# taz.de -- Spanischer Regierungschef Rajoy: Der Unrührbare | |
> „Er hält nichts von Kommunikation“, sagt sein Biograf. Mariano Rajoy sei | |
> der Albtraum aller Berater: pragmatisch, konturlos – ein Phantom. | |
Bild: Spaniens Regierungschef Rajoy mag die Öffentlichkeit nicht. | |
MADRID taz | Es war einer der typischen Nichtauftritte von Spaniens | |
Regierungschef Mariano Rajoy. Anstatt nach dem EU-Haushaltsgipfel in | |
Brüssel der Presse zu den jüngsten Korruptionsvorwürfen Rede und Antwort zu | |
stehen, beschied der Konservative: „Ich gehe jetzt, ich bin etwas müde!“ | |
Einmal mehr blieben die Fragen nach einem Konto des ehemaligen | |
Schatzmeisters von Rajoys Partido Popular (PP) mit über 22 Millionen Euro | |
unbeantwortet, ebenso wie die Fragen nach den jahrelangen Sondersalären an | |
Parteiführer in Form von Umschlägen voller Schwarzgeld, von denen der | |
Regierungschef selbst profitiert haben soll. Ob beim EU-Gipfel oder bereits | |
zuvor beim Besuch in Berlin, Rajoy schweigt sich aus. Nicht zum ersten Mal. | |
Nach dem Hilfsantrag in Brüssel für die angeschlagenen Banken im Sommer | |
nutzte er die Hintertür und verschwand mit dem Flugzeug zum Auftaktspiel | |
der spanischen Elf bei der WM in Polen. Unliebsame Kürzungen lässt der | |
58-Jährige von seiner Sprecherin verkünden. Parlamentarische Fragestunden | |
mag er nicht. | |
„Wahrscheinlich ist Rajoy der am wenigsten bekannte politische Führer seit | |
dem Tod von General Franco“, sagt Graciano Palomo. Seit 20 Jahren folgt der | |
Journalist der PP. Parteichef Rajoy hat er ein ganzes Buch gewidmet und | |
analysiert dabei den Werdegang des Politikers, der eigentlich alles andere | |
als ein unbekannter Neuling ist. | |
Acht Jahre diente er als Minister unter José María Aznar. Weitere acht | |
Jahre führte er die Opposition gegen José Luis Rodríguez Zapatero. Und seit | |
über einem Jahr sitzt er nun im Regierungspalast Moncloa. „Der Mann, den | |
nichts berührt“ heißt die nicht autorisierte Biografie, mit der Palomo | |
versucht zu ergründen, wer dieser Rajoy denn eigentlich ist. Der Schlüssel | |
zur Person liege in dessen nordwestspanischer Heimat, ist sich der Autor | |
sicher. | |
## Tiefes Pflichtempfinden | |
Mariano Rajoy Brey – so sein voller Name – kommt aus Galicien. „Triffst Du | |
einen Galicier auf der Treppe, weißt du nie, ob er hoch oder runter geht“, | |
heißt ein Sprichwort in Spanien. Auf Rajoy trifft dies zu. Er verstand es, | |
einen Wahlkampf zu führen, in dem er Hoffnungen auf die Bewältigung der | |
Krise schürte, genaue Maßnahmen jedoch verschwieg. Als „normaler Spanier“ | |
verkaufte sich Rajoy, der spricht, als würde er ein Telefonbuch verlesen, | |
erfolgreich. | |
„Er hält nichts von Kommunikation, und ob eine Krawatte passt oder nicht, | |
ist ihm egal“, weiß Graciano Palomo. Rajoy sei der Albtraum eines jeden | |
Beraters. „Er möchte den Staat wie einen Familienhaushalt verwalten“, fügt | |
der Biograf hinzu. Nur, die Bilanz Rajoys, der unumwunden zugibt, zuhause – | |
wenn überhaupt – nur den beiden Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, | |
würde jeder traditionellen Hausfrau die Scheidung einbringen. | |
Spanien verarmt zusehends. Trotz gegenteiliger Wahlversprechen setzt Rajoy | |
die Schere im Bildungs- und Gesundheitswesen, ja selbst bei den Renten an. | |
Nichts ist vor ihm sicher – mit Ausnahme der Einkommen der Großverdiener. | |
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 26 Prozent. Sechs Millionen Menschen haben | |
keinen Job, knapp eine Million mehr als bei Rajoys Amtsantritt im Dezember | |
2011. Das Ergebnis mache ihn nicht stolz, sagt Rajoy gerne, aber er habe | |
