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# taz.de -- „Allein unter Deutschen“: Ein jüdischer Autor im Land der Tät…
> Die Deutschen seien antisemitisch und rassistisch, schreibt Tuvia
> Tenenbom in seinem Reisebericht. Versöhnlich stimme ihn manchmal nur ein
> Schnitzel.
Bild: Hält mit seiner Meinung über die Deutschen nicht hinter dem Berg: Tuvia…
Tuvia Tenenbom, 1957 als Sohn eines Rabbiners in Jerusalem geboren,
Journalist und Gründer des „Jewish Theater of New York“, ist im Sommer 2010
durch Deutschland gereist, um herauszufinden, wie die Deutschen mit ihrer
Vergangenheit umgehen.
2011 erschien seine Reisereportage unter dem Titel „I Sleep in Hitler’s
Room: An American Jew visits Germany“ in den USA. Im April dieses Jahres
sollte es als „Ich bin Deutschland“ und Spitzentitel beim Rowohlt Verlag
herauskommen. Doch Rowohlt löste den Vertrag. Der Verlag hatte juristische
Bedenken, weil nicht alle interviewten Personen informiert wurden, dass die
Interviews für ein Buch verwendet werden und befürchtete Klagen.
Aus Tenenboms Sicht wollte Rowohlt Zensur üben und die krassesten Beispiele
für Antisemitismus kürzen, wie die Reportage über seinen Besuch in einem
Neonazitreffpunkt. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einem „einmaligen
Vorgang in der deutschen Verlagsgeschichte“. Tenenbom aber fühlte sich
beleidigt, weil er in dem Artikel als „Der Jude Tenenbom“ bezeichnet wurde.
## Über Humor lässt sich nicht streiten
Nun ist das Buch unter dem Titel „Allein unter Deutschen“ bei Suhrkamp
erschienen. Tenenboms Deutschlandreise ist äußerst subjektiv und über Humor
lässt sich bekanntermaßen nicht streiten. Tenenbom, in dessen Familie es
zahlreiche Holocaust-Opfer gab, wechselt immer wieder seine Identität,
stellt sich mal als Pole, Jordanier oder Tourist vor und versucht, seine
Gesprächspartner mit naiven und provokanten Fragen aus der Reserve zu
locken.
Ähnlich wie der britische Komiker Sacha Baron Cohen, der als
antisemitischer kasachischer Fernsehreporter und Zigeunerhasser Borat seine
Gesprächspartner provoziert, findet es Tenenbom lustig, von dem Balkon des
Weimarer Hotels „Elephant“, von dem Adolf Hitler zu seinen Anhängern
sprach, „im Hitlerstil“ herunterzuwinken.
Tenenbom unterhält sich mit bekannten Personen wie Helmut Schmidt, Helge
Schneider, Giovanni di Lorenzo oder Kai Diekmann als auch mit
Zufallsbekanntschaften, er begleitete linke Autonome auf einer
1.-Mai-Demonstration, besuchte Synagogen, eine Tattoomesse, die
Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, die Passionsspiele in
Oberammergau, den Weltkirchentag in München. Ein jüdischer Autor im Land
der Täter – trotz dieser Konstellation ist der Erkenntnisgewinn des Buches
gleich null.
## „Ich heiße Tobias und bin ein reinrassiger Arier“
Zu sehr gefällt sich Tenenbom in der Rolle des Chamäleons. Er nennt es
„erhaben“, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Als er den Neonazitreff
„Club 88“ in Neumünster besucht, gibt er sich als Computerfachmann aus den
Vereinigten Staaten mit deutschen Eltern aus. „Ich heiße Tobias und bin ein
reinrassiger Arier.“ Erwartungsgemäß hört das der rechte Kneipier gern,
spendiert Freigetränke und erklärt, dass im Zweiten Weltkrieg „nie und
nimmer“ sechs Millionen Juden umgekommen sein können, weil es 72 Minuten
dauere, einen Menschen zu vergasen oder zu verbrennen.
Als Tenenbom wissen will, „wie wir mit den heutigen Juden verfahren
sollen“, antwortet der Rechte: „Sie töten!“ Tenenbom nennt ihn „einen
wirklich liebenswürdigen und großzügigen Menschen“. Nachdem dieser ein Lied
gesungen hat – „Wir haben Krematorien und in jedem steckt ein kleiner Jude�…
– attestiert er ihm „eine gute Stimme“.
## „Die Deutschen sind antisemitisch und rassistisch bis ins Mark“
Mit seiner Meinung über die Deutschen hält er nicht hinter dem Berg: „Sie
sind antisemitisch und rassistisch bis ins Mark, verdecken es aber mit
Masken, Liebesbekundungen und öffentlichen Umarmungen des anderen.“ Solche
Gedanken, schreibt er, gingen ihm an die Nieren. „Weil ich tief in mir die
Deutschen liebe.“ Versöhnlich stimmen ihn nur ganz wenige Dinge auf seiner
Reise. Nachdem er in München ein ausgezeichnetes Schnitzel verspeist hat,
ist es ihm „ziemlich wurscht“, was Deutsche über Juden denken. „Solange …
ihre Schnitzel genießen kann, sollen sie gesegnet sein.“
Als einen der „witzigsten und kompetentesten Menschen“, die er getroffen
hat, nennt er Adolf Sauerland, den ehemaligen Bürgermeister von Duisburg,
der nach der Katastrophe der Love Parade, bei der 21 Menschen ums Leben
kamen, keine gute Figur machte. Dass der ihm so gefällt, kann aber auch an
dessen Vornamen liegen.
## „Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise“. Aus dem Amerikanischen
von M. Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 431 S., 16,99 Euro
14 Dec 2012
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
Barbara Bollwahn
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