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# taz.de -- Hamburger Jugendlicher über die Haasenburg: "Alle sagen: Scheiße,…
> Nicht am Fenster stehen, nicht aufs Bett setzen, Kontrolle selbst beim
> Duschen. Ein Hamburger Jugendlicher kommt zurück aus dem Heim in
> Brandenburg und berichtet.
Bild: Stand in der Haasenburg permanent unter Beobachtung: Nikolas.
taz: Nikolas, wann und weshalb kamst du in die Haasenburg?
Nikolas: Ich habe Diebstähle begangen und die Schule geschwänzt. Und ich
kam nicht mit meiner Mutter klar. Deshalb bin ich auf Antrag meiner
Amtsvormünderin im Juni 2011 dorthin gekommen.
Und wie war das?
Ich wurde von fünf Erziehern empfangen und gleich auf mein Zimmer gebracht.
Dort war nur ein Bett, ein Tisch, ein Plastikstuhl, sonst gar nichts. Ich
musste meine schwarze Jeans gegen eine helle Jogginghose tauschen. Alles
Weitere musste man sich erarbeiten. Ich musste einen Aufnahmeordner mit
vielen Aufgaben durcharbeiten.
Allein 18 Seiten zur Frage, welche Gewalterfahrungen ich hatte, mit einem
kurzen Bleistift. Und jedes Mal, wenn mehr als drei Fehler auf einer Seite
waren, musste ich alles neu schreiben. Ich habe eine
Lese-Rechtschreib-Schwäche. Darauf nahmen die keine Rücksicht, deshalb
dauerte das bei mir sehr, sehr lange.
Das Heim hat drei Phasen. Du warst zunächst in der „Phase Rot“ mit den
wenigsten Freiheitsrechten. Wie lang ging die?
Im Prinzip anderthalb Jahre. Erst am Schluss kam ich in „Phase Gelb“.
Hattest du Kontakt zu anderen?
Ich hab in der Anfangsphase 90 Tage auf meinem Zimmer gesessen und durfte
mit keinem anderen Jugendlichen reden. Man kann in der Zeit durch das
Einhalten von Regeln Chips sammeln. Für zwei Chips darfst du an der
Abendrunde teilnehmen.
Was ist das?
Das sitzen alle im Kreis und sollen sagen, wie ihr Tag war und ob sie ihre
Chips verdient haben. Die Erzieher sagen dann, ja du hast den Chip
verdient. Oder nein, du hast gegen Verhaltenspunkt so und so verstoßen.
Aber man darf während der Neuaufnahme-Phase sowieso nicht dahin. Ich durfte
erst im Herbst an diesen Abendrunden teilnehmen. Dann bin ich aber in einer
Kurzschlussreaktion weggelaufen. Die haben dazu „Fluchtversuch“ gesagt und
mich wieder zurück auf Null gestuft.
Also wieder nur im Zimmer?
Ja.
Kamst du an die frische Luft?
Einmal am Tag bin ich 20, 30 Minuten ums Haus gegangen. Unter Bewachung von
vier Erziehern.
Was war das Schlimmste?
Dass ich permanent unter Beobachtung stand. Sogar nachts haben die mit der
Taschenlampe ins Zimmer geleuchtet und waren richtig laut. Auch wenn ich
auf Klo ging, stand die Tür richtig offen. Und beim Duschen stand ein
Erzieher direkt vor der durchsichtigen Duschtür.
Hatten die Angst, dass du Seife verschluckst?
Die hatte ich ja gar nicht drin. Wir mussten das Duschgel immer gleich
wieder rausgeben.
Also haben sie dich nackt gesehen. Nahmen sie keine Rücksicht auf dein
Schamgefühl?
Nein.
Ich hörte vom Landesjugendamt, man wolle eben aufpassen, dass ihr
Jugendlichen euch nicht verletzt.
Das war bei mir kein Thema. Ich hab mich nie geritzt oder so. Da werden
einfach alle Jugendlichen über einen Kamm geschert.
Hast du Gewalt erfahren?
