Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wissenschaftler über 30-Stunden-Woche: „Gewerkschaftschefs wolle…
> Beim Thema Arbeitszeitverkürzung geht es um Macht und Interessen, sagt
> Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup. Und rechnet vor, wie es
> gehen könnte.
Bild: Weniger Arbeit mit der 30-Stunden Woche. Es könnte so schön sein.
taz: Herr Bontrup, 2006 haben Sie schon einmal einen Aufruf für die
30-Stunden-Woche unterschrieben, der kaum Resonanz fand. Mit dem neuen
haben Sie großen Wirbel verursacht. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Heinz-Josef Bontrup: Viele merken zumindest aus dem Bauchgefühl heraus,
dass etwas nicht mehr stimmt. Die Märkte sind liberalisiert worden, das
Prekariat ist gewachsen. Im Niedriglohnsektor arbeiten jetzt bis zu acht
Millionen Menschen ohne Zukunftsperspektive, ohne planbares Leben.
Dennoch war Arbeitszeitverkürzung als Mittel gegen Arbeitslosigkeit auch
unter Linken ein ziemlich toter Hund. Manche setzten auf das bedingungslose
Grundeinkommen, die eher traditionellen Keynesianer alleine auf Wachstum.
Warum reicht es nicht aus, auf Wirtschaftswachstum für mehr Jobs zu hoffen?
Das reicht schon seit den sechziger Jahren nicht mehr. Eine Wirtschaft
wächst immer durch zwei Komponenten, das reine Arbeitsvolumen und die
Produktivität. Und wenn die Produktivität größer ist als die reale
Wachstumsrate, geht das Arbeitsvolumen zurück. Das Arbeitsvolumen ist aber
nichts anderes als die Zahl der Menschen, die Arbeit haben, multipliziert
mit deren Arbeitszeit. Wenn man dann die Arbeitszeit nicht reduziert, geht
die Beschäftigung zurück. Arbeitslosigkeit entsteht. So einfach ist das.
Wenn’s so einfach ist, warum hat sich das bisher nicht durchgesetzt?
Hinter Arbeitszeitverkürzung steht eine Interessen- und Machtfrage: Wir
haben seit Mitte der siebziger Jahre, mit dem Neoliberalismus und der sich
immer mehr aufbauenden Massenarbeitslosigkeit quasi einen Unternehmerstaat
bekommen, der die Bedingungen in der Wirtschaft, in den Tarifverhandlungen,
aber auch bis tief in die Politik hinein diktiert.
Hauptkritikpunkt an Ihrem Konzept ist der volle Lohnausgleich. Ist dieser
realistisch?
Natürlich. Ich will ein Beispiel zum besseren Verständnis anführen. Wenn
jemand 40 Stunden in der Woche arbeitet und bekommt einen Stundensatz von
10 Euro, dann hat er ein Einkommen von 10 mal 40, also 400 Euro in der
Woche. Wenn jetzt durch bessere Technik die Produktivität um 2 Prozent
steigt, kann er in 40 Stunden, sagen wir, statt 50 Stück 51 Stück
produzieren. Dann stellt sich die Frage: Wer erhält die Produktivität? Die
2 Prozent wären 20 Cent, sein Lohn könnte dann auf 10,20 Euro steigen. Und
gleichzeitig können wir die Arbeitszeit um diese 2 Prozent reduzieren auf
39,2 Stunden, um damit das freigesetzte Arbeitsvolumen den Arbeitslosen und
Unterbeschäftigten zu den gleichen Bedingungen wie den Beschäftigten zur
Verfügung zu stellen. Die entscheidenden Lohnstückkosten bleiben dann für
die Unternehmer konstant, und ihre Gewinne steigen ebenso in Höhe der
Produktivitätsrate.
Das heißt, dass Sie die 30-Stunden-Woche nur schrittweise einführen wollen?
Es geht nicht anders, die Versäumnisse der letzten 30 Jahre sind nicht mehr
aufzuholen. Die jährliche Produktivitätsrate lag nur bei etwa 2 Prozent.
Wir müssen die Arbeitszeit aber über fünf Jahre lang bei den
Vollbeschäftigten um 5 Prozent reduzieren. Bei denen, die 15 oder 20
Stunden arbeiten und gerne länger arbeiten würden, wird die Arbeitszeit
nach und nach erhöht. Das heißt, die zur Verfügung stehende Produktivität
ist geringer als die notwendige Arbeitszeitverkürzung. Zur Finanzierung
müssen wir daher die Gewinne der Unternehmer ein wenig absenken. Das hat
einen wunderbaren Nebeneffekt. Sie können nicht mehr so viel spekulieren
und damit die Welt in die Krise stürzen.