getan, was getan werden musste. Keiner kann den bedingungslosen Anhänger | |
von Merkels Spardiktat davon abbringen, zu glauben, dass seine Politik der | |
Grundstein für eine blühende Zukunft sei. | |
## Rajoys rasanter Aufstieg | |
Der Sohn eines Richters und Enkel eines konservativen galicischen | |
Politikers ist geprägt von Pflichtgefühl und tiefer Ehrfurcht vor dem Staat | |
als solchen. „Er kommt aus dem postfranquistischen, bürgerlichen Milieu der | |
galicischen Provinzstadt Pontevedra“, erklärt Palomo. Es sind die „guten | |
Familien“, die in solchen Städten das Sagen haben. Es sind die Kaffeehäuser | |
und das örtliche Casino – eine Art Kursaal –, wo die Provinzeliten alles | |
entscheiden. Demokratie oder Diktatur, das spielt dabei keine Rolle. Das | |
Sagen haben diejenigen, die es schon immer hatten. | |
Rajoy gehört zu ihnen. Während seine Altersgenossen die ersten Freiheiten | |
nach Ende der Diktatur genossen, feierten und für Demokratie | |
demonstrierten, büffelte er. Mit nur 23 Jahren bestand der Jurist die | |
begehrte und schwierige Zulassungsprüfung als Notar am Liegenschaftsamt. | |
Nie zuvor hatte dies jemand in so jungen Jahren geschafft. | |
„Wenn du nicht Minister wirst, bist du einfach niemand“, erklärt Palomo, | |
„das ist die Überzeugung vieler in diesem Umfeld in der Provinz.“ So zog es | |
auch Rajoy in die Politik. Diese führte ihn vom Gemeinderat in die | |
Provinzregierung von Pontevedra und von dort in die PP-Zentrale nach | |
Madrid. | |
## Er schottet sich ab | |
„Rajoy ist vor allem ein Pragmatiker, kein Ideologe“, sagt Xesús Palmou. | |
Der ehemalige Generalsekretär der PP in Galicien machte einst – obwohl | |
sechs Jahre älter – unter Rajoys Aufsicht seine ersten Schritte in der | |
Politik. „Er gehört keiner besonderen Strömung in der Partei an“, erläut… | |
Palmou, warum Manuel Fraga, Parteigründer und Ex-Innenminister unter | |
Diktator Franco, den jungen Rajoy immer dort einsetzte, wo es | |
innerparteilich brannte. | |
Palmou arbeitete viele Jahre an Rajoys Seite. Dennoch muss er passen, wenn | |
nicht vom Politiker, sondern vom Menschen Rajoy die Rede ist. „Höflich und | |
korrekt. Ein Chef, der sich um alles kümmert und von seinen Mitarbeitern | |
verlangt, dass sie ihre Arbeit tun“, ist das einzige, was ihm einfällt. | |
„Ich gehörte nie zu seinem engeren Freundeskreis“, entschuldigt sich Palmou | |
dann. Denn nicht nur gegenüber der Presse oder dem Parlament schottet sich | |
Rajoy ab. „Er vermischt Arbeit und Privates nicht. Er wacht eifersüchtig | |
über sein Privatleben“, weiß Palmou. Diese Haltung revidierte Rajoy selbst | |
dann nicht, als das Unwissen über das persönliche Leben des Politikers bei | |
Gegnern und Presse in Gerüchte umschlug, er sei dem eigenen Geschlecht | |
zugewandt. Lange kannte niemand Liebschaften oder gar längere Beziehungen | |
Rajoys. | |
## Ölfäden wie Knete | |
„Lernen Sie Galicisch und heiraten Sie“, soll Parteigründer Fraga seinem | |
Zögling mit auf den Weg gegeben haben, als Rajoy 1989 ins spanische | |
Parlament nach Madrid wechselte. Galicisch hat Rajoy bis heute ebenso wenig | |
gelernt wie ordentliches Englisch. Doch zumindest den Ratschlag zu heiraten | |
befolgte er, sehr zur Freude des konservativ-katholischen | |
Parteiestablishments. | |
Wenn Rajoy bei seinem Werdegang in Madrid eines bewiesen hat, dann ist es | |
Ausdauer und Überlebenswille. Sechs Jahre lang nutzte der Politiker, den | |
die Karikaturisten gerne als eine Art Diogenes mit Zigarre auf dem Sofa | |
zeichnen, jede Gelegenheit, um sich dem neuen Parteichef José María Aznar | |
unentbehrlich zu machen. Es zahlte sich aus. Als Aznar 1996 die Wahlen | |