Gleich am ersten Tag saß ich in einer Lücke zwischen Bett und Wand auf dem
Boden und hab geweint. Dort darf man aber nicht sitzen, weil die Erzieher
einen dann nicht sehen können. Da kamen zwei Erzieher rein und haben mich
dort hervorgezerrt, einer rechts, einer links.
Sie haben mir beide Arme auf den Rücken verdreht und beide Handgelenke so
umgebogen, dass die Gelenke später sehr weh taten. Dann haben sie mich auf
den Boden gebracht – zwei 100-Kilo-Männer – und 20 Minuten dort
festgehalten. Von dem rauen Brandschutz-Teppich hatte ich Schürfwunden am
Kopf und an der Hand.
Ihr durftet nicht mal auf dem Boden sitzen?
Ja. Und man darf auch nicht auf dem Bett sitzen oder liegen, sonst nehmen
die das raus. Die sagen, das ist nur zum Schlafen.
Ist so etwas noch mal vorgekommen?
Ich musste mal zwei Stunden stramm stehen im Zimmer. Dass nennen die
Auszeit. Das dauert so lange, bis sie meinen, dass man wieder
runtergekommen ist. Nur: Was man dafür tun muss, weiß man halt nicht.
Wie kam es dazu?
Ich hatte am Fenster gestanden. Das darf man nicht, weil man Kontakt zu
anderen Jugendlichen aufnehmen kann. Dann wurde ich gebeten, vom Fenster
wegzugehen. Ich bin dann aufs Bett und hab geweint. Da kamen die Erzieher
rein und haben mir die Auszeit gegeben. Die wollte ich nicht annehmen, weil
ich nichts Böses gemacht hab. Dann haben die gesagt, du bleibst hier in der
Mitte stehen, bis wir wiederkommen. Das hat zwei Stunden gedauert. Ich
konnte mich nicht setzen, obwohl mir die Beine weh taten. An dem gleichen
Abend musste ich noch mal stehen.
Wie wissen die Erzieher, was du tust?
Die Tür steht immer eine Handbreit offen. Ein Erzieher geht immer rum und
guckt rein und bewacht mehrere Türen. Wenn etwas passiert, drückt er seinen
Alarmknopf am Walkie Talkie und sie kommen alle angerannt. Auf der Etage
ist auch ein Time-out-Raum. Da kommt man auch rein, wenn man Anweisungen
nicht annimmt.
Zum Beispiel?
Wenn man mit einem Lehrer oder Erzieher eine heftige Diskussion hat und
etwas lauter wird. Dann kommen die sofort rein. Ein Erzieher hat mich zum
Beispiel auf meinen Strafprozess angesprochen, bei dem er dabei war. Die
Sache ist jetzt erledigt, ich bekam einige Arbeitsstunden auferlegt. Aber
er hat mich später wegen meiner Aussage als Lügner bezeichnet. Das machen
die häufiger, dass sie extra provozieren, das haben sie auch zugegeben.
Angeblich um meine Frustrationsgrenze zu testen und zu erhöhen.
Bist du mal gewalttätig geworden?
Nein. Es ging immer nur um Worte und laut werden.
Wie war dein Alltag?
Anstrengend. Man hat einen ganz engen Stundenplan. Ich wurde oft nicht
fertig mit dem, was von mir verlangt wurde. Mittagsessen, Entspannungsübung
und Abwasch zum Beispiel muss in einer Stunde erledigt sein. Nachmittags
gibt es laut Plan anderthalb Stunden Gartenprojekt oder Sporttherapie. Das
fällt oft aus. Dann muss man wieder am Schreibtisch sitzen und über
Gartenarbeit schreiben.
Ich war im Haus Müncheberg, da gibt es die strengsten Regeln von allen
Häusern. Man muss zum Beispiel immer rechts neben dem Erzieher laufen und
geradeaus gucken und eine Armlänge Abstand halten.
Uns liegen Hausregeln vor, in denen das nicht steht.
