# taz.de -- Pro & Contra Israel-Warenboykott: Soll Deutschland Druck ausüben? | |
> Sollen Waren aus Israels Siedlergebieten boykottiert werden? Ist ein | |
> solcher Boykott mit der deutschen Vergangenheit vereinbar? Eine | |
> Annäherung. | |
Bild: Macht ein Boykott Israels Sinn? | |
JA! Die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Israel und den Palästinensern | |
haben dazu geführt, dass Israel das von ihm entwickelte System von ihm | |
kontrollierter und abhängiger palästinensischer Enklaven immer weiter | |
perfektioniert. | |
Das aber hat fatale Auswirkungen auf beide Gesellschaften: Die | |
Perspektivlosigkeit in den abgeriegelten palästinensischen Gebieten trägt | |
dazu bei, dass die palästinensische Gesellschaft immer konservativer und | |
reaktionärer wird. Aber auch Israels demokratische sowie rechtsstaatliche | |
Strukturen sind betroffen: Mediale Kampagnen und Gesetzesvorhaben richten | |
sich gegen alle, die den offiziellen Kurs ablehnen. | |
Auch die Rechte der Minderheiten geraten immer mehr in Gefahr: So sollen | |
demnächst 70.000 Beduinen – allesamt israelische Staatsbürger – aus ihren | |
angestammten Dörfern im Süden Israels zugunsten neu zu gründender Gemeinden | |
exklusiv für jüdische Israelis zwangsevakuiert werden. | |
Der Nahostkonflikt ist zudem keine interne Angelegenheit und hat | |
weitgehende internationale Implikationen: Politisch ist er ein wichtiger | |
Faktor für weitere Radikalisierung in der arabischen und muslimischen Welt; | |
rechtlich stellt Israels Politik einen massiven Bruch mit dem Völkerrecht | |
dar, einem Hauptbaustein der internationalen Friedens- und Ordnungspolitik. | |
Leider ist die israelische Gesellschaft anscheinend nicht in der Lage, eine | |
andere Politik einzuschlagen. Das zeigte sich nicht zuletzt an dem Mord an | |
Jitzhak Rabin. Er war der letzte Premier, der Wahlen gewinnen konnte mit | |
dem Ziel, die Kontrolle über die Palästinensergebiete aufzugeben. Die | |
mörderische Gewalt hat gewonnen. | |
Druck von außen ist folglich notwendig, und gezielter europäischer Druck | |
würde auch funktionieren. | |
Im Gegensatz zu seiner medialen Präsenz ist Israel ein kleines Land, das in | |
der eigenen Region weitgehend isoliert dasteht und sich nur auf die | |
Unterstützung seiner wenigen, dafür aber mächtigen Freunde im Westen | |
stützen kann. Würde die Unterstützung von der Umsetzung seiner | |
völkerrechtlichen Verpflichtungen abhängen, wäre Israel ohne Zweifel | |
bereit, den Preis dafür zu zahlen. | |
Die heute herrschenden Nationalisten in Israel würden einem solchen Druck | |
widerstehen, doch gerade Israels entpolitisierte Mittelschichten würden | |
sich schnell ein Israel ohne Siedlungen vorstellen können, wenn sie die | |
eigenen materiellen Zugewinne der letzten Jahrzehnte gefährdet sähen. | |
Dieser Gegenentwurf wäre umso attraktiver, wenn Sanktionen eine ordentliche | |
Belohnung zur Seite gestellt würde in Form einer verstärkten Annäherung | |
Israels an die EU nach einem Ausgleich mit den Palästinensern. Die | |
Bundesrepublik ist heute zu mächtig, um dem Problem mit einem Hinweis auf | |
die eigene Geschichte aus dem Weg zu gehen. Die Gestaltung einer kohärenten | |
europäischen Politik wäre ein richtiger Beitrag zum Schutz Israels und zur | |
Förderung demokratischer Entwicklungen im Nahen Osten. TSAFIR COHEN | |
Der Autor ist Nahostreferent der NGO medico international | |
+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + | |
NEIN! Je verworrener die Situation im Nahen Osten, desto lauter sind die | |
Rufe, den Druck auf Israel zu erhöhen. Doch wie können Deutschland und | |
Europa tatsächlich dazu beitragen, eine neue Dynamik im Friedensprozess | |
anzustoßen? | |
Die Antwort darauf kann nur mehr Kooperation mit Israel, dem wichtigsten | |
Partner Europas im Nahen Osten, heißen. Zunehmend versuchen Kritiker | |
Israels, die Forderung nach der wirtschaftlichen und diplomatischen | |
Isolierung Israels durchzusetzen, um Israel unter Handlungsdruck zu setzen. | |
Die „Boykott Divestment Sanctions“-Bewegung (BDS) lehnt jeglichen Austausch | |
und Handel mit Israel ab. Dieser Aufruf zieht immer weitere Kreise, etwa | |
bei Supermärkten in der Schweiz, NGOs in Deutschland oder dem Jenaer OB. | |
Hinzu kommt, dass die EU ein Papier nach dem nächsten produziert, um Israel | |
den Weg zum Frieden zu diktieren. Die „privilegierte Partnerschaft“ wird | |
der einzigen Demokratie im Nahen Osten vorenthalten, solange die | |
Siedlungsaktivitäten nicht gestoppt werden. Aus demselben Grund verhinderte | |
das EU-Parlament zwei Jahre lang die Öffnung des Marktes für hochwertige | |
und kostengünstige Generika aus Israel, obwohl diese gar nicht in der | |
Westbank hergestellt werden. | |
Während die israelische Siedlungspolitik unerlässlich als das | |
Haupthindernis für den Frieden bezeichnet wird, klammert man in Europa | |
zunehmend die Verantwortung der Palästinenser und der arabischen | |
Nachbarstaaten aus. Noch immer wird Israel dort als ein „illegitimer“ Staat | |
bezeichnet und gegen Juden und Zionismus in hasserfüllter Weise | |
polemisiert. | |
Als Abbas vor der UN-Vollversammlung 2012 die Legitimität Israels scharf | |
angriff, gab es wenige bis überhaupt keine Reaktionen führender Politiker | |
aus Europa. Ebenso gab es kaum Reaktionen auf die Aussage von | |
Ministerpräsident Erdogan im Februar 2013, der den Zionismus als Verbrechen | |
gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Europa wird in Israel immer weniger | |
glaubwürdig. Will die EU eine ernsthafte Rolle im Nahen Osten spielen, muss | |
es Israel als Partner auf Augenhöhe behandeln. | |
Auch die Entscheidung Deutschlands, sich bei der UN-Abstimmung zur | |
einseitigen Anerkennung eines Palästinenserstaates zu enthalten, führte | |
dazu, dass Deutschland bei den Israelis Vertrauen eingebüßt hat. | |
Politischer Druck sollte auf die ausgeübt werden, die seit Jahrzehnten eine | |
Verhandlungslösung torpedieren. Nicht zuletzt durch die Nichtanerkennung | |
des jüdischen Staates. | |
Israel hingegen braucht kein Druck, sondern die Zuverlässigkeit seiner | |
Verbündeten. Israel ist ein strategischer Partner für Europa bei der | |
Sicherstellung von Sicherheit und Frieden. Wir brauchen mehr Dialog mit | |
Israel, statt einen Dialog über den Partner hinweg. Israel muss stärker auf | |
der internationalen Bühne eingebunden sein. Hier kommt Deutschland eine | |
entscheidende Rolle zu. DEIDRE BERGER | |
Die Autorin ist Direktorin des American Jewish Committee Berlin | |
13 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
D. Berger | |
T. Cohen | |
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