# taz.de -- Nachhaltige Energieproduktion: Ein zartes Pflänzchen | |
> Pflanzen werden häufig angebaut, um aus ihnen Strom oder Wärme zu | |
> gewinnen. Nachhaltiger wäre es, sie erst anders zu nutzen und nur Abfälle | |
> zu verbrennen. | |
Bild: Erst wachsen lassen, um dann zu verbrennen: Ernte im brasilianischen Soja… | |
BERLIN taz | Für den deutschen Biokraftstoffverband beginnt ein Jahr des | |
Schreckens. „2013 wird es für die Biodieselhersteller wieder schwieriger“, | |
sagt Geschäftsführer Elmar Baumann. 100.000 Tonnen reiner Biodiesel werden | |
derzeit in Deutschland noch abgesetzt, das ist die Jahresproduktion eines | |
mittelgroßen Herstellers. | |
Am 1. Januar sind die Steuern auf puren Biodiesel von 18,60 Cent pro Liter | |
auf 45 Cent pro Liter gestiegen – „damit fliegt der reine Biodiesel raus“, | |
sagt Baumann. Als Geschäftsfeld bleibt, Biodiesel an die Mineralölkonzerne | |
zu verkaufen, die das Öl aus Raps, Soja oder Palmöl dann ihrem fossilen | |
Diesel beimischen. Während die Dieselindustrie stöhnt, geht es der | |
Bioethanol-Konkurrenz dank hoher Beimischungsquoten besser: In den ersten | |
drei Quartalen hat sie rund 447.000 Tonnen Treibstoff abgesetzt, ein Plus | |
von 21 Prozent. | |
Allerdings erwartet die ganze Branche im kommenden Jahr Ärger, in Form des | |
sogenannten Iluc-Faktors. Iluc klingt erst mal putzig; doch die Abkürzung | |
steht für die Anstrengung, für die Kraftstoff- und Energieproduktion nur | |
noch solche Pflanzen zu benutzen, für die etwa keine Regenwälder gerodet | |
oder Moore trockengelegt wurden. | |
Eigentlich wollte die Europäische Union das ganz einfach in einer | |
Verordnung regeln: Die Importeure von Soja, Palmöl oder Mais müssen genauso | |
wie heimische Rapsbauern nachweisen, dass ihre Pflanzen nachhaltig angebaut | |
wurden. Nur Pflanzen mit solch einem Nachweis dürfen die Mineralölkonzerne | |
ihrem Erdölsprit beimischen, um die vorgegebenen Quoten zu erfüllen. | |
Eigentlich eine gute Idee. Sie hat nur nicht funktioniert: Heute stammt das | |
Palmöl für den Biodiesel von schon lange bestehenden Plantagen. Und nebenan | |
wird Regenwald gerodet, um neue Plantagen anzulegen, deren Ernte für die | |
Herstellung von Schokolade, Pizza oder Waschmittel verwendet wird. | |
Nachhaltiger ist also gar nichts. | |
Die EU will nun gegensteuern, und im Laufe dieses Jahres ein neues Konzept | |
entwickeln, das solche „indirekten Landnutzungsänderungen“ – Englisch: | |
indirect landuse change (Iluc) – einberechnet. Doch das ist kompliziert. | |
Wie soll ermittelt werden, welche Äcker nur deswegen für Futtermittel | |
bestellt wurden, weil an anderer Stelle mehr Energiepflanzen wuchsen? | |
## Mehr Holz verbrannt als verbaut | |
„Der Vorschlag der EU-Kommission basiert auf einem hanebüchenen Konzept und | |
komplett realitätsfernen Berechnungen“, wettert Baumann. Viel wirksamer als | |
komplizierte Regelwerke seien bilaterale Verhandlungen mit Staaten wie | |
Indonesien oder Brasilien; Importe von Biokraftstoffen müssten davon | |
abhängig gemacht werden, dass diese „Krisenländer“ nicht länger ihre | |