Das sind die von Haus Neuendorf. Die geben sie immer raus, wenn Behörden
fragen.
Wurden deine Briefe gelesen?
Ja, das kam vor. Auch wenn ich mit meinem Anwalt telefonierte, wurde
mitgehört. Und ich wurde danach für das, was ich gesagt hab, kritisiert.
Was hat das mit dir gemacht, dass du so bewacht wurdest?
Es war schwer. Ich hab mich auch öfter beschwert. Zum Beispiel bei der
Heimleitung und bei der Beschwerdekommission von Professor Dr. Bernzen. Es
kam auch eine Sozialpädagogin und hat mit mir gesprochen, aber danach habe
ich nichts mehr davon gehört. Später habe ich in einem Brief an mich
gesehen, dass der Professor als Anwalt der Haasenburg arbeitet.
Seit einigen Tagen bist du wieder in zurück Hamburg. Wie bist du aus der
Haasenburg rausgekommen?
Mein erster Unterbringungsbeschluss war im Sommer 2012 verlängert worden.
Und das, obwohl der Gutachter bei mir keine Selbst- oder Fremdgefährdung
sah. Dagegen hab ich Beschwerde eingelegt, nur handschriftlich per Brief,
ohne Anwalt, weil ich keinen hatte. Ich hab geschrieben, dass die
24-Stunden-Kontrolle und das Ausgeschlossensein aus der Gruppe für mich
fürchterlich ist und dass ich für eine gesunde Entwicklung den natürlichen
Kontakt zu anderen Jugendlichen brauche.
Ich hab dann zum Glück über das Gericht Hilfe von einer Anwältin bekommen.
Die hat gesagt, dass es sich bei meiner geschlossenen Unterbringung um eine
Art Sicherheitsverwahrung handelt, die gegen das Gesetz verstößt.
Glaubst du, dass das Heim für manche Jugendliche gut ist?
Nein. 90 Prozent der Jugendlichen dort sind scheinangepasst, die sagen nur
das, was die Erzieher hören wollen, ohne sich wirklich zu verändern. Hinter
deren Rücken sagen alle: „Scheiß Haasenburg, ich will hier raus.“
Was für Jugendliche sind dort?
Teilweise welche, die Straftaten begangen haben oder Schule geschwänzt
haben. Oder welche, die PC-süchtig sind, und die Eltern sich nicht genug
drum kümmern. Und einige mit Drogenproblemen. Es gab Fälle, bei denen ich
mich persönlich gefragt hab, was macht der hier.
Hattest du doch noch Kontakt zu anderen?
Ja, am Ende. Man darf aber, wenn die Erzieher dabei sind, nicht über früher
reden. Wir haben uns heimlich Briefe geschrieben oder versucht zu reden,
wenn ein Erzieher mal ein paar Minuten draußen war.
Gab es einen Erzieher, mit dem du dich gut verstanden hast?
Ja. Aber es sind viele gegangen. Die meisten sind auch gar nicht Erzieher
von Beruf, sondern Bäcker, Landwirt oder Fleischer. Pro Etage gibt es oft
nur eine richtige Fachkraft.
Wie lief das mit der Schule weiter?
Ich hatte Unterricht zuerst lange nur auf meinem Zimmer, dann später in der
Gruppe. Ich hatte mich schließlich auch beim Landesschulamt für die externe
Hauptschulprüfung angemeldet. Aber das haben sie mir versaut, weil ich an
dem Tag auf meinem Zimmer bleiben musste.
Warum das?
Ich hatte drei Chipverluste hintereinander, weil ich gegen meine
Verhaltenspunkte verstoßen hatte. Einer heißt, ich mach keine
herablassenden Äußerungen. Ich hatte so etwas gesagt wie: „Oh, was ist das
für’n Scheiß.“ Ein anderer war: Ich halte Ordnung auf meinem Zimmer. Da
sind die sehr streng. Da reicht es schon, wenn die Sachen auf dem
Schreibtisch nicht ordentlich liegen.
25 Jan 2013
## AUTOREN
Kaija Kutter
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