gegen Alt-Ministerpräsident Felipe González gewann, erfüllte sich Rajoys | |
Provinztraum. Er wurde Minister, zuerst für Verwaltung, Bildung, | |
schließlich für Inneres, und dann gar Vizeregierungschef und Sprecher | |
Aznars. | |
Alle großen Krisen bewältigte Rajoy für seinen Herrn. Auch wenn er sich | |
damit selbst an den Rand der Lächerlichkeit bringen sollte – wie zum | |
Beispiel während des Unglücks des Öltankers Prestige 2002 vor der Küste | |
Galiciens. Die Regierung beschloss, das angeschlagene, randvolle Schiff | |
aufs offene Meer zu schleppen. Es brach und sank. „Einige Ölfäden, so wie | |
Knete“ seien aufgestiegen, erklärte Rajoy, als Luftaufnahmen bereits einen | |
riesigen Ölteppich zeigten. | |
2003 zeigte sich Aznar, als er wie versprochen nach acht Jahren als | |
Regierungschef nicht erneut bei den Wahlen antrat, erkenntlich und ernannte | |
Rajoy zu seinem Nachfolger. Alle Umfragen sahen den Galicier 2004 als | |
Wahlsieger. Doch dann explodierten die Bomben in den Pendlerzügen in | |
Madrid. Aznar und Rajoy suchten aus wahltaktischen Gründen die Urheber bei | |
der baskischen Separatistenorganisation ETA und leugnete einen Zusammenhang | |
mit den Islamisten und damit mit dem unpopulären Einsatz spanischer Truppen | |
im Irak, gegen den über eine Million Menschen auf die Straße gegangen | |
waren. Die Konservativen zahlten für die Lüge. Der Sozialist José Rodríguez | |
Zapatero gewann 2004 und auch wieder 2008. | |
## Doppeltes Spiel | |
Beide Male wurde der begeisterte Hobbyradsportler Rajoy nicht nur von | |
seinen politischen Gegnern – sondern auch von so manchem in den eigenen | |
Reihen – für politisch tot erklärt. Rajoy tat erneut, was er am besten | |
beherrscht. Er saß die Krisen aus. „Er hat nie die offene | |
Auseinandersetzung gesucht. Er verstand es lange, mit der geerbten, alten | |
Garde Aznars zusammenzuleben und sie zu überleben“, beschreibt Domingo | |
Sampedro, Parlamentsreporter der Tageszeitung Voz de Galicia, die Jahre in | |
der Opposition. | |
In der ihm so eigenen Art, die Sampedro als „relaxed, etwas faul und | |
müßiggängerisch“ beschreibt, machte sich der neue PP-Chef daran, ohne bei | |
hitzigen Debatten mitzumischen, langsam aber sicher seine eigene | |
Führungsriege aufzubauen. | |
„Rajoy hat einen Charakterzug, den auch Diktator Franco hatte: Er geht | |
davon aus, dass die Zeit alles ins Lot bringt“, resümiert Biograf Palomo. | |
Acht Jahre lang hatte Rajoy ein doppeltes Spiel gespielt. Er umwarb die | |
Wechselwähler in der politischen Mitte. Gleichzeitig hielt er den | |
fundamentalistisch-katholischen Flügel seiner PP bei Laune, in dem er | |
zusammen mit Spaniens Bischöfen die Straße gegen Zapateros Friedensprozess | |
mit ETA, die Homo-Ehe oder eine Lockerung der Abtreibung mobilisierte. | |
„Rajoy, ein Mann ohne ideologische Ecken und Kanten. Er ist extrem | |
praktisch veranlagt und kennt keine Skrupel. Ihn interessiert nur das | |
Ergebnis“, urteilt Palomo. Und dieses stimmte letztendlich. Im dritten | |
Anlauf 2011 gewann Rajoy die Wahlen, oder besser, die Sozialisten verloren | |
sie. | |
Er werde „den Märkten das Vertrauen in Spanien zurückgeben“, versprach | |
Rajoy im Wahlkampf. Gut ein Jahr später ist das genaue Gegenteil der Fall. | |
Angesichts der Korruptionsvorwürfe, die seine gesamte Parteispitze und ihn | |
selbst betreffen, fällt die Börse und steigen die Zinsen für Staatsanleihen | |
erneut. Nicht nur Spaniens Presse und Bevölkerung warten auf Antworten auf | |
die ständig neuen Fragen. Rajoy schweigt weiterhin. | |
20 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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