Regenwälder rodeten. „Aber dagegen sprechen andere wirtschaftliche | |
Interessen“, so Baumann, „das ist eine scheußliche Heuchelei“. Den | |
Biokraftstoffen würde somit systematisch der Garaus gemacht, die | |
Arbeitsplätze der rund 128.000 Beschäftigten der mittelständischen Branche | |
vernichtet. | |
„Halt!“, ruft da Michael Carus. Er ist Geschäftsführer des Kölner | |
Nova-Instituts, das sich seit Jahren mit der Frage befasst, auf welche | |
Arten sich Pflanzen nutzen lassen. Auch er sieht eine Fehlentwicklung in | |
Deutschland, aber eine ganz andere als die Biokraftstoffindustrie: Es wird | |
nämlich immer mehr Mais, Raps und Holz gebraucht, um Energie zu gewinnen. | |
Für Carus eine bedenkliche Entwicklung: „Heftig wird diskutiert, dass | |
Solaranlagen zu hoch subventioniert werden“, so der Experte, „dass Energie | |
aus Pflanzen ebenfalls viel zu hoch gefördert wird, spielt in der | |
Öffentlichkeit kaum eine Rolle.“ Dabei sei diese Fehlsteuerung wesentlich | |
folgenreicher. „Das erste Mal in der Geschichte dieser Region haben wir in | |
Deutschland mehr Holz verbrannt, als es stofflich zu nutzen“, sagt Carus. | |
Auch das Umweltbundesamt hat das Thema auf dem Schirm. Erste Ergebnisse | |
seines Projekts „Ökologische Innovationspolitik – Mehr Ressourceneffizienz | |
und Klimaschutz durch nachhaltige stoffliche Nutzungen von Biomasse“ hat es | |
kürzlich in Berlin vorgestellt. Einer der Redner auf der Konferenz: Michael | |
Carus. | |
Um seine Sorge über die fehlgesteuerte Energiepolitik zu illustrieren, hat | |
Carus eine Grafik mit zwei Linien gemalt: Die grüne steht für Holz, das zu | |
Dachstühlen, Treppen, oder Schränken verarbeitet wurde; die rote Linie | |
steht für Holz, das verbrannt wurde, um Strom und Wärme zu erzeugen. Immer | |
verlief diese Linie unter der grünen. Doch vor Kurzem haben sie sich | |
gekreuzt, die rote hat die grüne überholt. Als Ursache nennt Carus eine | |
falsche Förderpolitik: „Wer aus Pflanzen Energie gewinnt, wird immens | |
gefördert“, sagt er, „wer sie stofflich nutzt, bekommt nichts“. | |
Die Beispiele dafür, dass die energetische Nutzung die stoffliche | |
verdrängt, sind so zahlreich wie verschieden. Kunststoffe aus | |
nachwachsenden Rohstoffen – zum Beispiel aus Mais oder Zuckerrüben – | |
quetschen sich seit Jahren in kleinen Marktnischen. Laut Umweltbundesamt | |
hatten die Biokunststoffe 2009 am voluminösen Verpackungsmarkt in | |
Deutschland – insgesamt wurden hier 2,64 Millionen Tonnen Kunststoffe | |
verbraucht – einen Marktanteil von nur 0,5 Prozent. | |
## Energie aus Abfällen | |
Seit Jahren verkündet die Branche stolz wachsende Produktionskapazitäten, | |
nur will kaum jemand ihre Folien und Tüten kaufen. Bioplastik habe | |
inzwischen einen ähnlich schlechten Ruf wie Biokraftstoff, klagt Mark | |
Vergauwen, beim globalen Branchenführer Natureworks fürs Europageschäft | |
zuständig. Noch verwendet das amerikanische Unternehmen Mais als Rohstoff; | |
die Zukunft sieht es anderswo. Zum Beispiel ist es an Forschungsvorhaben | |
beteiligt, in denen Kunststoffe aus Abfällen oder landwirtschaftlichen | |
Reststoffen hergestellt werden. | |
