# taz.de -- NS-Massaker in der Toskana: „Es schreit zum Himmel“ | |
> Bei seinem Besuch im toskanischen Sant’Anna di Stazzema findet | |
> Bundespräsident Gauck klare Worte für das NS-Verbrechen. | |
Bild: Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano (l) und Bundespräsident Joa… | |
ROM taz | Am Sonntag besuchte Bundespräsident Joachim Gauck das toskanische | |
Dorf Sant’Anna di Stazzema, um dort mit seinem italienischen Kollegen | |
Giorgio Napolitano der 560 Opfer eines Massakers der Waffen-SS im August | |
1944 zu gedenken. Zugleich wollte Gauck mit seinem Besuch auch indirekt | |
Abbitte leisten für zwei in Italien als empörend empfundene juristische | |
Entscheidungen des letzten Jahres: Ein Urteil des Internationalen | |
Gerichtshofes in Den Haag hatte Entschädigungsansprüche der Opfer gegenüber | |
dem deutschen Staat endgültig ausgeschlossen. Zudem hatte die | |
Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter von | |
Sant’Anna eingestellt. | |
Gauck fand klare Worte. „Das Verbrechen, das hier stattgefunden hat, | |
schreit bis heute zum Himmel“, erklärte er, „es verletzt unser Empfinden | |
für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht überführt werden können, wenn | |
Täter nicht bestraft werden können, weil die Instrumente des Rechtsstaats | |
das nicht zulassen.“ | |
Es war der 12. August 1944, als Waffen-SS-Einheiten in den Bergen der | |
nördlichen Toskana zuschlugen, zur „Bandenbekämpfung“. Als Rache für | |
Angriffe italienischer Partisanen schlachteten sie dort die gesamte | |
Bevölkerung ab, derer sie habhaft werden konnten; das jüngste Opfer war 20 | |
Tage alt. Drei Kinder überlebten, weil sie sich unter einer Treppe | |
versteckten. Einer von ihnen war der damals 10-jährige Enrico Pieri, heute | |
Vorsitzender der Opfervereinigung des Orts. Pieri hatte bei dem Massaker | |
seine Eltern und Großeltern, seine zwei Schwestern, Onkel, Tanten und | |
Cousins verloren. Im Februar hatte er dem italienischen Präsidenten | |
Napolitano für seinen Staatsbesuch in Deutschland einen Brief an Gauck | |
mitgegeben. | |
## Keine Auslieferung | |
Hintergrund des Briefs war die Empörung über die am 1. Oktober 2012 | |
bekanntgegebene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart, das | |
Verfahren gegen acht noch lebende Angehörige der Waffen-SS einzustellen. Im | |
Nachhinein, so die Staatsanwälte, lasse sich der Nachweis nicht führen, | |
„bei dem Massaker habe es sich um eine von vorneherein geplante und | |
befohlene Vernichtungsaktion gegen die Zivilbevölkerung gehandelt“. | |
Anders hatte die italienische Justiz das Morden gewürdigt: 2005 waren zehn | |
der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Doch eine Auslieferung | |
erfolgte nicht; stattdessen sagte Deutschland eigene Ermittlungen zu – die | |
vor wenigen Monaten im Nichts endeten. | |
Enrico Pieri hatte versucht, in Stuttgart mit Ministerpräsident Kretschmann | |
und Justizminister Stickelberger zu sprechen, war aber nicht empfangen | |
worden. Anders reagierte nun Gauck. „Kein leichter Gang“, sagte er, sei es | |
für einen Deutschen, nach Sant’Anna zu kommen, „nicht namenlos“ seien die | |
Täter, und auch wenn sie nicht verurteilt werden könnten, so sei doch „das | |
Urteil über Gut und Böse auch möglich, wenn Gerichte nicht zu einem | |
Schuldspruch gelangen“. | |
24 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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