Damit ernten Sie selbst im gewerkschaftsnahen Lager Kritik. Peter Bofinger
etwa, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, hält
Arbeitszeitverkürzung derzeit angesichts der Konjunkturlage für unnötig. Es
herrsche weitgehend Vollbeschäftigung, glaubt er.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Es herrscht Massenarbeitslosigkeit. Die
Aussage ist bar jeglicher Realität. Wir haben uns seit der Krise 1974/75
nie mehr von der Massenarbeitslosigkeit erholt. Fritz Vilmar hat schon 1977
den Gewerkschaftsvorständen ins Stammbuch geschrieben: Verknappt endlich
die Arbeitszeit! Davon wollen sie aber offensichtlich nicht viel wissen.
Selbst aus der IG Metall haben nur wenige Gewerkschafter aus der zweiten
Reihe den Aufruf unterschrieben.
Dafür aber mehr als 50 Professoren, die in den letzten Jahrzehnten immer
die Gewerkschaften unterstützt haben.
Stehen Sie im direkten Kontakt zu den Gewerkschaftsspitzen?
Wir erfahren nur indirekt, dass sie den Aufruf zurückhaltend ablehnen.
Dafür habe ich kein Verständnis. Denn eines ist doch klar: Sie werden in
reinen Lohntarifverhandlungen vor dem Hintergrund von
Massenarbeitslosigkeit den Preis für Arbeit nie mehr verteilungsneutral,
also in Höhe der Preissteigerungs- und Produktivitätsrate, nach oben
bekommen. Das verstehen Gewerkschaftsspitzen offensichtlich nicht. Sie
müssten erstens Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen, zweitens
Arbeitszeitverkürzungen und drittens Arbeitszeitverkürzungen. Dann steigen
auch die Löhne wieder.
Die Gewerkschaften argumentieren: Wir bekommen das in unseren Belegschaften
nicht durch.
Da habe ich ganz andere Erfahrungen – und ich bin ständig an der Basis. Das
ist eine Schutzbehauptung, die aufgestellt wird, um das Thema nicht
anpacken zu müssen. Weil es bedeutet, massiv gegen Unternehmerverbänden in
den Konflikt gehen zu müssen. Wir hoffen, dass die Basis Druck macht. Hier
gibt es erste positive Signale. Manchmal muss man Vorstände zum Jagen
tragen.
Funktioniert das in einer Gewerkschaft wie der IG Metall, die stark von
oben nach unten aufgebaut ist?
Der IG-Metall-Vorstand war in den achtziger Jahren auch gegen die
35-Stunden-Woche. Erst durch eine Art Putsch auf dem Gewerkschaftstag wurde
das Thema auf die Agenda gesetzt.
22 Feb 2013
## AUTOREN
Martin Reeh
Martin Reeh
## TAGS
Gewerkschaft
30-Stunden-Woche
Prekäre Arbeit
Schwerpunkt Frankreich
DGB
30-Stunden-Woche
30-Stunden-Woche
## ARTIKEL ZUM THEMA
Soziologe Hans-Albert Wulf zum Nichtstun: „Wer faul ist, muss bestraft werden…
Müßiggänger gesellschaftlich zu ächten, hat eine lange Tradition. Der
Mensch soll Abscheu vor staatlicher Hilfe entwickeln. Heute mehr denn je.
Forscher über Arbeit in Frankreich: „Bis zu 500.000 neue Stellen“
Die Franzosen werden zu Unrecht als faul dargestellt, sagt der
Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff. Im Schnitt haben Franzosen eine
39-Stunden-Woche.
Arbeitskampf beim DGB: Gewerkschaftsbund wird bestreikt
Der DGB fordert gern 6,5 Prozent mehr Lohn. Die Beschäftigten beim
DGB-Rechtsschutz sollen nur 0,9 Prozent bekommen – und legen die Arbeit
nieder.
Arbeitszeiten in Deutschland: Von wegen Schicht im Schacht
Nachts, am Wochenende oder im Schichtbetrieb: Immer mehr Menschen müssen
regelmäßig zu Unzeiten arbeiten. Besonders betroffen: soziale Berufe und
Verkaufspersonal.
Forscherin über 30-Stunden-Woche: „Wir brauchen Zeitkonten“
Die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche sei nicht „zielführend“, sagt
Forscherin Karin Jurczyk. Sie plädiert für Budgets, „die wir über den
Lebenslauf verteilen“.
Arbeitszeitverkürzung und Lohnausgleich: Weniger arbeiten? Ja, aber ...
Ein Bündnis aus Prominenten fordert, wieder über Arbeitszeitverkürzung zu
reden. Die Reaktionen darauf? Verhalten – auch bei den Gewerkschaften.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.