# taz.de -- NS-Kriegsverbrecher in Niedersachsen: Verbrechen nicht vergessen | |
> Das niedersächsische Justizministerium will Verfahren gegen und | |
> Verurteilungen von NS-Kriegsverbrechern verstärkt nachgehen. | |
Bild: Nicht das einzige Kriegsmittel von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg:… | |
HAMBURG taz | Bisher konnte Alfred L. einen ruhigen Lebensabend genießen. | |
Der ehemalige Wehrmachtssoldat ist zwar in Italien 2012 rechtskräftig wegen | |
Massakern an der Zivilbevölkerung im Jahr 1944 verurteilt worden. Doch in | |
Deutschland hat das Urteil keine Rechtskraft, es ist für den 88-Jährigen | |
bisher folgenlos. Doch vielleicht ändert sich das demnächst, Ermittlungen | |
gegen L. laufen auch in Deutschland. Und: Die niedersächsische Politik | |
beschäftigt sich mit Ermittlungen gegen Menschen wie L. | |
Am Mittwoch tagt der Rechtsausschuss des Landtags zu dem Thema, laut | |
Tagesordnung geht es um die „zeitnahe Durchführung und den Abschluss“ der | |
Ermittlungen gegen NS-Verbrechen. Das Justizministerium will auch ganz | |
konkret über die Ermittlungen gegen jene Wehrmachtsdivision unterrichten, | |
der L. angehörte: der Division „Hermann Göring“. | |
Rückblende: Am frühen Morgen des 18. März 1944 umstellte die Division | |
„Hermann Göring“ die Dörfer Susano, Costrignano und Monchio. Nach starkem | |
Artilleriebeschuss rückte die Division mit gepanzerten Fahrzeugen vor. | |
In Susano durchsuchen sie jedes Haus, jede Scheune und erschossen die | |
Anwohner vor Ort, die jüngsten Opfer sind drei und sieben Jahren alt. Jedes | |
Gebäude, jeder Stall wird auch in Costrignano durchkämmt, die Frauen jedoch | |
in den Wald gejagt, die Männer auf einem Platz erschossen. | |
## Hinrichtung auf dem Dorfplatz | |
In Monchio trieben die Soldaten ebenso alle Männer auf einen Dorfplatz | |
zusammen, töten sie mit Maschinengewehren. Musik von einem erbeuteten | |
Grammofon wurde bei der Hinrichtung abgespielt, berichten Überlebende. | |
Allein an diesem Tag starben durch die Wehrmacht über 130 Menschen – auch | |
Kinder, Frauen und Alte. | |
„Auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist es Aufgabe der Justiz, | |
derartige Verbrechen soweit irgend möglich aufzuklären und Verantwortliche | |
zur Rechenschaft zu ziehen“, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Helge | |
Limburg. | |
Das Justizministerium um Ministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) | |
signalisierte schon vor der Sitzung des Ausschusses, dass es erhöhten | |
Handlungsbedarf sieht. „Das Ministerium vertritt grundsätzlich die | |
Auffassung, dass diese Verbrechen als Unrecht auch weiter verfolgt werden | |
müssten“, sagt Sprecher Alexander Wiemerslage. „Auch wenn die Täter schon | |
ein hohes Alter erreicht haben, sind wir diese Verfahren nicht bloß den | |
Opfern, sondern auch uns als Rechtstaat schuldig.“ | |
L. gehörte als 19-Jähriger der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring�… | |
an. Im November 2009 hatte vor dem Militärgericht Verona das Verfahren | |
gegen Angehörige der Division wegen den Massakern begonnen. | |
In Abwesenheit verurteilte das Militärgericht L. und sechs weitere | |
Angeklagte schließlich zu zweimal lebenslanger Haft. Drei Beschuldigte | |
waren verstorben, zwei Beklagte wurden freigesprochen. Das Militärgericht | |
sah es als erwiesen an, dass L. an den Massakern in Monchio, Susano, | |
Costrignano und am Monte Falterona beteiligt war. Es erklärte, dass L. „als | |
Befehlsempfänger in ständigem Kontakt mit dem Kommandanten“ effektiv dazu | |
beitrug, die Befehlskette einzuhalten. L. bestreitet jede Schuld. | |
## Geständnis am Telefon | |
Im Urteil beruft sich das Militärgericht auf Tagebucheinträge und | |
Telefonate von L. Die Staatsanwaltschaft Stade hatte im Rahmen der | |
Rechtshilfe Tagebücher gesichert und Gespräche abgehört. Sie fanden Notizen | |
zu Einsätzen gegen „Banden“, von blutiger Rache schrieb L. In einem | |
Telefonat soll er zu einem ehemaligen Vorgesetzten gesagt haben: „Wir haben | |
Frauen und Kinder erschossen.“ | |
Im Oktober 2012 betätigte das Berufungsgericht in Rom das Urteil. Gegen | |
diese Entscheidung ging L. nicht vor, sie ist somit rechtskräftig. | |
In Dortmund laufen schon länger bei der Staatsanwaltschaft Ermittlungen | |
gegen L. und Angehörige der Division. „Das Verfahren ist noch nicht | |
abgeschlossen“, sagt Andreas Brendel von der Zentralstelle für die | |
Bearbeitung von NS-Massenverbrechen. | |
L. ist pensionierter Förster und war lange im Dorfleben seiner | |
Heimatgemeinde Harsefeld aktiv. Genau dort löste derweil der Film „Die | |
Geige von Cervarollo“ eine Debatte aus – er handelt von einem Massaker der | |
Hermann Göring Division, an der L. nicht nachweislich beteiligt war. Die | |
Linke wollte ihn am 3. Mai im Hotel „Eichhorn“ zeigen. Aus „technischen | |
Gründen“ sagte der Wirt die Vorführung ab. Ganz andere Gründen weiß der | |
Bundestagskandidat der Linken, Michael Quelle: „Es gab Drohungen aus | |
rechtsextremen Kreisen und einzelne Harsefelder äußerten Unmut.“ | |
7 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
## TAGS | |
Wehrmacht | |
Nazis | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
NS-Überlebender über Wehrmacht: „Hätte ihm ins Gesicht sehen wollen“ | |
In Italien wurde der ehemalige Wehrmachtssoldat Alfred L. wegen eines | |
Massakers verurteilt. Die taz sprach mit dem Überlebenden Armando Tincani | |
und seinem Sohn. | |
Debatte Exponat Guillotine: Soll man ein Nazi-Fallbeil zeigen? | |
Die Nationalsozialisten ließen in München einst über 1.000 Menschen mit dem | |
Fallbeil hinrichten. Der Fund der Guillotine hat eine Kontroverse | |
ausgelöst. | |
Bericht zu Nazi-Verbrechen in Polen: Das Warschauer Ghetto ist zerstört | |
„Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.“ So heißt ein | |
original NS-Bericht, den das polnische Institut für Nationales Gedenken | |
vorgestellt hat. | |
Aufarbeitung Zweiter Weltkrieg: Moralische Wiedergutmachung | |
Eine Historikerkommission hat die von deutschen Soldaten an Italienern | |
verübten Verbrechen untersucht. Sie empfiehlt den Bau einer Gedenkstätte. |