verurteilte 2011 den ukrainischstämmigen Wachmann des Vernichtungslagers | |
Sobibor nur für seine Anwesenheit in dem Lager, das einzig zur Vernichtung | |
von Juden errichtet worden war. Demjanjuk erhielt wegen Beihilfe zum Mord | |
an mindestens 28.060 Juden eine fünfjährige Haftstrafe. Er verstarb im | |
darauffolgenden Jahr. | |
Die Ermittlungen gegen die Auschwitz-Wächter sind dennoch schwierig. Das | |
riesige Lager Auschwitz-Birkenau beherbergte nicht nur ein Vernichtungs-, | |
sondern auch ein Konzentrationslager. Während im Vernichtungslager alle | |
Insassen, häufig schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft, fast immer durch | |
Giftgas ermordet wurden, hatten die KZ-Gefangenen immerhin eine kleine | |
Überlebenschance. Entsprechend müssen die Ermittler nachweisen, dass die | |
Beschuldigten im Vernichtungslager eingesetzt worden waren. | |
In Auschwitz waren von 1940 bis 1945 über 6.000 SS-Angehörige beschäftigt, | |
darunter auch etwa 170 Frauen. Die allermeisten von ihnen sind inzwischen | |
verstorben. | |
Der Vorwurf gegen die heute noch lebenden mutmaßlichen Täter lautet, dass | |
sie durch ihre Arbeit in dem Vernichtungslager, beispielsweise als Wächter | |
in einem der Wachtürme, den Massenmord an den 1,2 bis 1,6 Millionen | |
Menschen erst ermöglicht haben. Bei den Beschuldigten handelt es sich nach | |
Aussage von Schrimm überwiegend um ehemalige Wachmänner. | |
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen | |
besitzt selbst keine Anklagekompetenz. Deshalb müssen die örtlich | |
zuständigen Staatsanwaltschaften nun entscheiden, ob es jeweils zu einer | |
Anklage kommt. Danach urteilt ein Gericht, ob die Anklage zulässig und der | |
Angeklagte trotz seines hohen Alters verhandlungsfähig ist. | |
Es ist also keineswegs sicher, dass es auch zu über 40 Prozessen kommt. | |
„Die Beschuldigten sind bisher nicht informiert“, sagte der | |
Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm. | |
## U-Haft wegen Fluchtgefahr | |
Ein Pilotverfahren könnte schon bald in Stuttgart beginnen. Dort will die | |
örtliche Staatsanwalt Mitte September ihre Anklageschrift gegen den | |
ehemaligen Auschwitz-Wachmann Hans L. fertigstellen. Der 93-Jährige frühere | |
SS-Sturmmann steht im Verdacht, ab Herbst 1941 die Massenmorde unterstützt | |
zu haben. Er befindet sich wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. L. | |
verschwieg nach dem Krieg seine SS-Vergangenheit und emigrierte in die USA. | |
Dort wurde er 1982 nach Bekanntwerden seiner Vergangenheit ausgewiesen. Er | |
lebte bis zu seiner Verhaftung im baden-württembergischen Aalen. | |
Bei dem Oradour-Verfahren – es betrifft ein SS-Massaker gegen Zivilisten im | |
Zweiten Weltkrieg – werden nach Angaben des Dortmunder Staatsanwalts Ulrich | |
Schepers derzeit noch Ermittlungen gegen sechs Beschuldigte geführt. | |
Allerdings, so Schepers zur taz, seien wahrscheinlich drei der Männer nicht | |
mehr verhandlungsfähig. Zum Jahresende soll die Entscheidung fallen, ob und | |
gegen wen Anklage vor einem Schwurgericht erhoben wird. Im Juni 1944 wurden | |
in Oradour 642 Einwohner ermordet, darunter 247 Kinder. | |
27 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
NS-Verbrechen | |
Auschwitz | |
NS-Verbrechen | |
Vernichtungslager | |
Waffen-SS | |
SS-Massaker | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Auschwitz | |
Deutschland | |
Auschwitz | |
Konzentrationslager | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verfahren gegen SS-Mann abgelehnt: Vorwürfe nicht nachweisbar | |
Das Landgericht Köln lehnt ein Verfahren gegen 89-Jährigen wegen | |
mutmaßlicher Beteiligung am Massaker in Oradour-sur-Glane 1944 ab. | |
Juristin über Klage wegen SS-Massaker: „Vorsätzliche Vernichtung“ | |
Der einstige Kompanieführer Gerhard Sommer kann nach einem | |
Gerichtsbeschluss wegen des SS-Massakers vor 70 Jahren in Italien angeklagt | |
werden. | |
Doku über NS-Täter: Alles was man falsch machen kann | |
Der Filmemacher Stefan Ruzowitzky versucht sich mit „Das radikal Böse“ in | |
Täterpsychologie. Dabei ist er sich für nichts zu schade. | |
Justiz ermittelt wegen NS-Verbrechen: Die letzten lebenden Täter | |
Die Justiz nimmt mehr als 30 greise mutmaßliche Aufseher des | |
Vernichtungslagers Auschwitz wieder ins Visier. Ihnen wird Beihilfe zum | |
Mord vorgeworfen. | |
Prozess gegen Altnazi: Mordanklage nach 69 Jahren | |
Vor dem Landgericht Hagen muss sich seit Montag Siert B. verantworten. Die | |
Anklage lautet Mord. Die Tat liegt 69 Jahre zurück. | |
Arbeiter im KZ: Auschwitz und seine Mörder | |
Über 6.000 SS-Angehörige waren in dem Lagerkomplex tätig. Sie arbeiteten | |
als Wachmänner, Ärzte, Schlosser. Der Jüngste von ihnen wäre heute etwa 85. | |
Ermittlung gegen NS-Verbrechen: Lebende Täter gesucht | |
Die meisten KZ-Wachleute blieben unbehelligt. Jetzt wird es möglich, sie | |
wegen Beihilfe zum Mord anzuklagen. Juristen suchen auch in Lateinamerika. | |
Mutmaßliche NS-Verbrecher: Fahnder entdecken 50 KZ-Aufseher | |
Offenbar sind Fahnder bisher unbelangten mutmaßlichen NS-Tätern auf die | |
Spur gekommen. Es handelt sich um ehemalige KZ-Aufseher aus | |
Auschwitz-Birkenau. | |
Ehemaliger KZ-Aufseher soll vor Gericht: Tausendfacher Mord | |
Einem ehemaligen Ausschwitz-Aufseher soll der Prozess gemacht werden. Der | |
87-jährige könnte an der Ermordung von fast 350.000 Menschen beteiligt | |
gewesen sein. | |
NS-Verbrecher in Italien verurteilt: Lebenslange Haft für 90-jährige Nazis | |
In italienischen Bergdörfern töteten sie im hunderte Zivilisten. Neun | |
ehemalige Mitglieder der Division "Hermann Göring" sind nun von einem | |
italienischen Gericht verurteilt worden. |