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# taz.de -- Zum 100. Geburtstag von Heinz Galinski: „Darum sind wir heute nur…
> Heinz Galinski wäre am 28. November 100 Jahre alt geworden. Er war der
> erste Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Bild: Streitbar und umstritten: Heinz Galinski.
Es war 1984. Ich war unlängst aus Toronto nach Berlin gekommen und besuchte
eine Sitzung des Gemeinderates, also der Repräsentantenversammlung der
Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Fasanenstraße. Die Sitzung war
öffentlich, der Sitzungssaal voll, und die Sitzung begann wie immer, indem
der Vorsitzende einem Mitglied zum Geburtstag gratulierte; Wodka und Kuchen
machten die Runde.
Der Vorsitzende war Hans Rosenthal, der legendäre Entertainer im deutschen
Fernsehen. Nun war Heinz Galinski, der Gemeindevorsitzende, an der Reihe
und begann, wie immer, scharf mit aktuellen Feinden des Judentums von außen
und von innen abzurechnen – und mochten die Feinde des Judentums auch nur
seine eigenen Feinde gewesen sein.
Wie vom Donner gerührt war ich, als er plötzlich eine Seite aus der letzten
Zeit empört in die Höhe hob und meinen Namen nannte; ein hergelaufener
Professor aus Kanada, der es wagt, die jüdische Führung in Deutschland, vor
allem den Zentralratsvorsitzenden Werner Nachmann, als eng mit der
deutschen politischen Klasse liierte „Hofjuden“ zu bezeichnen. Der Artikel
hatte den Titel „Opfer zu Komplizen gemacht“, und ich beschrieb dort, wie
sich jüdische Funktionäre, den Hofjuden der Neuzeit gleich, deutschen
Politikern anbiederten.
Ich ging nach vorne zu Rosenthal: ich sei der Autor des Artikels und würde
mich einer Debatte stellen. Galinski war sichtlich geschockt, mich vor sich
zu haben; zu einer Diskussion ist es nie gekommen.
Um den autoritären Führungsstil in den jüdischen Gemeinden zu jener Zeit,
um die Invasion des Libanon, die Bürgerrechte der Palästinenser in Israel
und in den besetzten Gebieten und um Unterstützung der Einwanderer und
Asylbewerber ging es in unserer Jüdischen Gruppe, die sich 1982
zusammenfand. Alisa Fuss, deutsch-israelische Emigrantin, war die
Initiatorin der Gruppe. Für Heinz Galinski war die Gruppe ein rotes Tuch.
## Provisorische neue Heimat
Aus der Distanz von über 30 Jahren ergeben sich andere Perspektiven. Es war
Galinskis autoritärer Führungsstil, der den amorphen und anarchischen
Haufen traumatisierter Juden in Berlin nach 1945 unter einen Hut brachte,
in die Einheitsgemeinde, in der Juden verschiedener Orientierung in den
Synagogen Pestalozzistraße, Joachimsthaler Straße oder am Fraenkelufer in
Westberlin ihre provisorische neue Heimat fanden.
Galinskis tiefes Bestreben nach Integration schloss selbstverständlich die
Juden Ostberlins ein, die über die Jahrzehnte mit seinem Engagement auch
von Kantoren und Rabbinern aus dem Westen unterstützt wurden. Dieser
integrative Hang ging noch weit darüber hinaus. Galinski sah Juden und
Nichtjuden gleichermaßen als Opfer des Faschismus, Sinti und Roma
eingeschlossen, und zum Gedenktag für die Opfer des Faschismus am zweiten
Sonntag im September der Nachkriegsjahre erwartete er, dass die jüdische
Gemeinde teilnahm.
1946 verfügte Galinski in der Gemeindezeitung Der Weg: „Die jüdische
Gemeinschaft wird an ihr (der Feierstunde) geschlossen teilnehmen. Es wird
erwartet, dass jeder, dessen Gesundheitszustand es erlaubt, zur gemeinsamen
Feier erscheint.“
Dieses integrative, ja universalistische Motiv schloss alle ein, die sich
„der niederreißenden Pestflut des Faschismus“ entgegenstemmten und bereit
waren, für die Ideale der Humanität, der Freiheit und des Friedens ihr
Leben einzusetzen. So versuchte er, dass alle Verfolgten des Nazi-Regimes
in Ost und West und trotz des Kalten Kriegs vereinigt blieben. Selbst als
die SPD das Signal zum Rückzug aus der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes gab, versuchte der Sozialdemokrat Galinski in der bereits
kommunistisch gelenkten Organisation zu verbleiben.
## Die Gründung Israels
Galinski stammte aus Marienburg, einer westpreußischen Kleinstadt, in der
deutscher Patriotismus besonders hoch im Schwange war; gleichzeitig war der
Antisemitismus rabiat. Eben diese beiden Faktoren prägten nicht nur sein
Judentum, sondern auch seine Affinität zum Deutschtum. Was sein Judentum
angeht, so war er liberal orientiert, lehnte aber das sogenannte
„Assimilantentum“ entschieden ab: „Der Traum der Emanzipation hat sich als
eine moralische Unwahrheit herausgestellt. Darum sind wir heute nur Juden.“
Mit der Gründung Israels habe sich die Situation des jüdischen Volkes
radikal verändert. Für ihn war der Traum der Emanzipation zu Ende gekommen:
Seine Familie floh vor dem furiosen Nazismus im Danziger Hinterland und zog
nach Berlin, wo sie die Novemberpogrome erleben musste. Seine Familie wurde
in Arbeitslager und später nach Auschwitz deportiert, wo seine Frau und
seine Mutter ermordet wurden. Galinski überlebte; in Bergen-Belsen wurde er
von der britischen Armee befreit.
Sein Judentum war klar umrissen und dem Deutschen gegenüber ebenbürtig, und
als ebenbürtig trat er auch gegenüber deutschen Behörden auf. Im Gegensatz
zu den kriminellen Machenschaften Nachmanns, die er zu seinem Bedauern nie
aufdecken konnte, war er unbestechlich. Pardon, Herr Galinski, ein Hofjude
waren Sie nicht.
28 Nov 2012
## AUTOREN
Michal Bodemann
## TAGS
Juden
Israel
Schwerpunkt Rassismus
SPD
Hitler
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