Allerdings zeichnen sich auch hier Probleme ab. In Brüssel und Berlin sind | |
Abfall und Reststoffe (wie Stroh) derzeit sehr in Mode, gelten sie doch als | |
ein Ausweg aus dem Tank-Teller-Dilemma: Schließlich kann man sie, anders | |
als Mais und Weizen, nicht essen. Also heißt es: Aus Stroh, Restholz und | |
Kartoffelschalen können wir wunderbar Energie gewinnen, anstatt sie | |
wegzuschmeißen. | |
Das Problem ist nur: Das tun wir gar nicht. Bioabfälle, also etwa Gras aus | |
Parks, Äste aus Kleingärten oder Apfelgriepsche aus dem Mülleimer, werden | |
fast gänzlich zu Kompost verarbeitet. Die wertvolle Erde, die daraus | |
entsteht, landet überwiegend auf Äckern der Landwirte, aber auch bei | |
Hobbygärtnern, im Park- oder Landschaftsbau. „Das ist eine funktionierende | |
Kreislaufwirtschaft“, sagt Michael Schneider, Geschäftsführer des Verbandes | |
der Humus- und Erdenwirtschaft. | |
Aber durch die Förderung durch das Erneuerbare Energien-Gesetz „geraten | |
immer mehr Bestandteile in den Ofen, die eigentlich zurück auf den Boden | |
gehören“, so Schneider. Bei reinen Holzabfällen – etwa Baumschnitten aus | |
Parks – sind es schon bis zu 30 Prozent. | |
Denkt Denny Ohnesorg an Holz, fallen ihm nicht als Erstes Kompostanlagen | |
ein, sondern Möbel oder Häuser. Aber auch der Geschäftsführer des | |
Holzwirtschaftsrats, der Unternehmen wie Tischlereien oder Sägewerke | |
vertritt, sieht mit Sorge steigende Holzpreise und ein stetig knapperes | |
Angebot. Allein ein Drittel des Holzes aus deutschen Wäldern werde | |
inzwischen in privaten Öfen verbrannt, berichtet er, auch effiziente | |
Pelletanlagen saugten große Mengen auf. | |
## Erst verbauen, dann verbrennen | |
Die politischen Initiativen, mehr Pflanzen zu nutzen, um CO2 einzusparen, | |
sieht er kritisch: „Die Energiestrategie und die Biomassestrategie der | |
Bundesregierung sind nicht aufeinander abgestimmt.“ Anstatt Holz einfach zu | |
verbrennen, müsse es in Kaskaden genutzt werden, also erst als Bauholz oder | |
Möbel, dann als Spanplatte und erst dann zur Verbrennung. | |
Ob Biokunststoffe, Bauholz oder Kompost – die Liste lässt sich fortsetzen | |
–, die biobasierte Wirtschaft kommt nicht auf die Beine, sagt Carus. | |
Inzwischen habe sich in Deutschland ein völlig undifferenzierter Diskurs | |
entwickelt, der beinahe jede Nutzung von Biomasse verteufele. Der Kampf | |
verschiedener Umweltorganisationen gegen Kunststoffe auf Pflanzenbasis zum | |
Beispiel ist für den Fachmann nicht nachvollziehbar. | |
„Irgendwie müssen wir Erdöl ersetzen, das wird jeden Tag schmutziger“, sa… | |
er. Es müsse eine realistische Vorstellung über die Verfügbarkeit von | |
Ölpflanzen, Holz und Getreide entwickelt werden, fordert Carus, um dann ein | |
Konzept für eine möglichst effiziente Landnutzung zu entwickeln. Es sieht | |
nicht so aus, als ob die Experten in den Ministerien und Behörden in | |
Brüssel und Berlin in diesem Jahr dazu Zeit hätten. Sie müssen ja die | |
Iluc-Faktoren für die Biokraftstoffe entwickeln. | |
2 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
Heike Holdinghausen | |
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